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Das Beethoven Denkmal am Bonner Münsterplatz. Foto: Wikimedia Commons
Das Beethoven Denkmal am Bonner Münsterplatz. Foto: Wikimedia Commons
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Ein Denkmal für das Denkmalsprogramm: ein monströses Lisztsches Beethoven-Programm von 1845 wird in Bonn unzulänglich rekonstruiert

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In Bonn wird mit Beethoven gegen Niedergang und Tod angespielt. Entgegen allen Bekundungen im Kontext des Hauptstadtbeschlusses, muss die Bundesstadt am Rhein nach und nach immer neue Aderlässe zugunsten Berlins verkraften. Die Versuche, den großen Verlust zu kompensieren, haben nur teilweise angeschlagen und zu grotesken finanziellen Abenteuern geführt. Weil die Spitze der Stadt auf die Investitionen von Betrügern baute, ist beispielsweise der Oper (ohne deren geringstes Mitverschulden) ein Sparkorsett angelegt worden, das dem vor Jahr und Tag noch recht leistungsfähigen Unternehmen die Luft zum Atmen nimmt.

Dass die Verantwortlichen zur Behebung der von ihnen verursachten Schäden zur Kasse gebeten werden, ist eine der rheinischen Demokratie nicht zugängliche Denkform. Bonn geht es bei nüchterner Betrachtung dreckig, was aber die Kaviargenussquote bekanntlich nicht beeinträchtigt. Denn zahlen müssen – das ist nun mal so Sitte – nach Möglichkeit immer die anderen.

Nachtigallenschlagen

Wie sehr die einstige Residenz der Fürsterzbischöfe von Köln und der dritten deutschen Republik zugleich eine saturierte Pensionistenstadt ist, klärt ein Blick ins weite Parkett der zu Recht denkmalgeschützten Beethovenhalle. Wir Sechzigjährigen, die von den Effizienzzielen der Agenda 2010 bereits erfasst wurden und daher den Gürtel etwas enger zu schnallen haben, drücken den Altersdurchschnitt drastisch, wenn Beethoven auf dem Programm steht. Überm Horizont des Silbersees nehmen alle Programme, die sich „Zukunftsmusik“ nennen, den Charakter von Durchhalteparolen an.

Die Organisatorin der neuesten Bonner Zukunftsmusik, Ilona Schmiel, hat sich oder den Köpfen in ihrem Kreativ-Team einen Rekurs auf das erste Bonner Beethovenfest 1845 einfallen lassen: eine Hommage auf dessen Hauptbetreiber Franz Liszt, den Schwiegervater der Zukunftsmusik. Der in den 1830er Jahren zum Inbegriff des Virtuosen avancierte Klavierspieler und bereits recht profilierte Komponist, noch recht unerfahren als Dirigent, beraumte zur Einweihung des von ihm in Höhe von 2.666 Thalern mitfinanzierten Beethoven-Denkmals im August 1845 ein Mammut-Programm an – einen großen Querschnitt durch das Schaffen des in Bonn geborenen, jedoch schon in jungen Jahren für immer nach Wien ausgewanderten Ludwig van Beethoven.

Noch wenige Tage vor der Denkmalsenthüllung auf dem Bonner Münsterplatz gab es keinen Raum für die geplanten Festkonzerte, bei denen Liszt eine zentrale Rolle spielte (er teilte sich dann aber solidarisch die Leitung mit dem alten Louis Spohr). Erst Ende Juni 1845 wurde vom Festkomitee der Kostenvoranschlag einiger ortsansässiger Handwerksmeister in Höhe von 11.000 Thalern zur Errichtung einer hölzernen Halle in der Nähe des Koblenzer Tors akzeptiert. Das Provisorium für angeblich rund 3.000 Hörer auf Schrannen- und Stehplätzen wurde bald nach dem Fest wieder demontiert (es wurde das Vorbild für das als Scheune konzipierte Festspielhaus Richard Wagners).

Das mehr als dreistündige Programm vom 12.8.1845 wurde jetzt anlässlich des 200. Geburtstags des Superstars Liszt rekonstruiert. Ivor Bolton setzte mit dem Concerto Köln und der „Coriolan“-Ouverture zunächst deutliche dynamische Signale, arbeitete sich dann mit beschwingtem Elan durch die fünfte Symphonie c-moll op. 67, fuhr fort mit Ausschnitten aus der Oper „Fidelio“ sowie aus dem Oratorium „Christus am Ölberge“ und kehrte nach dem als Repräsentanten der Beethovenschen Kammermusik verabreichten „Harfenquartett“ zum fünften und letzten Konzert für Klavier und Orchester ans Dirigentenpult zurück.

