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Scharze Komödie in der Aufbahrungshalle: „Don Pasquale“ an der Komischen Oper. Foto: Monika Rittershaus
Scharze Komödie in der Aufbahrungshalle: „Don Pasquale“ an der Komischen Oper. Foto: Monika Rittershaus
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Frauenfantasien: Donizettis „Don Pasquale“ an der Komischen Oper Berlin

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Otto Julius Bierbaum, der meistvertonte Lyriker im frühen 20. Jahrhundert, warf seine Popularität, auch als Romancier und Librettist, in die Waagschale, um sich für eine italienische Oper einzusetzen und durch seine eigenwillige Fassung dazu beizutragen, dass sie auch im deutschen Sprachraum eines der meistgespielten Stücke des Musiktheaters wurde: Gaetano Donizettis Opera Buffa „Don Pasquale“.

„Lustig und himmlisch frech“, wie das von Bierbaum propagierte Überbrettl, präsentierte sich ab 1902 auf unseren Bühnen diese Fassung, die unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter an der Münchener National-Oper herauskam. Der Commedia dell’ arte-Stoff vom reichen Alten, der eine junge Frau heiratet, die sich als Furie entpuppt, so dass er froh ist, sie schließlich wieder los zu werden, wofür er willig auch einen Großteil seines Reichtums opfert, wurde häufig als Oper adaptiert, beispielsweise auch von Richard Strauss in „Die schweigsame Frau“.

Bereits Donizetti hatte diese Geschichte in seiner dreiaktigen Vertonung als Gegenwartsstoff verstanden, aber bei der Uraufführung, 1843 in Paris, vergeblich um Gegenwartskostüme gestritten. Heute, wo man zahlreiche historische Stoffe in die Gegenwart verlagert, fällt eine Opernhandlung, allein durch moderne Kostümierung, kaum mehr auf. Also musste Regisseurin Jetske Mijnssen zu drastischeren Mitteln greifen. In ihrer Sicht wird aus der Buffa eine bitterböse, schwarze Komödie, in der es vorrangig um Geld geht, was vielfältigen Sex, vom Quickie bis zum Vibrator Norinas, als Surrogat und Mittel zum Zweck nicht ausschließt. Entsprechend drastisch, aber auch witzig, die neue deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze: was bei Bierbaum noch lustvoll lüstern daherkommt, wird hier schlichtweg „geil“.

Als Einheitsraum (Ausstattung: Paul Zoller und Arien de Vries) dient eine Aufbahrungshalle, mit einem als Tresor und Versteck genutzten Sarg und einer Lasterhöhle darunter. Das Wetteifern um das Tempo der Handlung initiiert Donizetti, indem er die Führung des musikalischen Geschehens auf das Orchester überträgt. Hier ist Mauricio Barbacini am Pult ein starker Partner, analog der neuen Dramaturgie (Malte Krasting) mehr drastisch als fein, mit prestoartigem, aber nicht gehetztem Allegro, das schon nach der Ouvertüre für Jubel beim Publikum sorgte.

Dass man das plappernde Duett Nr. 13 doch auch in deutscher Sprache prestissimo singen kann, bewiesen extrem virtuos der grotesk durch Viagra hochgepumpte Pasquale von Jens Larson und Günter Papendell als Malatesta. Als völlig durchtrieben erweist sich die modebewusste Norina, nicht nur gegenüber dem greisen Gatten, sondern auch gegenüber einer Reihe von Liebhabern. Mehr als dem etwas dümmlich wirkenden Enrico ist sie nämlich – Malatesta in Leidenschaft verfallen.

Denn der Hausarzt Pasquales ist in dieser Inszenierung nicht nur, nomen est omen, ein schlimmer Zeuge, sondern auch der exzentrische Lover Norinas, doch seine Hauptmotivation ist es, sich das Geld seines Patienten selbst unter den Nagel zu reißen. Übler und durchtriebener und gleichzeitig stimmlich bravourös kann man diese Partie kaum gestalten, als es hier dem Bariton Günter Papendell gelingt, der auch im Adamskostüm seinen Mann steht. Adrian Strooper als Ernesto kommt erst off stage, mit der berühmten Serenade, so richtig in Fahrt. Diese Nr. 14 erklingt im italienischen Original, und an dieser Stelle sollte dann die Übersetzungsanlage in den Rücklehnen der Sitze zu ihrem Recht kommen, denn gesungen wird in deutscher Sprache so exakt verständlich, dass diese Hilfsmaßnahme sich ansonsten an diesem Abend als tautologisch erweist.

Wann wurde die kleinste Rolle in dieser Oper wohl jemals so mit Bravorufen gefeiert, wie hier, wo aus dem Natario kurz eine Notarin gemacht wurde, die vom baumlangen Bariton Ingo Witzke hinreißend als Mannweib verkörpert wird: eine aufgrund ihrer Größe benachteiligte Juristin, die sich, wie Norina, aber erfolglos, auf die Männer stürzt und daher die Liebe dem Geld vorzieht. Als Norina, quirlig und sexy im Spiel, locker in der Stimmführung, aber mit dramatischem Kern, rückt die junge Christine Karg auf in die Reihe erstklassiger deutscher Sopranistinnen. Der wunderbare gemischte Chor der Diener, hier eine ausgeflippte Partygesellschaft, beweint beim abschließenden Rondo als Trauergemeinde Don Pasquale im endlich artgerecht zum Einsatz kommenden Sarg.

Das Publikum der Komischen Oper Berlin, an ungewöhnliche Sichtweisen gewöhnt, dankt den sängerisch und darstellerisch bravourösen Leistungen, eingeschlossen Chor und Orchester, mit häufigem Zwischenapplaus und gestattet der bitterbösen schwarzen Komödie einen Publikumserfolg.

Weitere Aufführungen:
5., 20., 27. Februar, 11., 20. März, 5., 8., 1156. April, 6, und 15. Juli 2010.

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