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Detlef Roth (Graf von Eberbach), Tänzerinnen, Steve Davislim (Baron Kronthal), Emily Dorn (Baronin Freimann). Foto: © Matthias Creutziger
Detlef Roth (Graf von Eberbach), Tänzerinnen, Steve Davislim (Baron Kronthal), Emily Dorn (Baronin Freimann). Foto: © Matthias Creutziger
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Die Stimme der Natur: „Der Wildschütz“ an der Semperoper

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Die Dresdner Semperoper ist ein seriöses Haus. Aber auch da darf gelacht werden. Zuletzt geschah das vor reichlich zehn Jahren, als der Meißner CDU-Politiker Matthias Rößler um eine halbwegs verständliche Aussprache des Opernwettbewerbs namens „Competizione dell'Opera“ rang. Die Stimme der Natur – hier: der sächsischen Mundart – sorgte für vergnügliches Stottern bei diesem ach so schwierigen Titel.

Ganz so schlicht hat es Regisseur Jens-Daniel Herzog nicht gemacht, als er nun als erste Spielzeitpremiere an der Sächsischen Staatsoper die Komische Oper „Der Wildschütz“ von Albert Lortzing in Szene setzte und damit für Lachsalven sorgte. Er hat die Vorlage ernst genommen und offensichtlich mit enormer Lust auf die Bühne gesetzt. Lustvoll auf jeden Fall und immer auch mit einigem Augenzwinkern sowie einer gehörigen Portion Selbstironie. Das kam beim Premierenpublikum gut an. Hätte aber wohl kaum funktioniert ohne das fast ausnahmslos überzeugende Ensemble von Solisten, Chor und Orchester, das sich ganz in den Dienst dieser Spieloper gestellt hat.

Wenn man das Werk einmal nicht biedermeierlich dumm-deutsch betrachtet, hat es nämlich durchaus besonderen Wert. Musikalisch ist da nicht nur die „Fünftausend-Taler“-Nummer des Dorfschullehrers Baculus interessant. All die Verwebungen von Mozart-Charakteristik ins neuzeitliche Charakterfach sind in dieser Partitur schon vorhanden – und ebenso die derben Reime des ebenso vielseitigen wie glücklosen Dichter-Komponisten Albert Lortzing, dem nicht mal ein halbes Jahrhundert Lebenszeit beschieden blieb. Für diese Oper hat er August von Kotzebues moralisierendes Lustspiel „Der Rehbock oder Die schuldlosen Schuldbewussten“ bearbeitet.

Sein 1842 in Leipzig uraufgeführter „Wildschütz“ gilt als die deutsche Spieloper schlechthin und wird oft als minderwertig, weil durch und durch einfältig, belächelt. Jens-Daniel Herzog gelang es im Verbund mit Bühnenbildner Mathis Neidhardt und Kostümbildnerin Sibylle Gädeke, das Stück zeitlos modern wirken zu lassen, ohne es einer zwanghaften Moderne oder gar Modernisierung zu unterziehen. Die Sächsische Staatskapelle unter Leitung von Alfred Eschwé (an Stelle des ursprünglich angekündigten Premierendirigenten Asher Fisch) unterstützte das Gelingen dieser Produktion, indem sie ebenso frisch wie differenziert musizierte und die wahren Qualitäten dieser Oper auszuleuchten verstand.

Vielleicht waren es gerade die Überzeichnungen der einzelnen Figuren und somit auch des Gesamtgeschehens, die das Publikum ansprachen und weder die Vorlage verraten noch die heutigen Erwartungen beleidigt haben. Dorflehrer Baculus wurde von Georg Zeppenfeld nicht als einfältiger Depp gegeben und war dennoch der einzige in dieser Geschichte, der in und an seiner Borniertheit so richtig zu leiden hatte. Insbesondere bestach er mit seinem sonoren und wandelfähigen Bass (wie er ihn erst kürzlich wieder als König Marke in Bayreuth unter Beweis stellte). Gab er zunächst noch den väterlichen Bräutigam, der sein blutjunges Gretchen in den Ehestand führen wollte, so lag ihm schon bald mehr an seiner Schulstelle, die ihm der Graf wegen eines vermeintlichen Wilddiebstahls aufkündigen wollte. Ehemann ohne Stelle? – keine verlockende Aussicht. Aber das lüsterne Gretchen zwecks Bittgang zum Grafen zu schicken, dessen Geilheit allzu bekannt ist, kam für Baculus nicht in Frage.