Schon zu Lebzeiten rückte „unser Beethoven“, wie ihn die in Mainz erscheinende Zeitschrift Cäcilia kumpelhaft nannte, zum „großen Heros der Instrumentalmusik“ auf. Welche Nation, fragte das Blatt, habe seinen Instrumentalwerken „etwas an die Seite zu stellen“ und „sind nicht all diese unser teutsches Nationaleigenthum?“ Der aufkeimende Nationalismus im politisch zersplitterten Deutschland bediente sich Beethovens, so wie er das Nationalbewusstsein mit Stücken wie „Wellingtons Sieg“ bediente. „Er hört nur auf, wo die Kunst aufhört“, verkündete Franz Grillparzer an der Schwelle von Beethovens Leben zum Nachleben. Sein Name sei, wie sonst nur der göttliche, unauslöschbar: „So wird er leben für alle Zeiten“, skandierte der Dichter im Kirchenton, „der Name Beethoven, der herrlichste Wappenschild, purpurner Herzogsmantel und Fürstenhut“.

Fürstenhüte stellten sich in ausreichender Zahl ein, als im August 1845 das Denkmal eingeweiht wurde, das der mäßig talentierte Dresdner Bildhauer Ernst Julius Hähnel gefertigt hatte (statt des von Liszt favorisierten Lorenzo Bartolini – aber so piefig ist Bonn halt schon immer gewesen). Nicht nur so berühmte Klaviervirtuosen wie Marie Pleyel und Ignaz Moscheles gaben sich die Ehre, Komponisten wie Meyerbeer und Berlioz, Kritiker wie François-Joseph Fétis aus Brüssel oder Ludwig Rellstab aus Berlin, sondern auch Königin Victoria von Großbritannien mit Prinzgemahl Albert und der preußische König Friedrich Wilhelm IV., die eine distinguierte Abneigung gegen Frankreich verband.

Überhaupt darf eigentlich nicht ignoriert werden, dass sich die Bonner Denkmalsaktivitäten in eine Kette politisch-kultureller Bekundungen einreihten: 1840 lobte ein Kölner Verleger ein Preisausschreiben aus für ein Kampflied, das die Funktion einer Hymne für die (noch) nicht existierende deutsche Nation einnehmen sollte (den preisgekrönten, schroff antifranzösischen Text des Kölner Gerichtsschreibers Nikolaus Becker, „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“, vertonten mehr als 150 Tonsetzer, unter ihnen Robert Schumann). 1841 setzte August Heinrich Hoffmann (von Fallersleben) sein gleichfalls in antifranzösischer Ranküne gereimtes „Deutschland, Deutschland, über alles“ in die Welt. 1842 wurde der Grundstein für den Weiterbau des Kölner Doms gelegt und unter Liszts tätiger Mithilfe das Geld zusammengeklingelt, um nicht zuletzt den westlichen Nachbarn mit dem verlängerten Monument deutsche „Kraft und Sendung“ (Heine) vor Augen zu führen. 1843 gedachte Preußen des 1000. Geburtstags des römisch-deutschen Reichs (d.h.: des Vertrags von Verdun, der angeblich die „Erbfeindschaft“ begründete). 1844 ließ Friedrich Wilhelm das Fach ‚Leibeserziehung’ zur militärischen Ertüchtigung in den Schulen einführen und erzwang von der französischen Regierung zugleich die Verfolgung der oppositionellen deutschen Emigranten, die in Paris nicht eben für ein preußenfreundliches Klima sorgten. Die Bonner Denkmalseinweihung 1845 fügte sich also nicht nur zu einer Parade hoffärtiger Beethoven-Hypertrophie, sondern – wiewohl von Liszt so nicht konzipiert – in die angedeutete Linie politischer Mobilisierung.

