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Angelika Kirchschlager als Jenny Hill in der Wiener "Mahagonny"-Produktion. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Angelika Kirchschlager als Jenny Hill in der Wiener "Mahagonny"-Produktion. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Die Stadt, das Geld und der Traum: Der „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Brecht und Weill an der Staatsoper Wien

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Die Wiener Staatsoper ist ein Gehäuse, in dem sich Goldmarks „Die Königin von Saba“ zuhause fühlen durfte und in das die „Salome“ immer wieder gern einkehrt, in dem sich einst aber auch „Das Heimchen am Herd“ breit machte und „Es war einmal …“. Ein Haus für Brecht und Weill wurde der Prachtbau an der Ringstraße weder in der Zeit zwischen den Kriegen noch in den 67 Jahren der zweiten Republik (sowohl die Zusammensetzung der Geschmacksträgerschicht wie die Dimension der Halle empfehlen diese weder für die „Dreigroschenoper“ noch für die „Sieben Todsünden“).

Nun hat es Intendant Dominique Meyer mit dem „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ und seinem Landmanns Jérôme Duchamps als Zeremonienmeister versucht. Ebenso wie der Dirigent Ingo Metzmacher musste und wollte Deschamps sich der Historizität der musikhistorisch nachhaltigsten Arbeit von Bertolt Brecht und Kurt Weill stellen – einem Werk, das längst die Altersgruppe 80+ erreichte. Die Botschaften, die der Librettist seinem Text einschrieb, vernimmt auch das Publikum des Jahres 2012 sehr wohl. Allein, ihm fehlt nicht nur der Glaube, sondern bereits die Bereitschaft, „die zunehmende Notwendigkeit von Änderungen größten Ausmaßes“ auch nur in Erwägung zu ziehen. Wenn die Leute im Parkett oder in den Logen irgendetwas für sicher oder wenigstens für fortdauernd wahrscheinlich halten, dann ist es der status quo ante.

Folgerichtig fährt wieder einmal ein Oldtimer auf der Bühne und fängt auch gleich zu qualmen an. Aus der Karosse steigen die drei steckbrieflich gesuchten Profiteure der „goldenen“ 20er Jahre, wie sie es, wenn man dort bereits so bunt und heiter aufgelegt gewesen wäre, bereits 1930 bei der Uraufführung am Leipziger Stadttheater hät-ten tun können. Mit ihren wohltönenden Opernsängerstimmen beschließen sie die Spontangründung einer Vergnügungshölle auf Erden.

Der Titel der Oper, die zu einem der Muster epischen Theaters wurde, verweist mit seinem Anklang an Tropenholz auf neue, zumindest exotische Welten, Aber der Dreiakter sucht nicht die Aura eines auch nur halbwegs konkreten Ortes zu nutzen (wie „Äneas in Karthago“,  „Die Kartause von Parma“,  „Der Untergang von Pompeji“,  „Die Meistersinger von Nürnberg“ oder „Der Trompeter von Säckingen“ ). Nein: es geht um menschliche Begierden, Beziehungen und Nicht-Beziehungen in einem aufgeheizten Aggregatzustand der Menschheit, in dem die Kälte der Maschinenwelten und der Städte die Emotionen ebenso aufwühlten wie die Fragen der Solidarität bzw. der Massenmobilisierung. In einer Zeit und an einem Ort, da der Laufkundschaft von flimmernden Wänden herunter suggeriert wird, die Stadt gehöre ihr (sie müsse halt nur die Wiener Linien benutzen), kann „Mahagonny“ vielleicht nicht anders denn als historisches Stück erscheinen. Als das, was der Volksmund mit einem Werbebegriff „Klassiker“ nennt.

Zu dessen Erhebung in die Zonen der Erhabenheit tragen an der Wiener Staatsoper eben die Kehlen der stimmlich gut geschulten, darstellerisch aber offensichtlich aufs Rampenstehtheater verpflichteten Protagonisten bei – Christopher Ventris als raumgreifend bärenstarker Holzfäller Jim Mahoney oder die nicht minder klang- und formschöne Elisabeth Kulman als jung-dynamische Unternehmerin Begbick mit den strategisch richtigen Einfällen zum rechten Zeitpunkt. Nur ein wenig deplatziert wirkt die Kammersängerin Angelika Kirchschlager mit ihrer Riesenperücke als Vorturnerin der leichten Mädchen des mittleren Westens (dass sie ein paar mal oktavieren muss, weil die anspruchsvolle Partie nicht ganz mit ihrer Stimmlage übereinstimmt, erscheint marginal).

Um die Erhebung „Mahagonnys“ in die Höhen des „Klassischen“ macht sich zuvorderst der Dirigent Ingo Metzmacher verdient – mit Verve und Erfolg. Die traditionelle Sitzordnung des Orchesters wurde aufgegeben zu Gunsten einer kompakten Bündelung der Bläser im rechten Segment des Grabens. Kurt Weill ist in musikalischer Hinsicht im Parnass angekommen, steht zur Rechten von Mahler oder zur Linken von Richard Strauss (wird also neu „evaluiert“, „klassifiziert“ und „zertifiziert“). Wie Metzmacher die Härte und Unerbittlichkeit des Schlusschorals von der Kälte der menschlichen Beziehungen zelebriert, ist große Klasse.

Jérôme Deschamps wollte mit seiner Inszenierung, wie er im Programmheft erklärte, eine „spielerische Lektion“ erteilen. Er zeigte die Szenenfolge, unterbrochen vom Auf- und Zuzug einer Brecht-Gardine, vor den Einblendungen schön-unscharfer Stadtbilder in schlichter Linearität. Jedenfalls völlig ohne subtextuale Anspielungen auf den Verwesungsgrad des Brecht-Textes. So wird einem heutigen Staatsopernpublikum nochmals im Ernst erzählt, dass „Mangel an Geld“ das „größte Verbrechen“ sei, wo doch jedes Kind weiß, dass mit diesem Mangel derzeit Milliarden verdient werden. Die bildschöne Lektion des Monsieur Deschamps ist angekommen. Sie historisiert die Brechtsche Drohung mit Sozialismus nach der Art der Hundehalter, die zu Passanten bezüglich ihrer Töle sagen: „Er will doch nur spielen“. Mit dieser Spielart von französischem Neoklassizismus hat Directeur Meyer für Wien wahrscheinlich alles richtig gemacht: „O wunderbare Lösung“ singt der gediegen operierende Chor der Staatsoper angesichts der Rettung der Idealstadt in der Nacht des Taifuns. Der Pariser Second-Hand-Regisseur sorgte zwar fürwahr nicht für optische oder gar theatrale Wunder, sondern für alten Plunder. Für Theater, das sich ausgeräumt und ausgeträumt hat. Aber gerade dadurch wird es wohl gegenwärtig von Theaterbetreibern und deren Aufsichtsbehörden als „Lösung“ angesehen – und von manchen Kritikern als „psychologische“. Freilich: Eher als das Rauchen sollte die ‚Psychologie’ im Theater verboten werden.

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