Das rettende Glück kommt in der Person eines Studenten daher, der bereit ist, als angebliche Braut bei Hofe vorzusprechen. Da dieser „Studente“ aber niemand anderes ist als die frisch verwitwete Schwester des Grafen, die mit dem Baron Kronthal verehelicht werden soll, werden die Irrungen und Wirrungen erst richtig in Gang gesetzt. Alle sind irgendwie verrückt, Graf und Baron sind heiß auf alles, was Rock trägt, Gräfin liebt Sophokles und theatralische Attitüde, Baronin in spe gibt naives Bauernmädchen, das echte Gretchen wird für 5000 Taler an den angeblichen Stallmeister verkauft, der in Wahrheit der Baron ist, aber nicht das echte Gretchen, sondern die verkleidete Baronin will, die als falscher Student als unechtes Gretchen auftritt. Soweit alles klar? Um die Intrigen letztlich wieder zu entwirren und aufzuklären, reden sich Betrogene und Betrüger mit der „Stimme der Natur“ heraus, die sie in geschwisterlicher Unschuld zueinander geführt habe.

Nur der arme Dorfschullehrer rafft von all dem kaum etwas, und seine nun kräftig zu körperlichen Sehnsüchten erwachende Braut erfährt die ersten Enttäuschungen, noch bevor sie ihr so sehr erhofftes Glück genießen darf.

Die Regie hat das alles hübsch überzogen erzählen und darstellen lassen, die Akteure durften sich austoben – insbesondere Caroline Ullrich als Gretchen und Sabine Brohm als Gräfin leisteten sich herrlich übertriebenen Witz. Letztere mit einer Theatralik auch in der Stimme, die das komödiantische Potential dieser Tragödin bewies. Erstere überzeugte im Wechsel aus feurig besungener Liebe und ebenso heißer Wut mit wandelfähig beweglichem Sopran und eindrucksvollem Augenkullern.

Emily Dorn als „Studente“ und Baronin sang und spielte im hinreißenden Spagat aus naiv und selbstbewusst, ihre Verführer Graf und Baron wurden von Detlef Roth und Steve Davislim eher brünstig denn inbrünstig gegeben, sowohl der Bariton (leider nicht ganz ohne Hängepartie) als auch der Tenor gestalteten ihre Parts so stimmschön wie verständlich. Überhaupt wirkten die Übertitel weitgehend entbehrlich, Soli und Ensembles wurden mit großer Textverständlichkeit gesungen. Als Haushofmeister Pankratius gastierte Schauspieler Oliver Breite, der seine Szenen mehr trunken als nüchtern wie ein „Fledermaus“-Frosch aufwertete. Dass es im zweiten und dritten Akt spürbare Längen gab, über die auch und gerade neue Textdeutungsversuche nicht hinwegtäuschen konnten (da gerade sie einige Plumpheit aufwiesen), nahm dieser Neuproduktion einige Leichtigkeit, bremste die Lacher im Saal aber nur sachte. Auch da schlug wohl die „Stimme der Natur“ an – und die ist nun mal nicht auf Tiefgang gebürstet.

Georg Zeppenfeld wurde im Anschluss an die Premiere mit dem Titel eines Kammersängers geehrt, das erschien nach diesem Abend wie zwangsläufig, stützte sich freilich nicht nur auf seine Baculus-Partie, sondern auf seine langjährige Gesamtleistung im Dresdner Ensemble.

  • Termine: 13., 26., 30. Oktober, 5. November 2015

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