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Macbeth an der Deutschen Oper Berlin. Foto:
Macbeth an der Deutschen Oper Berlin. Photo: Bettina Stöß im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
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Hexen-Putzkolonne und Belcantofest – Giuseppe Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin

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Verwundert liest der Opernbesucher von einer „Berliner Premiere“ des „Macbeth“, obgleich er sich beispielsweise an der Deutschen Oper Berlin an Inszenierungen von Gustav Rudolf Sellner (1963) und Luca Ronconi (1980) erinnert. Hinter der auch auf dem Besetzungszettel fett prangenden Formulierung verbirgt sich die Tatsache, dass die Inszenierung von Robert Carsen eine Produktion der Kölner Oper ist, die dort (was der Programmzettel verschweigt) bereits im Jahre 1998 Premiere hatte. Das szenisch nicht mehr so Neue wird in Berlin bejubelt, und in musikalischer Hinsicht durchaus zu Recht.

Verdis erste Vertonung eines Shakespeare-Stoffes ist original im 11. Jahrhundert in Schottland angesiedelt. In der Ausstattung von Miruna und Radu Boruzescu spielt die blutige Handlung im optischen Ambiente des Ostblocks der vergangenen Achtzigerjahre. Das Mittel der Wandeldekoration, auf Wagners „Parsifal“-Uraufführung (1882) fußend, wird hier zum ewig Gleichen: graue Betonwände, mal mehr, mal weniger  blutbeschmiert, mal mit Türen, durch die man in der Vorbeifahrt die Jubelreihen Fähnchen schwingender Mitläufer der herrschenden Partei sieht. Auch Möbel ziehen vorbei: gelacht wird im Publikum angesichts eines fast leeren Kleiderschranks von Macbeth und eines überfüllten seiner Lady. Ein Prunkgemälde zeigt den Herrscher Macbeth im Stil des sozialistischen Realismus.

Das wirkt zwei Akte lang als „a lamb dressed as a woolf“, wie die Briten sagen, denn in solch ungewohnter Optik für Verdis zweite Fassung des „Macbeth“ aus dem Jahre 1874 erweisen sich Personen- und Chorführung vorwiegend konventionell. Im zweiten Akt ist Macbeth zum Alkoholiker geworden, die Erscheinungen des Banquo finden nur in seiner Fantasie statt. Banquo war in Macbeth’ Auftrag, als einziger Mitwisser der Hexenprohezeiung, von Schreibtischtätern und Fälschern erschossen worden. Der Auftritt des Damenchors der Hexen, als Putzkollektiv mit Besen und Schrubbern, gehört zu den wenigen belebten Momenten des in den ersten beiden Akten szenisch eher drögen Abends. Diese Frauen haben sich nur einen Spaß gemacht und das, was sie in der Zeitung gelesen haben, als ersten Teil einer sich dann scheinbar tatsächlich für Macbeth erfüllenden Prophezeiung ausgegeben. Am Ende des zweiten Aktes tanzen Macbeth und Lady mit der Festgesellschaft Walzer.

Dichter wird es ab dem dritten Akt, wenn die Hexen-Putzkolonne sich die Überreste des Festmahls einverleibt und die Abfälle der Kollektivtonne als Hexenkessel besingt. Sie machen sich erneut einen Spaß mit dem Herrscher. Aber offenbar auch mit dem Publikum: denn sie kündigen die Luftgeister singend an, – aber deren Auftritt, wie Chor und Ballabile, sind gestrichen. Dass man dieses durchaus ohne Balletteinsatz, alleine mit dem Damenchor, witzig umsetzen kann, hat Hans Neuenfels in seiner unvergessenen Frankfurter Inszenierung im Jahre 1976 bewiesen.