Die angebliche Rekonstruktion

Wie damals so folgte auch 2011 auf die „Coriolan“-Ouverture op. 62 die Symphonie c-moll op. 67, in der eine besonders kriegerische Epoche zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachhallt. Die Fünfte wurde 1808 uraufgeführt, als die französischen Truppen von britischen sowie einheimischen Verbände aus Portugal vertrieben wurden und Spanien blutete: ein englisches Expeditionskorps unter Arthur Wellesley (er wurde später zum Herzog von Wellington befördert, dessen Sieg Beethoven feierte) unterstützte einen Aufstand gegen das Vasallen-Regime von Napoléons Bruder Joseph; die vom Kaiser persönlich kommandierte Grande Armée intervenierte, wurde aber in einen langwierigen Guerillakrieg verstrickt und musste stark dezimiert abziehen; zugleich tobte im Zuge des Kampfs gegen die französische Hegemonie und die mit Napoléon verbündeten Mächte in Nordeuropa ein Zweifrontenkrieg: Schweden wurde nach dem Abkommen von Erfurt zwischen Napoléon und Zar Alexander I. im Nordosten von russischen Einheiten angegriffen (die Finnland annektierten) und einen Tag nach Regierungsantritt des Königs Christian VI. von Dänemark im Südwesten. Dieser gleichsam „objektive“ Hintergrund der „Schicksalssinfonie“ ist angesichts einer Publizistik, die sich allzu einseitig aufs Subjektive kaprizierte, so gut wie ganz in Vergessenheit geraten. Auch, dass und wie sehr gerade diese so strikt durchgearbeitete Symphonie der staatstragenden Rhetorik des österreichischen und deutschen Kaiserreichs diente.

Durchaus in Erinnerung aber dürfte noch sein, dass das Werk dieselbe Funktion auch den großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts erfüllte – in Europa wie in Asien. Es gehört schließlich zu den abgründigen Aperçus der Musikgeschichte, dass die Hauptkundgebung bei der Übergabe der britischen Kronkolonie Hongkong im Juli 1997 von den örtlichen Behörden in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Pekinger Machthabern mit schmerzhaft lautem Lautsprechereinsatz und dem oftmals wiederholten da-da-da-daah der Symphonie op. 67 unterdrückt wurde. Den mehr als hundertjährigen Ge- und Missbrauch kann gerade die „Fünfte“ nicht einfach abschütteln. Auch nicht, wenn sie durch die Exekution nach Spielregeln des frühen 19. Jahrhunderts gleichsam in einen „Zustand der Unschuld“ zurückversetzt, durch sportives Spiel, vibratolose Streicher und überhaupt einen schlanken Orchesterton von Pathos-Überwölbungen und die Erinnerung an Lautstärketerror befreit werden soll.

Das Concerto Köln absolvierte die Orchesterpartien des langen Abends durchgängig mit Verve (die Fagottisten aber, mit Verlaub, sollten ihre Geräte überholen lassen oder nochmals üben).

In einem symphonischen Konzert des frühen 19. Jahrhunderts durften die Gesangseinlagen nicht fehlen. Sie wurden damals bevorzugt von örtlichen Kräften bestritten. Dem blieb die Aufführungspraxis auch jetzt in Bonn treu. Vorwiegend niederrheinische Sänger absolvierten jetzt den Quartettkanon aus der Oper „Fidelio“ op. 72 (1814; bzw. „Leonore“ 1805/06). In Wechselwirkung mit dem Chorus Musicus Köln brillierte Chen Reiss mit makelloser Stimme und unverständlicher Aussprache als Seraph des Oratoriums „Christus am Ölberge“. Warum freilich in Abänderung des Programms vom August 1845 das Konzert nicht mit dem „Fidelio“-Finale und dessen Rettungs-Metaphorik schloss, bleibt unerfindlich. Selbst in Hinsicht auf die Programmfolge, mithin dem Elementarsten, wurde historische Zuverlässigkeit also von den Veranstaltern des Beethovenfestes 2011 für Allotria erachtet.

Wie selbstverständlich erfolgte die heutige Bonner Denkmalspflege mit einem Instrumentarium, das an den „Originalklang“ erinnern sollte. Dies gilt insbesondere auch für das auf Darmsaiten spielende Kölner Pleyel Quartett, das die bereits auf Beethovens Spätwerk verweisende Fragilität des 1809 entstandenen op. 74 der viel zu großen Beethovenhalle anvertrauen musste. Ein reflektierte Reaktivierung der in ihrer Historizität ernstgenommenen Musik müsste nicht nur die akustischen Relationen am jeweiligen Aufführungsort bedenken, sondern auch dem Umstand Rechnung tragen, dass sich die Wahrnehmung in den letzten zweihundert Jahren durch die generelle Anhebung der Geräusch- und Musik-Pegel veränderte. Der Rezensent entwickelte jedenfalls in der von allen Seiten behusteten Reihe 15 des Parketts während der Darbietung das dringende Bedürfnis, das „Harfenquartett“ mit denselben Interpreten – Ingeborg Scheerer, Milena Schuster, Andreas Gerhardus, Nicholas Selo – in sinnvollem Rahmen nochmals zu hören.

