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Foto: © Michael Trippel
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Geräuschvolles Seelengemälde – Uraufführung von Chaya Czernowins „Heart Chamber“ an der Deutschen Oper Berlin

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Erfreulich, dass die Deutsche Oper Berlin alljährlich einen Kompositionsauftrag für eine neue Oper vergibt. Die Wahl fiel diesmal auf die besonders erfolgreiche, 1957 in Haifa geborene Komponistin Chaya Czernowin. Deren erste Oper war – ein seltener Fall bei Neuschöpfungen – wiederholt inszeniert worden, unter anderem auch von Claus Guth, der damit für die Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin prädestiniert schien. Die extrem aufwändige Produktion wurde sehr positiv aufgenommen. Peter P. Pachl rezensiert.

Dass eine Oper so gut wie keine Handlung hat, selbst wenn der Komponist als Gattungsbezeichnung „eine Handlung“ gewählt hat, ist in der Musikgeschichte seit Richard Wagners „Tristan und Isolde“ nicht ungewöhnlich. Auch die Handlung der Dichterkomponistin Chaya Czernowin spielt, wie der erste Aufzug des „Tristan“, ausschließlich zwischen zwei Protagonisten und deren verlängerten Armen – dort deren Dienern, hier deren personifizierten „inneren Stimmen“ – , und Wagners Aufzug ist nur um weniges kürzer als die komplette neue Oper.

Was in der Handlung von „Tristan und Isolde“ der hermetische Raum ohne Fluchtmöglichkeit, das ist in der neuen Oper „Heart Chamber“ die Herzkammer: zwei Menschen, die sich begegnen und deren letzte Worte in der Opernhandlung – als einer Folge von Annäherungs- und Abstoßungsversuchen, Infragestellungen und Selbstdeutungsversuchen spezifischer Befindlichkeiten – „I love you“ sind. Die Parallelen sind zahlreich. Wie Isolde in der Vorgeschichte Tristans Schwert hatte fallen lassen, so lässt die Frau hier bei der ersten Begegnung etwas Zerbrechliches fallen, was der Mann aufhebt und ihr zurückgibt.

Setzt die Partitur von „Tristan und Isolde“ als Meisterwerk a priori Maßstäbe, so galt es für die israelische Komponistin, ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal zu finden: dieses ist nun eine eher stille Taktilität haptischer neuer Klänge bei enormem Aufwand. Ihre Geräusch-Partitur hätte Luigi Russolos Herz erfreut, mischt sie doch von der Schwelle des Unhörbaren über Hauchen und Flüstern bis hin zum verhaltenen menschlichen Schrei, was immer an Elementen ihr denk- und hörbar erscheint. Das klimpert und krächzt, klappert und ächzt, knarrt und scharrt, raschelt und prasselt, knistert und kürbäumt, zwar gemeinsam mit dem SWR Experimentalstudio Freiburg elektronisch verstärkt und leicht verzerrt, gleichwohl noch erkennbar. Dabei gilt Czernowins Vorliebe vordem in Opern unerhörten Elementen, wie den Zahnschwingungen diverser Kämme oder einem Herbstblatt.

Als einziger gemeinsamer Rhythmus aller Beteiligten erfolgen kollektive Schläge der Choristen mit Regenrohren, zusammen mit den jeweiligen Instrumenten des Orchesters. Der Spezialist für Avantgarde-Partituren Johannes Kalitzke leitet das die vielschichtige Klangkonvolut mit jener Feinabstimmung, die ihn seit je auszeichnet.

Der für seine Raumträume und Traumräume bekannte und geschätzte Claus Guth (glücklos nur mit „Salome“, ebenfalls an der Deutschen Oper Berlin) schien für diese Vorlage der optimale Regisseur zu sein. Sein Ausstatter Christian Schmidt hat zwei divergierende Aspekte des Geschehens auf die Drehbühne gesetzt: zum Einen zwei Wohneinheiten – die Frau in ihrer Küche, der Mann als Architekt am Arbeitsschreibtisch –, überlagert von einem gigantischen Screen mit Videos (rocafilm), in denen die Protagonisten vereinzelt durch Berliner Straßen flanieren; auf der anderen Seite des Bühnenaufbaus dann, grau in Grau eine monumentale, geländerlose Quertreppe vor einem Betonbunker. Da die Komponistin in einer Szene mit elektronisch kaum verfremdeten Bienenschwarm-Klängen arbeitet, finden diese sich auch als Projektion wieder, und da der Regisseur den zerbrechlichen, auf dem Boden liegenden Gegenstand als ein Honigglas deutet, fällt dieses in den unterschiedlich verlangsamten, repetierten Abläufen der Begegnungen zwischen Mann und Frau wiederholt auf der Mitte der Treppe zu Boden. Noa Frenkel und der Counter Terry Wey, als die personifizierten Gedanken der Protagonisten, agieren schattengleich in unscheinbarem Schwarz. Prominent be- und ins Licht gesetzt hingegen Patrizia Ciofi als Sie und Dietrich Henschel als Er.

Offenbar noch vor Kenntnis der Partitur hatte der Regisseur dem Publikum eine Achterbahnfahrt versprochen, bei welcher der Zuschauer erst am Schluss seinen Kopf wieder aufsetzen werde; aber Czernowins Weg in die Stille hatte – zumindest in der Reihe des Rezensenten – doch mehrere Besucher in Schlaf und eigene Träume getragen.

Berlin ist ja bekannt für sein Spiel mit Auslastungszahlen. Als Hans Neuenfels die Berliner Volksbühne West, das heutige Haus der Berliner Festspiele, leitete, wurde der Rang fürs Publikum grundsätzlich gesperrt: dies diente der Verbesserung der Statistik.

In der jüngsten Produktion an der Deutschen Oper Berlin ist der Orchestergraben gut besetzt, dazu füllen 16 Vokalisten die Logen auf beiden Seiten. Das Publikum wird mit einem Audiobeamer und rundum mit Lautsprechern beschallt, positioniert insbesondere im 2. Rang. Obendrein sind links und rechts der vorderen Parkettreihen zwei durch schwarze Schleier lichttechnisch abgegrenzte Klangräume hochgebockt – für das auf zeitgenössische Musik spezialisierte Ensemble Nikel (mit Percussion, E-Gitarre, Klavier und Saxophon} auf der linken Seite, rechts ein identischer Raum für Solostimme (Frauke Aulbert) und Kontrabass (Ulf Fussenegger) sowie für die Elektroniker.

Somit sind die sonst teuersten Sitzreihen des Parketts für diese Oper gesperrt; Platz fürs Publikum bleibt nur im hinteren Teil des Parketts und im ersten Rang. Dies mag der prozentualen Besucherauslastung von „Heart Chamber“ dienen – aber ob auch diese vierte Oper von Chaya Czernowin eine Reihe von Theatern zum Nachspielen anregen wird, erscheint mir angesichts des gebotenen Aufwandes fraglich.

Am Ende des knapp neunzigminütigen Abends traf die Komponistin nur ein einsamer Buhrufer, der damit möglicherweise einen größeren Bravo-Schwall provozieren wollte, als dies de facto gegeben war.

  • Weitere Aufführungen: 21., 26., 30. 11. und 6. 12. 2019.

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