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Die Verurteilung des Lukullus an der Staatsoper Stuttgart. Foto: Martin Sigmund
Die Verurteilung des Lukullus an der Staatsoper Stuttgart. Foto: Martin Sigmund
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Entfesselte Bilderflut: Die „Verurteilung des Lukullus“ von Paul Dessau und Bertolt Brecht in Stuttgart

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An ihrem Titel sollt ihr sie erkennen – so könnte man ein bekanntes Bibelzitat auf diese Oper übertragen. Was Paul Dessau (1894-1979) und Bertolt Brecht (1898 – 1956) als „Verhör des Lukullus“ am 17. März 1951 in Ostberlin vor einem politisch handverlesenen Publikum als geschlossene Premiere vorstellten, sollte nach dem Willen von Funktionären der Staatspartei eigentlich ein Eklat werden, um einen offiziellen Grund zu haben, das Stück nicht herauszubringen. Mit einer dialektischen Pointe, die von Brecht erfunden sein könnte, wurde die Aufführung aber zum Erfolg.

Viele der ausgegebenen Karten waren nämlich am Ende in die Hände von Musikliebhabern gelangt, die die Novität zu schätzen wussten. Brecht und Dessau wurden dennoch am 24. März 1951 sogar vom damaligen Staatspräsidenten Wilhelm Pieck zum „Gespräch“ gebeten, sprich „bearbeitet“. Um die öffentliche Premiere zu ermöglichen, änderten sie vor allem den Titel programmatisch in „Die Verurteilung des Lukullus“. Das „Ins Nichts mit ihm!“ als Urteilsspruch wurde so zum Ausrufezeichen hinter der Brechtschen Lehrstunde über die Moral der Akteure der Geschichte. 

Als „Die Verurteilung des Lukullus“ kam es schließlich am 12. Oktober 1951 auf die Bühne des Berliner Admiralspalastes, der damaligen Spielstätte der Staatsoper Unter den Linden. Dass sie insgesamt nach zehn Vorstellungen wieder bis 1957 in der Versenkung verschwand, hat nichts mit ihrer Wirkungskraft oder der Qualität zu tun, sondern illustriert die Wellenbewegungen der DDR-Kulturpolitik. Erstaunlich bleibt auch im Rückblick, welche Bedeutung die politische Führung im Osten Deutschlands den Künsten zumaß bzw. welche Furcht sie umtrieb, dass aus dieser Ecke ihre Macht angegriffen werden könnte. 

Brecht und Dessau stellen in der Geschichte den römischen Feldherren Lukullus nach seinem Tod vor ein Gericht in der Unterwelt, vor dem dann vor allem die Opfer seiner Feldzüge aussagen. Im Grunde ist das ein Blick auf die Geschichtsschreibung, die schon Goethe bei seinem „Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist“ umtrieb und den Brecht klassenkämpferisch zuspitzte. 

In Stuttgart beginnt alles zunächst mit einem Chaos im Foyer. Bei der ersten Vorstellung nach langer Zeit mit vollem Haus, ist der Organisationsapparat der Staatsoper offensichtlich so eingerostet, dass zumindest an den Kassen nichts so reibungslos wie sonst immer funktioniert und die Vorstellung nur mit einer erheblichen Verspätung beginnt. Dafür kann das Theaterkollektiv mit dem programmatischen Namen „Hauen und Stechen“ (unter Führung der Regisseurinnen Julia Lwowski und Franziska Kronfoth) nicht verantwortlich gemacht werden. Dass die Türen zum Foyer erst mal offen bleiben und ein Trauer- und Klagechor im Stile antiker Klageweiber außen den Saal umrunden und von da auf die Bühne stürmen, gehört dann aber dazu. Es ist der Auftakt einer recht turbulenten Bühnenshow, die keinen assoziativen Einfall auslässt, um zu illustrieren, was der Krieg so an Schrecken bietet. Das gilt auch für die Kostüme, bei denen sich Yassu Yabara aus allen Ecken der Welt und Epochen bedient. Einstürzende Neubauten auf den eingespielten Videos, vorwärts und rückwärts laufend, inklusive.

