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Verdis „Trovatore“ in Brüssel. Foto: Bernd Uhlig
Verdis „Trovatore“ in Brüssel. Foto: Bernd Uhlig
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Gruppentherapiesitzung außer Kontrolle: Dmitri Tcherniakov inszeniert Verdis „Il trovatore“ am Théâtre de la Monnaie in Brüssel

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Jetzt ist schon wieder was passiert. Dmitri Tcherniakov präsentierte in Brüssel den „Troubadour“. Einige Jahre lang war das Stück „out“ und auf den bedeutenden Bühnen Mangelware. Die „krause“ aragonische Geschichte aus dem Jahr 1409, die der 1853 uraufgeführten Oper von Salvatore Cammarano und Leone Bardare sowie Giuseppe Verdi zu Grunde liegt, schreckte viele Regisseure ab.

Nun hat sie erst kürzlich Dietrich Hilsdorf in Bonn reaktiviert – mit Hilfe von Dieter Richters spanisch-realistischen Bildern, in denen sich Geschichte und Aktualität verschränkte – und unter klarer Betonung der Grausamkeiten der „ritterromantischen“ Handlung, die auf das Drama „El trovador“ von Antonio García Gutiérrez (1836) zurückgeht. Eine Zigeunerin, so der Plot, habe einen der Söhne des Grafen Luna verhext, wurde zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, motiviert im letzten Moment noch ihre Tochter zur Blutrache. Die wird dadurch eingeleitet, dass Azucena einen der beiden Söhne des Grafen im zartesten Kindesalter raubt, in eifernder Wut aber dieses Knäblein mit dem eigenen Sohn verwechselt, den sie ins Feuer wirft und dann Manrico an Kindesstatt aufzieht. Der „Troubadour“ erzählt des Weiteren die Geschichte von der Rivalität dieses „Zigeunersohns“ mit dem jungen Grafen Luna um die schöne Leonora – samt der Eifersucht, die zu ihrem Tod und dem Manricos führt.

Eine „Trovatore“-Premiere ist, auch wenn sie am Théâtre de la Monnaie (dem Opernhaus des Jahres!) stattfindet, nicht per se Gegenstand überregionaler Berichterstattung (so wenig wie die als Dutzendware angebotenen „Ring“-Premieren). Doch der Name des Regisseurs und der ihm vorauseilende Ruf ließ eine zumindest außergewöhnliche, möglicherweise exzeptionelle Arbeit erwarten. Dmitri Tcherniakov hat z.B. 2009 an der Opéra Bastille in Paris mit seinem Hyperrealismus zu Verdis Musik Shakespeares „Macbeth“-Plot in scharfes aktuelles Licht gestellt. 2010 rückte der postsowjetische Regisseur beim Festival in Aix-en-Provence da Pontes und Mozarts „Don Giovanni“ in das Ambiente der neuen russischen Oligarchen – ebenfalls durchaus gewinnträchtig. Anfang 2012 zeigte er in Amsterdam die mit Nikolai Rimski-Korsakows „Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch“ verhandelten „politischen Wirren“ und deren für die Einzelnen mitunter unerfreulichen Begleiterscheinungen drastisch und klar – aber auch den Kitsch, der hinter diesem Kitesch lauert. Tscherniakow glückte allemal ein Balanceakt, der bejubelt wurde: In edelster, mitunter traumhafter Schönheit und zugleich mit Bildverweisen auf heutige Grausamkeiten wird alte und zunehmend kalte Geschichte einem Publikum neu beigebracht, das im Warmen sitzt und distanzlos die Distanz genießt.

Was jetzt am Brüsseler Münzplatz vorgeführt wurde, wäre tunlichst mit „Azucena“ betitelt worden. Denn sie, die Rächerin der entrechteten und ermordeten Mutter, lädt die anderen vier Protagonisten des „Trovatore“ zu einer Zusammenkunft, die als „Versöhnungskonferenz“ konzipiert gewesen sein mochte. In einem Raum, ähnlich dem von Jean-Paul Sartres „Geschlossener Gesellschaft“, setzten sich fünf vom Leben sehr unterschiedlich geprägte Menschen zur Erinnerungs- und Trauerarbeit zusammen – Nebenfiguren wie Ines, Ruiz oder der alte Zigeuner wurden ausgespart, ihre Partien aufgeteilt, die des Chors aus dem Graben heraus bestritten. Das Sänger-Quintett konstituiert sich nach erstem Beschnuppern wie eine Therapie-Gruppe. Ferrando, Graf Lunas erster Offizier, eröffnet das Rollenspiel (das Ordinäre der Soldaten-Trinklieder meldet sich nur, distanziert und wie eine Klangfarbe unter vielen, aus dem Orchestergraben).

