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Foto: A.T. Schaefer
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Ein Leidens- und Hoffnungsmahnmal - Janáčeks „Jenůfa“ in Augsburg

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Als die Frankfurter Polizei im Rhein zwischen Ludwigshafen und der holländischen Grenze nach einer Kindsleiche suchen ließ, fanden die Behörden 38 tote Babys im Wasser. Das war 1899. Gewiss ist nach über 100 Jahren ein uneheliches Kind kein ausschließliches Mordmotiv mehr. Doch inhumane Moralvorstellungen gewisser Religionen oder staatliche Ein-Kind-Politik lassen das Thema nicht „vorgestrig“ werden - also eine „Jenůfa von Heute“ möglich.

Ausstatter Johannes Leiackers Kostüme zeigen Figuren von einem heutigen, kleinbürgerlich bäuerlichen Zuschnitt, wo man sich nur für Feiern wie eine Hochzeit „schick“ – und prompt etwas grell und ungekonnt „schön“ – herausputzt. Doch Regisseur Peter Konwitschny will auch die zeitlose Gültigkeit einsichtig machen und so verlegen Leiacker und er die Handlung auf eine fest leere, schräge Drehbühne. Der Bühnenboden signalisiert im 1. Akt eine grüne Wiese: Sommer - Jenůfa ist vom Dorf-Stenz Stewa schwanger und ihren Glücks-Rosmarin hat der eifersüchtig liebende Laca eingehen lassen. Schnee bedeckt den Boden im 2. Akt: Winter – das Kind ist heimlich geboren und wird von der Küsterin „unters Eis“ gesteckt, um die Ehe Jenůfas mit Laca möglich zu machen. Erstes Grün spitzt zwischen den alten Blättern für den 3. Akt hervor: Frühling – Hochzeit, ein neuer Glücks-Rosmarin von Laca für Jenůfa und die Entdeckung der Kindesleiche. Auf der Bühnenschräge kreisen ansonsten nur ein schlichtes Bett und ein Holztisch mit verschiedenen einfachen Holzstühlen. Ohne jegliche „postdramatische“ Hinzufügungen füllt Konwitschny den Bühnenraum: durch seine hoch differenzierte und folglich hochexpressive Personenregie.

Über zwei, drei Spielzüge würde der Musiktheaterfreund gerne mit ihm diskutieren: Ist der ja wie ein Eisschock komponierte Auftritt der Moralinstanz „Küsterin“ am Höhepunkt der ausgelassenen, prompt ausartenden und sexuell deftigen Tanz-Orgie nicht musikdramatisch verschenkt, wenn sie durchweg schon am Tisch sitzt? Wird nicht ein bisschen viel unter dem Tisch gehockt, gekrochen – bis hin zu Laca, der so wohl schon im 1. Akt von Jenůfas Schwangerschaft hört? Doch all das wird unwichtig angesichts der Wucht der Hauptzüge. Sally du Randts Jenůfa spielt durchaus auch ein bisschen keck und kess mit ihren Reizen – auch vokal. Jo-Woon Kims Stewa ist ein noch schwächlicherer Jung-Alkoholiker als viele Rollenvorgänger. Mathias Schulz als Laca zeichnet Konwitschny nicht als unglaubwürdigen Gutmenschen, sondern bullig-entschieden: wenn er liebt, dann steht er dazu (leider tenoral nicht glänzend).

Zu einem Höhepunkt wird der Kindsmord der vokal fulminanten Küsterin von Kerstin Descher. Ihre rechte Hand, die das Kind unters Eis geschoben hat, zittert wie ein dauernder Hinweis auf die Untat – nicht mehr zu verstecken. Als sie im finalen Gewitter des 2. Akts plötzlich den Tod draußen vor dem Fenster imaginiert, steigt sie auf den Tisch, reißt sich die Kleider vom Leib und legt sich wie bereits „im Tod aufgebahrt“ bereit … Gänsehaut! Dementsprechend gönnt ihr Konwitschny im gleichsam „1. Finale“ des 3. Akts, als sie nicht den Selbstmord, sondern die gerichtliche Verurteilung wählt, den großen Abgang in C-Dur.

Konwitschny sieht das das „Stück des Leidens“ zu Ende und lässt den Vorhang bis auf einen Spalt zugehen. Doch er, der feinfühlige „Frauen-Regisseur“, hat genau gehört, dass Janáček auch der Komponist des „In jeder Kreatur ein Funke Gottes“ und eines dementsprechenden Hoffnungsstrahls ist: Jenůfa tritt aus diesem bisherigen Leben, vor den Vorhang, nach vorne an die Rampe, will Laca aus allen Verpflichtungen entlassen; doch der steht weiter zu ihr und gemeinsam gehen sie zu der neu ansetzenden Musik in leuchtendem B-Dur davon … (was Lancelot Fuhry gut, aber durchweg zu wenig nervös-kantig dirigierte). War all das schon anrührend gelungen, so nimmt der Musiktheaterfreund aber eine andere Szene mit: Als die Küsterin mit dem Kind zum Mord davoneilt, erwacht ja Jenůfa, sucht nach dem Kind und betet schließlich – da hat Janáček ein zu Herzen gehendes „Duett“ für die Sängerin und die Solovioline komponiert. Folglich lässt Konwitschny Agnes Malich im schwarzen Samtkleid aus dem dunklen Bühnenhintergrund und auf ihrer herrlich rund und füllig warm klingenden Geige mit der jungen Mutter „duettieren“ – der poetische, phantasievolle und zutiefst anrührende Höhepunkt des Abends, denn schließlich deutet die Geigerin hinunter zum die Melodie aufgreifenden Cello, dann zum Fagott und dem ganzen Orchester: ja, in aller Finsterkeit bietet Janáčeks Musik auch Hoffnung – unvergesslich!

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