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Michail Jurowski dirigierte in Gohrisch die Staatskapelle Dresden. Foto: Matthias Creutziger
Michail Jurowski dirigierte in Gohrisch die Staatskapelle Dresden. Foto: Matthias Creutziger
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Eine Oase des künstlerischen Gedenkens: zu den 4. Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch

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Musik im Zelt, das klingt nach Camping, nach Zirkus nach leichter Kost. Musik im Konzertzelt von Gohrisch ist hoher Anspruch, findet große Aufmerksamkeit und sorgt für weite Pilgerwege bis in die Sächsische Schweiz. Dort verfasste Dmitri Schostakowitsch 1960 in drei Tagen sein berühmtes Streichquartett Nr. 8 c-Moll. Dort gibt es seit 2010 Jahr für Jahr drei Tage lang das weltweit einzige Musikfest, das sich zielgerichtet mit Schostakowitsch befasst.

Die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch, sie sind aus der europäischen Festivallandschaft nicht mehr wegzudenken. Kaum ist der Jahrgang 2013 vorbei, schon freut man sich auf das fünfte Fest, das im Herbst nächsten Jahres seinen Platz im Festivalkalender einnehmen wird.

Drei Tage hatte der Komponist Dmitri Schostakowitsch für sein berühmtes 8. Streichquartett c-Moll gebraucht. Es ist das einzige Werk des 1906 in St. Petersburg geborenen und 1975 in Moskau verstorbenen Künstlers, das er außerhalb seines Heimatlandes schuf. Entstanden ist es in Gohrisch, einem kleinen Kurort in der Sächsischen Schweiz, wo Schostakowitsch 1960 logierte, um eine Filmmusik zu schreiben. Stattdessen brachte er sein wohl persönlichstes, durchaus biografisch zu verstehendes Stück zu Papier.

Jeweils drei Tage dauern daher auch die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch, die seit 2010 jährlich stattfinden und in diesem Jahr am letzten September-Wochenende auf enorme Resonanz stießen. Hervorgegangen ist dieses Kleinod unter den Musikfestivals aus einer Initiative aus den Reihen der Sächsischen Staatskapelle Dresden, deren Konzertdramaturg Tobias Niederschlag vom Geist dieses Ortes so fasziniert war, dass er engagierte Mitstreiter um sich sammelte und zahlreiche Unterstützer mit seiner Idee anzustecken vermochte. Genau fünfzig Jahre nach dem Entstehen des 8. Streichquartetts wurde mitten in Gohrisch der erste (und bis heute einzige) Schostakowitsch-Platz in Deutschland eingeweiht. Eine Bronzebüste des Komponisten erinnert dort heute an ihn.

Vom geradezu waghalsigen Start an übten die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch einen Sog sowohl auf Künstler – darunter nicht wenige Weggefährten des Meisters – als auch auf ein Publikum aus, das von überall her in den idyllischen Kurort strömt. Wenn in diesem Jahr neben Dmitri Schostakowitsch vor allem Benjamin Britten und Krzysztof Meyer auf dem Programm standen, kündet das überzeugend von einer klar strukturierten Dramaturgie. Denn mit dem Festival sollen Perspektiven von und zu Schostakowitsch ermöglicht werden, ein hoher Anspruch, der kundige Hörerschaft heranzieht. Immer wieder erstaunlich ist deren ungeteilte Aufmerksamkeit im großen Konzertzelt, das eigens zum Festival aufgestellt wird.

So vielfältig die Beziehungen zwischen Britten und Schostakowitsch gewesen sind, so klangvoll wurde nun die Musik der beiden ins Verhältnis gesetzt. Hintergrundinformationen aus erster Hand lieferte dazu ein Vortrag der britischen Rostropowitsch-Schülerin Elizabeth Wilson, die einst als Tochter des britischen Botschafter private Gespräche der Komponisten und des großen Cellisten dolmetschen durfte. Plötzlich war die von Wilson vorgetragene 3. Cello-Suite Brittens wie mit anderen Ohren zu hören.

Eine weitere Grande Dame des Violoncellos verband die von Systemgrenzen nicht zu trennende Musik der befreundeten Künstler unmittelbar: Natalia Gutman spielte aber nicht nur Britten und Schostakowitsch, für ihr Lebenswerk erhielt sie auch den diesjährigen Internationalen Schostakowitsch Preis Gohrisch. Der ging damit – nach Rudolf Barschai, Kurt Sanderling und Michail Jurowski – erstmals an eine Frau und erstmals an eine Instrumentalistin. Natalia Gutman revanchierte sich mit der Bemerkung, Gohrisch sei zu einem „Fixpunkt der Musikgeschichte“ gewachsen.

Dort musizieren neben internationalen Gästen auch Mitglieder der Staatskapelle, so schon regelmäßig das Sächsische Streichquartett, dem Jahr um Jahr ein weiteres Schostakowitsch-Quartett anvertraut wird. Diesmal war Nr. 15 zu hören, das letzte Werk dieser Gattung, von der Schostakowitsch analog zu Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ eigentlich 24 Stücke zu schreiben vorhatte. Das 16. sei schon konzipiert gewesen, berichtete er wenige Monate vor seinem Tod dem Freund und Biografen Krzysztof Meyer.

Der polnische Komponist, dem Festival in Gohrisch alljährlich verbunden, verfasste auf Grundlage dieses Gesprächs in den 1990er Jahren sein Quartett „Au délà d'une absence“ – die spannende Idee einer Fortsetzung, dennoch ganz und gar eigenständig. Als Auftragswerk dieses Musikfestes kreierte Meyer sein Chorkonzert „Nehmt hin die Welt!“ nach Friedrich Schiller, das – ein weiteres Novum in diesem Jahr – bei einem Wandelkonzert unter freiem Himmel a capella erklang.

Von zentraler Bedeutung waren Kammermusik und Orchesterwerke, in denen die Staatskapelle unter Michail Jurowski Brittens „Lachrymae“ und „Young Apollo“ mit Schostakowitschs 14. Sinfonie und Arvo Pärts „Cantus in Memory of Benjamin Britten“ schlüssig verband. Großartige Solisten wie der Pianist Igor Levit sind zum wiederholten Mal in Gohrisch gefeiert worden, wo übrigens alle Mitwirkenden lediglich für ein symbolisches Frackgeld auftreten. Auch diese Überzeugungsarbeit ist ein Verdienst nicht zuletzt von Tobias Niederschlag, der als Künstlerischer Leiter der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch bereits den fünften Jahrgang vor Augen hat. Versprochen sind schon jetzt drei unvergessliche Tage im Herbst.

MDR Figaro sendet am 4. Oktober ab 20.05 Uhr einen Querschnitt des Festivals
 

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