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Auch ein grüner Hügel. Aber ohne roten Teppich. Foto: Hufner
Auch ein grüner Hügel. Aber ohne roten Teppich. Foto: Hufner
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Glosse: Es festi-wallt allenthalben! Festi-wallitis Bayreuthiana

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Was soll denn bitte die Krise in der Straße von Hormus oder dieser Polit-Clown in London? Was sollen „Umwelt-Krise“ oder „Mörderhitze“! – Der Bazillus „Festi-wall-itis Bayreuthiana“ ist groß ausgebrochen – der Höhepunkt wird um 16 Uhr erwartet… weltweite Berichterstattung und Übertragung vor Ort… nur unser Kritiker Wolf-Dieter Peter sitzt im klimatisierten Kino auf Distanz…

Also „festiwallen“ ist natürlich falsch... und die Hautarztpraxen, die Kosmetik- wie Coiffeur-Salons, speziell die Schönheitschirurgen und die Couturiers wissen natürlich sofort, wovon die Rede ist: sie haben eine seit Monaten total stressige, dabei genau geplante Hochkonjunktur – worum sie der Rest der bundesdeutschen Wirtschaft glühend beneidet: volle Terminkalender, präzise Produktionsabläufe, exakte Lieferdaten, lange Bestell- und Wartelisten, Krisentelefone und Hysterie-Handling-Teams. Alle sollen sie - „just in time“, also punktgenau ein Endprodukt liefern: aufgespritzte, gestraffte, zurechtoperierte, geschminkte und gestylte SCHÖNHEIT!!! Denn heute beginnen DIE wahren Festspiele von Weltgeltung – die am „Grünen Hügel, in Bayreuth – da können sich München, Bregenz und demnächst Salzburg noch so spreizen…

Leider vorneweg: diese Engländer! Da stehen sie in teils alten Abendkleidern und Smokings trotz Hitze um 14 Uhr in der brülllauten Paddington Station, steigen in den Zug in dieses südenglische Kaff… Angekommen, stürzen sie nicht an den Kartenschalter oder an die Bar – früher: der alten Scheune, jetzt: des exquisiten neuen Opernbaus – nein, sie eilen auf die grüne Wiese, sichern mit dem Schottenmuster-Plaid und schwer bestücktem Picknickkoffer den besten Pausen-Platz – den mit Blick aufs Herrenhaus des Gründers, aufs Opernhaus – und auf die Kühe gleich nebenan hinter einem Elektrozaun. Das ist der Festspiel-Klassiker „Glyndebourne“ seit den 1935er Jahren.

Zwar kann sich da Bayreuth seit 1876, auch Salzburg und München mit früheren Daten brüsten, aber Glyndebourne hat schon was! Zwar übt München seit Jahren mit einem Hauch von Klassik-Woodstock bei der kostenlosen „Oper für alle“ auf dem Max-Joseph-Platz vor dem Nationaltheater: mit Decke, Kissen, Wurst und Käse samt allerlei Getränken vor dem Riesenbildschirm, der die Premiereninszenierung draußen live zeigt, so als soziales Gegengewicht zu Eintrittspreisen von 343 € abwärts samt Zugabe: am Ende kommen nämlich Künstler und Intendant auf das hoheitsvolle Treppenpodest… zum Applaus-Bad in der Menge …

Zwar imitiert München schon vorher Bayreuth: mit der „Anfahrt“ der Gäste und dann abgesperrtem rotem(!) Teppich auf diesem Treppenpodest für die ein bisschen Gleicheren. Aber die Wagner-Metropole hat halt eine unerreichte grüne „Auffahrt“ zum Festspielhaus, hoffentlich als künstlerischem Gipfel allen Wagnerianismus. Dort sind dann zwar die ungebrochen begeisterten Steuerzahler ohne Karte streng hinter polizeigeschützten Sperrgittern so richtig demokratisch in Distanz gehalten – aber als Kulisse für die Medien, insbesondere das weltweite TV schon wünschenswert: wer da mit wem und wie – hoffentlich ohne Achsel-Schweißflecken bei fast 40 Grad – und das dann im nicht-klimatisierten Innenraum – und dann noch zweimal, wenn die Herrschaften in den Pausen schräg hinunter ins Nobelrestaurant wallen …

Immerhin: ab 14 Uhr gibt es preiswerte Hörplätze – und dem Vernehmen nach soll der in den letzten Wochen weltweit tätige „Tannhäuser“-Dirigent Valery Gergiev im Privatjet doch angelandet sein: der für einen Anflug aus dem Nicht-EU-Land Schweiz vorgeschriebene Zollbeamte wurde schließlich auch im sonst naturbelassenen Frankenland gefunden! Also kann der revolutionäre Künstler Tannhäuser jetzt beruhigt rufen „Nach Rom! Nach Rom!“… der will gar nicht im Frankenland oder in Thüringen bleiben? In den Venusberg? Im Vatikan? Und das wird gefeiert? Diese Festiwallitis muss doch ein Krankheitsbild sein …

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