Die Betreiber des Bonner Nostalgiekonzerts klärten nicht, ob durch ihre Bemühung das Klangbild in der Entstehungszeit der Werke zu Beginn des 19. Jahrhunderts rekonstruiert werden sollte oder das zum Zeitpunkt der Denkmalseinweihung. Die Frage ist entscheidend, denn in diesen vier Jahrzehnten machten der Instrumentenbau und die Klangkultur der Orchester eine rasante Entwicklung durch. Die Bonner Rekonstruktionsbemühungen beschränkten sich auf die musikalischen Buchstaben des Festprogramms vom Sommer 1845. Den gesellschaftlichen und politischen Kontext blendeten sie aus. Heinrich Heine kritisierte die in den eingangs erwähnten politischen Rahmen gezwängten Lisztschen Auftritte am Niederrhein mit klaren Worten in treffsicheren Versen. Denn das Bonner Denkmal und die ihm zugedachten Feierlichkeiten waren nun einmal keine „rein musikalische“ Angelegenheit (und rein ohnedies nicht), sondern Propaganda für jenes „Wesen“, an dem dann durch zwei Weltkriege die Welt genesen sollte (aber gar nicht wollte). Und die Beethoven-Rezeption nimmt in der dazugehörenden Ideengeschichte eine Schlüsselstellung ein.

Beethoven und Speer

Von der fälligen Auseinandersetzung mit all dem war in der Bonner Beethovenhalle jetzt kein Hauch zu spüren. Dabei spielt es keine Rolle, ob die für das gar unter den anmaßenden Titel „Zukunftsmusik“ gestellte Programm verantwortliche Intendantin ahnungslos ist oder sich opportunistisch verhält, weil sie annimmt, dass ihre Klientel an deutschnationalistische Fatalitäten nicht erinnert werden will. Die Isolation des „reinen“ Musikprogramms aus seinem sinnstiftenden Zusammenhang deutet an, dass da – um es mit einer gendertechnisch korrekten Form der volkstümlichen Formel zu sagen – die Geiß zur Gärtnerin gemacht wurde. Als freilich am Ende eines langen Abends Alexander Melnikow das fünfte und letzte Klavierkonzert Beethovens schließlich auf einem klangschwach schollernden, silbrig sich mühenden braunen Klavier mit beglückender Bravour absolvierte, war wieder einmal deutlich, wie dreifach vertrackt das ist mit der Geschichte der heroischen deutschen Musik: Das Monumentale schnurrte zum Kauzigen zusammen.

Harry Mulisch, der spätestens 1992 den Literatur-Nobelpreis hätte bekommen müssen, bemerkte in seinem Roman „De Ontdekking van de Hemel“, dass das Gigantische „immer mit dem Tod zu tun habe. Das Kolosseum sei gebaut worden mit dem Wissen, daß darin Menschen und Tiere umkämen; die riesige Engelsburg sei von Hadrian als Mausoleum für sich und seine Nachfolger erbaut worden. Das Gigantische habe seinen Ursprung in Ägypten, wo das ganze Leben auf das Totenreich ausgerichtet gewesen sei.“ Die Linie des Colossalen wird weiterverfolgt bis zum „Stein gewordenen Ausdruck des Massenmords“ – den Entwürfen, die Albert Speer für die Nazi-Diktatur anfertigte. Anders aber als diese Skizzen, die historisch obsolet wurden, nahm Beethoven bis zum großen Verfall seines Kurswerts am Ende des 20. Jahrhunderts im Seelenhaushalt des ästhetisch Kolossalen eine Marktführerposition ein.

Die Begriffs- und Hilflosigkeit der Bonner Festival-Managerin, die sich in den Publikationen des Beethovenfests stereotyp als blondes Model der örtlichen Sparkasse konterfeien lässt, mag so branchenüblich sein wie die Bonuszahlungen für die Sparschweinchen. Wollte die Bundesstadt ernsthaft ihrem Niedergang entgegenwirken, würden ihre Verantwortlichen auf Abhilfe sinnen.

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