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Das notabu-ensemble bei nder Probe in der Düsseldorfer Tonhalle. Foto: Werner Brandt
Das notabu-ensemble bei nder Probe in der Düsseldorfer Tonhalle. Foto: Werner Brandt
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Europa, deine Ohren: die achte Biennale der Neuen Musik in Düsseldorf

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Ein Europabild zeitgenössischer Musik in vier Konzertabenden. Kuratiert, im Biennale-Rhythmus, von Komponisten und Interpreten der Szene, interpretiert vom notabu-ensemble neue musik unter Mark-Andreas Schlingensiepen. In der Rolle des Cicerone bisher: Siegfried Palm, Manfred Trojahn, Günther Becker, Friedrich Cerha, Heinz Holliger, Beat Furrer, Lukas Ligeti. In der achten Ausgabe nun mit Krzysztof Meyer ein polnischer Blick auf Europa.

„Es gab die Karten auf dem Tisch und auf jeder Karte gab es einen Titel und einen Komponisten.“ Merke: Kuratoren brauchen breite Küchentische, um Fragen zu beantworten wie: Wer darf aufs Fernreisegleis? Wer fährt mit wem? Wie starten? Welche Strecke nehmen? Wo ankommen? – Fragen, die für Krzysztof Meyer, als Komponisten wie als Kurator, essentiell sind. So hat er zur jüngsten „Ohren auf Europa“-Ausgabe rund 50 Karten erst gründlich gemischt, dann 30 auf den Tisch gelegt. Assistiert hat ihm dabei Ehefrau Danuta Gwizdalanka, Musikwissenschaftlerin und Mitautorin einer großen Lutoslawski-Monographie. Dass die Meyers in Düsseldorf konsequent als Team aufgetreten sind, stets gesprächslaunig, immer zu Scherzen bereit, hat dem grundsympathischem Kuratoren-Tandem viele neue Freunde gebracht. Atmosphärisch ließ die jüngste Düsseldorfer Neue Musik-Biennale somit keine Wünsche offen.

Es ist eine mutige, nicht ganz risikolose Idee, die Dirigent Mark-Andreas Schlingensiepen nun schon zum achten Mal auf die Beine gestellt hat. Immerhin mutet er seinen Mitstreitern zu, sich mit Haut und Haar auf eine jeweils andere Ästhetik einzustellen. In diesem Fall waren rund 30 Werke neu einzustudieren. Eine enorme Leistung, die das Ensemble unter Schlingensiepens Präzisionsdirigat durchweg souverän meisterte, auch dank bewährter Notabuisten wie Aki Komiyama (Violine), Holger Busboom (Klarinette), Dorothee Matthes (Violoncello), Yukiko Fujieda (Klavier). Doch zeigte auch diese Runde einer höchst anspruchsvollen Musik-Biennale einmal mehr, dass jede Kuratoren-Verpflichtung zwangsläufig bedeutet, eine Fahrkarte für einen Zug zu lösen, dessen Reiseroute einem bis zur Übersendung der Verbindungsdaten verborgen bleibt. Das kann, wie in der Vergangenheit unter Friedrich Cerha oder Heinz Holliger geschehen, zu Abstechern führen, bei denen sich alle Beteiligten, das Publikum inbegriffen, hochbeglückt die Augen reiben.

Was Krzysztof Meyer angeht, so ist das Utopisch-Überschießende nicht seine Sache. Die vier von ihm kuratierten Konzertabende zeigten eine ausgesprochen unprätentöse Handschrift, aus der so etwas wie ‚Tendenzen’ kaum ablesbar sind, womit sich andererseits ein Problem andeutet. Denn, wer möchte nicht wissen, wohin die Reise geht? Immerhin ist es der Ausgangspunkt, der für Meyer feststeht: das Ende der Avantgarde, auf das er mit dem Blick eines Chronisten schaut, der dieses Ende vor allem deswegen bedauert, weil damit Resteverwerter wie die Spezies der „Pop-Komponisten“ die Bühne betreten hätten. „Ideen für fünf Minuten. Werkstatt? Null!“ Womit für den auf „Handwerk“ und „Werkstatt“ schwörenden Krzysztof Meyer, allein der Versuch blieb, aus der Konkursmasse herauszufiltern, was sich dem „Mainstream der neuen Musik“ verweigert – und sei es um den Preis des Rückgriffs auf ältere Modelle des Komponierens wie sie etwa mit dem Namen des estnischen Komponisten Arvo Pärt verbunden sind, dessen „Fratres“ das Düsseldorfer notabu ensemble in einer Streichquartett-Fassung präsentierte.

