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Einfach kompliziert: Porträtkonzert zu Milko Kelemens 85. Geburtstag in Stuttgart

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Der kroatische, heute in Stuttgart lebende Komponist Milko Kelemen antwortete kürzlich in einem Interview auf die Frage, woran man ein gutes Musikstück erkenne: "an der Liebe." Im Stuttgarter Porträtkonzert anlässlich seines 85. Geburtstags, das Kirchenkreiskantor Jörg-Hannes Hahn im Rahmen seiner ambitionierten Konzertreihe "Musik am 13." in der Stadtkirche Bad Cannstatt leitete, dürfte sich Kelemen auf Interpretenseite vieler Brüder und Schwestern im Geiste sicher sein.

Vor allem der Geiger Joachim Schall, der sich an diesem Abend Kelemens fantasieartiges Violinsolostück "Incanto" von 2004 vorgenommen hatte, ist ein Musiker, der stets mit sehr viel Liebe an neue Werke herangeht. Dank seiner profunden Beherrschung seines Instruments und seines schönen, warmen Tones glückten ihm die schnellen, sprudelnden Läufe genauso delikat wie die frei sprechenden Tonfälle oder die in ihrer Faktur oft an Bachs mehrstimmige Violinsolowerke erinnernden Passagen. Selbst Geräuschhaftes, das Kelemen mit Vorliebe in seine Stücke integriert, klingt bei Schall so, als verzehre er gerade eine schmackhafte Speise.

Kelemens Musik ist fasslich. Von "komplizierter Einfachheit" spricht er, wenn er erklären möchte, warum er sich schon früh von der Dodekaphonie und dem Serialismus abgewandt hat, um seinen eigenen Weg zu gehen und um dem Intellekt wieder das Gefühl zur Seite zu stellen. Neuartige Gestaltung könne auch ohne komplizierte Kompositionstechniken erreicht werden: mit musikalischen "Archetypen", die fest im kollektiven Unbewussten verankert seien, so Kelemen frei nach C.G. Jung.

Vielleicht gab das "Inferno di Dante. Canto III" für Mezzosopran und Gong von 2003 diese Ästhetik am besten wieder: Christoph Haas entlockte dem Gong mit Händen und Schlegeln schillernd-farbige Klänge, die sich langsam ins Infernalische steigerten. Spätestens da setzte das Zwiegespräch zwischen dem Gong und dem aufwühlenden Sprechen und Singen der Vokalistin Stephanie Haas wahrhaft archaische Gefühle frei.

In "Daniel" für Doppelchor a cappella, das in den Jahren 2007/08 entstand und an diesem Abend uraufgeführt wurde, nahm Kelemen Auszüge aus dem biblischen Buch Daniel und dem 130. Psalm ("De profundis clamavi"), splittete den Text in kleine Teile und ließ ihn eine detaillierte vokale Bearbeitung durchlaufen. Der Chor Cantus Stuttgart unter der Leitung von Jörg-Hannes Hahn konnte jetzt beweisen, dass er sich zu einem Spezialisten für Neue Musik entwickelt hat. Denn das Stück verlangt neben dem traditionellen chorischen und solistischen Einsatz der Stimmen die unterschiedlichsten Artikulationsarten wie Sprechen, Flüstern, Schreien, lautes Atmen, Glissandi und das Singen in Vierteltönen. Gelegentlich werden auch Rhythmusinstrumente zur Akzentuierung eingesetzt.

Zu Beginn hatte Jörg-Hannes Hahn an der Orgel Kelemens kagelndes, anarchisch humoristisches "Fabliau" von 1972 zum Besten gegeben: Fröhlich, bunt und glitzernd sprudeln hier die Läufe in allen Lagen, werden kontrastiert mit deftigen, oft brüllenden Clustern. Und immer wieder dringt die Stimme des Organisten aus den Lautsprechern, der sein eigenes Spiel mit einem Lachen oder Schnaufen bedenkt und es zuweilen sogar niederbrüllt. Sehr unterhaltsam!

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