Eine ziemlich verwinkelte Herrschaftsarchitektur stellt den Rahmen bereit: Bordeauxrote Ledertapete an den Wänden hinter dem einsamen Sofa, dem Tisch und den fünf Stühlen, fast schwarze Täfelung sowie Oberlichte in dem ansonsten fensterlosen Raum. Ein trotz der gewissen Großzügigkeit beengendes Ambiente: Zum Sterben schön, aber unwillkürlich behaftet mit dem feinen Duft der Mottenkugeln und stickig – man wünscht sich schon bald, dass hier gelüftet würde. Die Teilhabe an Therapiesitzungen mag ja für deren aktiven AkteurInnen Nähr- und Unterhaltungswert besitzen – für die Zuseher wird’s bald länglich und strapaziös. Auch die unter Marc Minkowskis Händen wuchernde Schwüle der Musik, der das Forcieren der Primadonna Marina Poplavskaya die Buttercremekrönchen aufsetzt, verstärkt den Wunsch nach Zufuhr frischer Luft. Ja, der gelernte Barock-Fagottist Minkowski ist kein Kapellmeister von Profession, der die Agogik seiner SängerInnen mit den Fingerspitzen ertastet und die Kapelle bei Fuß zu halten weiß, sondern ein wohlmeinender Animateur. Viele Ungenauigkeiten trüben daher das ganz auf Stimmungen und Begeisterungsfähigkeit hin angelegte Dirigat, dem alles kühl Analytische abgeht. Gerade aber Letzteres tut Verdis Sound so Not.

An Stelle von Kastell, Garten, Zigeunerlager, Kloster etc., also statt dem Wechsel von Drinnen und Draußen, dem Alternieren von kontemplativen Szenen und theatraler Action, dient eine monochrome Szene mit unerbittlicher Konsequenz der Übersetzung alter Grausamkeiten in die Gewaltsprache einer neueren Zeit (Anspielungen auf die Spätphase der Sowjetunion bzw. das neu- und promgasreiche Russland vermied Tcherniakov diesmal ganz und gar).

Die Verlangweilung der ersten vier Tableaus diente zur Vorbereitung der Erzähltechnik für die anderen vier: Die therapeutische Situation gerät außer Kontrolle. Der junge Graf Luna – Scott Hendricks mit energisch profiliertem Bariton – ist irgendwie zu einer Pistole gekommen. Er hantiert gefährlich mit der Waffe herum. Er beendet jäh die Selbst-, Vergangenheits- und Partnerschaftsbeziehungserkundungen, nimmt Azucena – die mit einer bärinnenstarken, altgetönten Mezzostimme bewaffnete Sylvie Brunet Grupposo – als Geisel, dann den leistungsfähigen Tenor Manrico (von dem er noch nicht weiß, das es sein Bruder ist). Die beidseits begehrte Leonora gibt sich ihm notgedrungen hin, nachdem sie sich bereits eine tödliche Dosis verabreicht hat. Es passiert vor der wohlbürgerlichen Küchenzeile auf dem Boden (Misha Didyk, der übertölpelte Tenor, bekommt dies, zwischengelagert in der Besenkammer, nicht so genau mit). Den inzwischen lästigen Ferrando schießt Luna jun. kurzerhand in den Kopf, obwohl dieser raubeinige Militär in Gestalt von Giovanni Furlanetto doch als ein so grundzuverlässiger, hyperloyaler und in Ehren ergrauter Angestellter vorgeführt wird. Oder gerade deshalb. Da Luna aber, nach getanen Gewalttaten, eine letale Herzattacke erleidet, überlebt einzig Azucena ihren Versuch, Klarheit in dunkle Geheimnisse von Herzen, Seelen und Körpern zu bringen.

Auch das ist ein Resultat. Nur eben kein therapeutisches, sondern ein theatrales.

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