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Oper Magdeburg begeistert mit Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“. Foto: © Andreas Leander.
Oper Magdeburg begeistert mit Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“. Foto: © Andreas Leander.
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Im Club Plutonium ist die Hölle los – Oper Magdeburg begeistert mit Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“

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Würde man beim Operetten-Klassiker von Jacques Offenbach ganz zeitgeistig den Namen Orpheus durch Eurydike im Titel ersetzen, könnte man sich kaum darüber mokieren. In der Inszenierung an der Oper in Magdeburg spielt sie in diesen ‚Szenen einer zerrütteten Ehe‘ in Gestalt des Ensemble-Neumitgliedes Rosha Fitzhowle die erste Geige. Vokal und darstellerisch. Auch wenn ihr Noch-Ehemann Orpheus mit der Musik (beziehungsweise seinen Schülerinnen) das Geld verdient. Die beiden sind einander längst in herzlicher Abneigung verbunden.

Ihren Salon hat Ausstatterin Nicola Reichert in der Mitte schon mal unübersehbar in zwei Hälften geteilt. Einschließlich der Tapete. Seine Hälfte zieren ein Noten-la-la-la-Muster und ein paar Schallplattenpreise. Ihre ist mit einem Fliegenmuster versehen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und ihren späteren, als Fliege getarnten Liebhaber Jupiter darin vermutet. Zunächst vergnügt sich die notorisch vernachlässigte Ehefrau mit ihrem smarten Nachbarn Aristeus, der sich mit seinen Koch- und anderen Künsten bei ihr eingeschlichen hat. Da er in Wahrheit der Gott der Unterwelt Pluto ist, entführt er sie dann (mittels Schlangenbiss!) geradewegs über den Kamin in sein Reich.

Vor dessen höllischer „Plutonium“-Disco lernen wir zunächst den himmlischen Olymp kennen: Eine wolkig helle VIP-Lounge, für gepflegte Langeweile, in der man am liebsten vor sich hindöst. Wer, wie Cupido (Weronika Rabek) oder die flotte Venus (Jeanett Neumeister), da für Liebe zuständig, auch mal eben nach Paris ausbüxen kann, macht das. Paris ist schon deshalb klar, weil Offenbach dort (u.a. am 1858 mit dem Höllen Can-Can aus der Operette in der auch wir uns gerade befinden) für Stimmung sorgt. Als sich für die olympische Sippschaft die Chance bietet, einen Betriebsausflug in die Unterwelt zu machen, vergessen die gerade eben noch gegen ihren Götterchef aufmuckenden Herrschaften jeden revolutionären Ehrgeiz und begeben sich im überfüllten Transportmittel (welcher Art auch immer) auf den Weg nach ganz unten. 

… diese gepflegte Scheinmoral …

Zur himmlischen Revolte war es gekommen es, weil Jupiter (Doğukan Kuran im Thomas-Gottschalk-Look mit schönem Timbre) seinen Leuten gerade eine Moral-Standpauke gehalten hatte. Pech für ihn nur, dass seine eigenen Verfehlungen (bzw. Verführungen in allen möglichen Tiergestalten) allgemein bekannt und in der Klatschpresse ausführlich nachzulesen sind. Die Abrechnung mit ihm gehört zu den eingängigsten und besten Nummern der an Hits reichen Operette. Es ging Offenbach ja vor allem um diese gepflegte Scheinmoral seiner Zeit. Der Versuch, den Schein (z um Beispiel einer intakten Ehe) zu wahren ist aber auch auf Erden das Thema. Sonst könnten sich Orpheus und Eurydike ja einfach scheiden lassen. Noch dazu in der ungefähren Gegenwart, in der das Ganze spielt. Aber die Öffentliche Meinung (die in Gestalt von Undine Dreißig vom Zuschauerraum aus als professionelle Zwischenruferin in die Geschichte einsteigt) trägt dieses Motto vor sich her beziehungsweise als Aufdruck auf ihrer Tragetasche „SCHEIN WAHREN“ ist dort zu lesen. Sie ist es, die diesen Musikprofessor Orpheus (geschmeidig eloquent: Jean Miannay) dazu zwingt, Eurydike von Jupiter zurückfordern, obwohl er froh ist, dass er sie los ist. Das berühmte Ach-ich-habe-sie-verloren-Zitat aus der Opernversion des Mythos von Gluck gehört ebenso in das Spiel und die Parodie des berühmten Mythos wie das Ende der Geschichte. Hier ist das vermasselte Happy-End (wenn sich Orpheus nach Eurydike beim Rückweg aus der Unterwelt verbotenerweise umsieht) bewusst herbeigeführt. Als augenzwinkernd dialektisches Happy-End für Scheidungswillige. Eurydike hat aber von allen drei Männern genug und ruft nochmal zum Can-Can. Auch für dessen, jugendfreies Beine-Hoch sorgte Choreograf Lukas Strasser. 

Regisseur Igor Pison erzählt die Geschichte unterhaltend gegenwärtig, auch mit Ironie und lässt dabei der höllisch-olympisch guten Musik meist den Vortritt. Besonders Eurydike und Pluto (als teuflischer Stimmverführer: Adrian Domarecki) nutzen das und reißen damit das gesamte Ensemble mit. Ob nun Na’ama Shulman als kesse Diana oder Ulrike Baumbach als Göttergattin Juno, Peter Diebschlag als überbeweglicher Merkur. Allen machen ihre Spielfreude zum Prinzip – Manfred Wulfert lässt sich in der Rolle des Hans Styx natürlich das entsprechende komödiantische Kabinettstück nicht entgehen.  

Auch Kapellmeister Pawel Poplawski und die Magdeburgische Philharmonie sind mit Lust bei der Sache, bleiben allerdings (noch) unterm musikalisches Tempolimit. Auch da, wo man als Zuschauer auf dessen Übertretung hofft. (Vielleicht gibt’s ja bei der vorgesehenen Silvestervorstellung vorneweg ein Gläschen Sekt.) Den Chor hatte Martin Wagner passend vergnügungsbereit einstudiert. Ein Problem bleiben – bei allem redlichen Bemühen – die gesprochenen Texte, die oft wie eine zusätzliche musikalische Verkehrsberuhigung wirken. Barrie Kosky (und warum nicht von dem, der es am besten kann, lernen) hatte vor drei Jahren in Salzburg diese Klippe mit dem genialen Schauspieler Max Hopp umschifft, der als Styxs alle gesprochenen Passagen übernahm. ….

Aber seis drum: auch dieser neue, gute alte Offenbach riss die Magdeburger am Ende aus den Sitzen! 

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