Früher war doch alles besser! sagt nicht nur diese Musik. Ohren auf für diverse Sehnsuchtsblicke übers Nebelmeer. Ob mit Henri Pousseur aufs Madrigal in Gestalt von „Madrigal II“ für Flöte, Violine, Gambe und Cembalo oder ob mit Violeta Dinescus Ensemble-Werk „Auf der Suche nach Mozart“. Auch der von Meyer hochgelobte Landsmann Pawel Szymanski hatte sich den Regressionswurm gefangen, ein höchst resistenter Virus, der sich vor allem im Verdauungstrakt der Alten Meister aufhält, um in diesem Fall mit „Recalling a Serenade“ für Klarinette und Streichquartett überzuckertes Nostalgiegebäck in die Auslage zu bringen. Da hätte Birtwistles „Slow Frieze“ für Klavier und Ensemble zwar ein Gegengift sein können, nur war die Vorbereitungszeit zu kurz, um dieses höllisch schwer zwischen Klavier (Paolo Alvares), Bläsern, Streicher und Perkussion auszubalancierende Werk allen Ohren verständlich darlegen zu können.

Ansonsten wurde gespielt, was gefiel, unabhängig von Individual-Ästhetik oder vorhandener Binnenbezüge. Es gab Meyer-Favorits wie Niccolo Castiglioni, John Tavener oder den Niederländer Peter-Jan Wagemans. Überhaupt die Vorliebe für „Dissidenten“, für (wie Meyer sagt) „Outsider“, die unter den bekannteren Namen der älteren Generation zwangsläufig unorthodoxe Reihen generierten. Pärt, Dinescu, Kelemen, Xenakis, Pousseur, Kagel, Birtwistle. Sogar Stockhausen und Boulez waren vertreten, wobei sich Stockhausens „Kontra-Punkte“ für Ensemble und Boulez’ „Dérive I“ mit Kaija Saariaho und Per Norgard nun allerdings in einem ungewohnten Umfeld wiederfanden.

nmissverständlich indes zwei Leuchttürme, die Meyer gewissermaßen in der Brandung der Avantgarde aufgerichtet hatte: György Ligeti, dessen „Konzert für Horn und Kammerorchester“ dank einer Meistervirtuosin wie Marie-Luise Neunecker die achte Ausgabe der Düsseldorfer Biennale krönte sowie – Meyers Verbeugung vor dem Lehrer – Witold Lutoslawski, dessen „Jeux venetiens“ zum Höhepunkt des ersten, wenn nicht aller Festivalabende geriet.

Sich selbst hatte Meyer mit Hinweis auf seine breite öffentliche Präsenz nicht kuratiert – dafür mit Brigitta Muntendorf und Stefan Thomas zwei seiner Kölner Kompositionsschüler. Beide mit Werken, die das Unambitionierte, das Spielerische betonten, wobei Muntendorfs „Herbstszenen“ für Bariton und Klaviertrio, eine ironische Brechung romantischer Erwartungshaltungen, die Bruchkanten zum Nachdenklichen noch sichtbar machten. Anders „Esaltato“, ein Ensemble-Stück, das sich übers Jazz-Idiom hermacht, um es spielerisch auszuweiden, das, gewusst wie, den Klangeigenarten von Bläsern und Streichern nachspürt.

Zur ganzen Freude von Meyer und seinem (nicht mehr ganz) heimlichen Hindemith-Ideal, tritt Thomas auch hier als versierter Pianist seiner eigenen Werke in Erscheinung. Dabei scheint das Problematische eines solchen Vorgehens vielleicht doch übersehen als Meyer einen jungen Komponisten ausgerechnet mit einem Stück präsentiert, das dieser (wie vom Programmheft nachgerechnet) vor 16 Jahren für ein Dirigierexamen geschrieben hat. Gebrauchsmusik aus und (eingestandenermaßen) fürs Konservatorium. Gewiss, alles zu seiner Zeit. Nur, wie weiter mit Europas Ohren, wenn jetzt schon die Jungen wie die Alten singen (sollen)?


 

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