In Berlin schreiten die ersten beiden aus der Geisterwelt zitierten Erscheinungen (Krzystof Szumanski und Fionnuala McCarthy) nackt und blutbeschmiert über die Tafel, im Offiziershabit folgt ihnen der Knabe Basile Liebscher als 3. Erscheinung. Für die Reihe künftiger Könige wandelt sich Macbeth’ Gemälde in eine Videoprojektion von Banquo, mit dessen Brille als „Spiegelglas“; Macbeth feuert erfolgreich auf die Projektion, und Blut aus Banquos Schusswunde tropft pulsierend auf die Brille. Das anschließende Duett zwischen Macbeth und seiner Lady wird zu einem exzessiven Liebesblutrausch des sich auf dem Boden wälzenden Herrscherpaars.

Eindrucksvoll ist das Chorbild der schottischen Flüchtlinge; Fotos der gemordeten Verwandten werden an die Betonwand geheftet. Unmotiviert schnell jedoch der Abgang des hinreißend singenden Chors der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: William Spaulding), um dem einsamen Heimkehrer Macduff Platz zu machen. Die Lady versucht in ihrer schlafwandlerischen Wahnsinnsarie nicht die eigenen blutigen Hände zu waschen, sondern die Wände vom Blut der Opfer zu befreien. Der sie beobachtende Arzt (ebenfalls Krzystof Schumanski) entpuppt sich als ihr Mörder, der sie in der Stille, nach Verklingen der Arie und vor Einsatz des berechtigten Applauses, mit schallgedämpftem Revolver erschießt.

Chorische Behauptung aus dem Off, ohne szenische Umsetzung, bleibt der Auftritt des Walds von Birnam. Nachdem Macduff den Macbeth in einem Showdown erschossen hat, wird auch die tote Lady herbeigeschleift. Jenen roten Teppich, der schon für König Duncan und für Macbeth ausgerollt wurde, beschreitet nun Malcolm (Jörg Schörner) als neuer Herrscher, der sich selbst die königliche Offiziersjacke mit noch mehr Orden anlegt.

Gesungen wird belcantistisch und auch dramatisch auf sehr hohem Niveau: Die russische Mezzosopranistin Anna Smirnova gestaltet von Anfang an mit viel Dramatik jene Partie, die sich der Komponist selbst weniger gesungen als dramatisch gemimt gewünscht hatte; sie zieht sich trotz Körperfülle wiederholt auf offener Bühne um. Zunächst in im Schatten der Lady, dann in Duktus, Charakterisierung und stimmlicher Intensität mindestens gleich zieht der deutsche Heldenbariton Thomas Johannes Mayer in der Titelpartie. Pavol Breslik als Macduff erntet für den späten, makellos bravourösen Tenoreinsatz in dieser Oper die heftigste Applaussalve des Abends auf offener Szene. Mit eindrucksvollem Basso profondo gestaltet Antje Jerkunica den Banquo.

Die Fuge beim Kampf des vierten Aktes, die in ihrer Kontrapunktik eine „Meistersinger“-Wendung vorwegnimmt und auch schon auf die Schlussfuge im „Falstaff“ hinzielt, gehört zu den orchestralen Höhepunkten des Premierenabends. Unter Roberto Rizzi Brignoli musiziert das Orchester der Deutschen Oper Berlin in Hochform. Zwischen Graben und Bühne gibt es an diesem Abend keinerlei Wackler. Vom Unisono der Ouvertüre an setzt Brignoli auf Parforce-Stimmung und Schwung. Nebenfiguren erhalten Wichtigkeit, werden herausgearbeitet im Sinne einer Dialektik des musikalischen Materials: Verdis zehnte Oper erscheint in dieser Interpretation wie ein Vorgriff auf den späten Verdi und deutlich gereifter als die nachfolgenden Bühnenwerke

Robert Carsen holt sich selbst die Bravos – und einige wenige Buhrufe – für seine von Søren Schuhmacher einstudierte Inszenierung ab.

Das Publikum mochte den Abend bis zur Pause noch als „endlich mal wieder alte Oper“ missverstehen, zeigte sich aber auch am Ende dankbar für die durchgängige Vorherrschaft eines bravourösen Belcanto.

Weitere Vorstellungen:
16., 19., 21., 24., 28. 30. Juni, 3. Juli 2011 

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