Zunächst wird der römische Heerführer Lukullus pompös zu Grabe getragen, was er (in der Großaufnahme seines noch lebendigen Gesichts erkennbar) angemessen findet. Der dann in die archaische Gruft verfrachtete Leichnam ist das eine. Er selbst regt sich im rot ausgeschlagenen Wartezimmer zur Schattenwelt darüber auf, dass er hier wie jeder andere behandelt wird. Sopranlegende Cheryl Studer hat hier einen berührenden Auftritt als mahnende alte Tertullia. Zum Ärger kommt die Verblüffung, als er dran ist und sich vor einem Gericht findet, dessen Schöffen aus der römischen Unterschicht rekrutiert sind.

Vom Fischweib (Maria Theresa Ullrich) und der Kurtisane (Deborah Saffery) über den versklavten Lehrer (Philipp Nicklaus) bis zu Bäcker (Heinz Görig) und Bauer (Jasper Leever) fördern diese Schöffen mit ihren Fragen an den Angeklagten wenig Entlastendes zu Tage. Sein Wunsch-Entlastungszeuge Alexander der Große ist nicht aufzutreiben. Auch der stattdessen ins Feld geführte Fries mit seinen Heldentaten geht nach hinten los, weil das Gericht die dort Dargestellten als Zeugen aufruft. Das einzige, was ihn entlastet, hängt mit seiner menschlichen Schwäche zusammen. Als Genussmensch hat er seinem Koch Lasus (Torsten Hofmann) freie Hand bei seinen Kreationen gelassen und ihn so gleichsam zum Künstler gemacht. Der Kirschbaumträger (Elliott Carlton Hines) preist natürlich die Segnungen dieses Baumes, der als Kriegsbeute von Asien nach Europa kam – sozusagen ein Kollateralnutzen. Das Fischweib freilich lässt nicht zu, dass die Kriegstoten (darunter ihr Sohn) gegen diese Bereicherung des Speisezettels verrechnet werden. Bei der Vernehmung wird klar, dass siegreiche Eroberungen vor allem Zerstörung bedeuten. Das Argument, er habe den Reichtum Roms vermehrt, provoziert die Frage, in wessen Taschen denn das Gold gelandet ist. …. Brecht pur eben.

Am Ende des Prozesses ist das Urteil dann doch eindeutig und lautet „Ins Nichts mit ihm!“ Obwohl Brecht ursprünglich ja das Urteil den Zuschauern überlassen wollte. Doch – frei nach der Dreigroschenoper – die Verhältnisse, sie warn nicht so! Obwohl auch der Satz „vom Vorhang zu und alle Fragen offen“ von Brecht stammt. 

Die politische Didaktik von Brecht ist bei alledem mehr ihrer Entstehungszeit verbunden, als die aufwühlende prägnante Musik von Paul Dessau mit ihrer streichersparsamen bläser- und schlagwerkbetonten Instrumentierung, samt des für einen futuristischen Touch sorgenden Trautoniums. Gerhard Siegel (der ohne viel Maske einen glaubwürdigen Bismarck abgeben würde) ist in der Rolle des Lukullus der grandios, vokal auftrumpfende und kraftvoll spielende Mittelpunkt des Riesenensembles und reist es mehr oder weniger mit.

Bernhard Kontarsky am Pult der Musiker des Staatsorchesters Stuttgart und auch die von Manuel Pujol einstudierten Choristen sorgen gemeinsam mit dem gesamten Protagonistenensemble dafür, dass das musikalische Fundament, die die außer Rand-und-Band-Ästhetik auf der Bühne aushält, mit dem diese Inszenierung die klare Zuspitzung der Autoren auf eine Bewertung von Geschichte bzw. der Ursachen und Folgen von Kriegen in einer allgemeinen Bilder- und Assoziationsflut eher auflöst und vernebelt als zuspitzt. Ob das Ufo, das hier am Ende einschwebt und die Nachgeborenen über das Chaos der Welt staunen lässt, um dann während des Schlussbeifalls wieder zu entfliehen, nun ein Zeichen der Hoffnung oder der Resignation sein soll, bleibt jedem selbst überlassen.

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