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Clivia an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Clivia an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
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Im dichten Zigarrenrauch – Nico Dostals „Clivia“ an der Komischen Oper Berlin

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Das Publikum, auch nach Ende des Karnevals, außer Rand und Band: Lustvoll glucksende Lacher, Beifallsstürme bereits während der Aufführung und am Ende ohne jedweden Widerspruch Standing Ovations. Peter P. Pachl zur Premiere von Clivia mit den Geschwistern Pfister.

Zu Kurt Weills im französischen Exil komponierter Operette „Der Kuhhandel“, beeinflusst von der Machtergreifung Hitlers und dem 1934 von der Weltpresse aufgegriffenen Vorfall, dass die Waffenindustrie Paraguay und Bolivien während deren Konflikt gleichzeitig belieferte, ist „Clivia“ als ein Seitenstück anzusehen. Auch im „Clivia“-Libretto von Charles Amberg und Franz Maregg geht es, mit Bezug auf den amerikanischen Chaco-Krieg, um politische Machinationen in einem fiktiven südamerikanischen Land, dessen Name Boliguay aus dem der politischen Kontrahenten zusammengesetzt ist.

Die Handlung will deutlich am Erfolg von Eric Charells und Ralf Benatzkys „Im Weißen Rössl“ teilhaben: von dort adaptiert ist die Rolle eines Erfinders im Berliner Dialekt. Nico Dostals Partitur ist ein Mixtum von Tango, Foxtrott, Jazz, Berliner Marschlied und – sehr verhalten – auch von südamerikanischen Rhythmen. Bei der Uraufführung dieser Operette über Filmproduktion als trügerischen Vorwand von Machtpolitik, am 23. Dezember 1933 im Berliner Theater am Nollendorfplatz, war Hitler bereits an der Macht.

Im dritten seiner über 20 Bühnenwerke verzichtet Dostal auf die seit 1930 in europäischen Operetten verwendete Rumba und ersetzt südamerikanische Farben vorwiegend durch spanisches Kolorit. (Auch der hier im Terzett Nr. 14 besungene Manzanares ist ja ein Fluss bei Madrid.)

Der Auftritt eines weiblichen, südamerikanischen Heers zu durchaus deutscher Marschmusik, ließe sich als Parodie auf den NS-Militarismus in Deutschland deuten, oder auch als feminin-utopisches Gegenbild zum germanischen Männlichkeitswahn. (Aber durch den Einsatz von Soldatinnen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde dies auch in Deutschland zur Realität.)

Dabei konnte Nico Dostal echte Ohrwürmer schreiben, in glücklicher Kooperation mit seinem jüdischen Textdichter Maregg. „Am Manzanares ist weibliche Tugend was Rares“ habe ich meines Wissens zuvor erst ein einziges Mal gehört, in meinen Kindertagen im Städtebundtheater Hof, und doch hatte sich mir dieses Lied eingeprägt – vielleicht auch nur aus frühpubertärer Sehnsucht, einmal an diesen geographisch bestimmten Ort angeblicher sexueller Libertinage zu kommen.

Die Inszenierung von Stefan Huber betont anfangs die Filmebene. Stephan Prattes' aufdringliche Restaurant-Ästhetik entpuppt sich als Filmdekoration, die leicht beiseite geschoben werden kann. Denn die Aufführung beginnt, zunächst nur von Gitarren begleitet, mit einer Stunt-Schlägerei, inklusive einer über dem Kopf zerschlagenen Gitarre und einem zerberstenden Wirtshaustisch, als Film-Set, das dann abgebrochen wird.

Häufig warnen Theater ihre Besucher – etwa beim Einsatz von blendendem Licht oder Detonationen – vor gesundheitsgefährdenden Effekten in einer Aufführung. Die Komische Oper hätte bei dieser Produktion auch eine Vorwarnung aussprechen sollen, nämlich vor beißend intensivem Zigarrenrauch, der im ersten Teil nicht nur die Bühne sondern rasch auch den Zuschauerraum erfüllt – für Nichtraucher ebenso eine Qual, wie für Raucher, die in der Pause vor die Türen des Opernhauses stürmen, um endlich ihrem forcierten Nikotinbedarf frönen zu können.

Die dicken Havannas darf oder muss Stefan Kurt als E. W. Potterton, der wirtschaftlich politische Drahtzieher einer dann scheiternden Revolution zugunsten der USA, konsumieren; positiv in Erinnerung bleiben seine exzentrischen Slapstick-Einlagen.

Ich gestehe, dass mir die hier als Stars annoncierten, an der Komischen Oper debütierenden „Geschwister Pfister“ vordem kein Begriff waren und dass ich die Rekonstruktion der Uraufführungsfassung des „Weißen Rössl“ an der Komischen Oper Berlin durchaus mehr wertschätze, als die reduzierte Fassung in der Berliner „Bar jeder Vernunft“, wo neben Stefan Raab Max Raabe eben diese drei „Pfisters“ gespielt haben, die – gemäß Interview im Programmheft – dort auf die Idee kamen, als nächstes Nico Dostals „Clivia“ gemeinsam zu verkörpern.

Der erste „Pfister“, Christoph Marti, erntet in der Rolle der Filmschauspielerin Clivia Gray schon beim Auftritt, noch bevor er den ersten Ton von sich gegeben hat, Willkommensovationen. Marti sieht wirklich gut aus, ist in der Frauenpartie nicht tuntig, singt und artikuliert einwandfrei, – allerdings mit Mikroport, wie alle Solisten in dieser Produktion. In die Jahre gekommen und für die Soubretten-Partie des weiblichen Officers Jola (hier: Yola) weniger glaubhaft ist die seinerzeitige Bar-jeder-Vernunft-Rössl-Wirtin Andreja Schneider. Gut gefällt hingegen der dritte der „Pfisters“: Tobias Bonn als zunächst incognito auftretender, gegen den Putsch siegreicher Präsident Juan Damigo– in Heike Seidlers Kostümoutfit à la Che Guevara – gestaltet den Ehemann der Clivia bravourös. Wenn der Tenor seine Spitzentöne, die am Ende häufig detonieren, besser stützen würde, wäre der sängerische Genuss ohne Makel. Am Ende des ersten Aktes die drei „Pfister“-Geschwister ihr Terzett auf einem Panzer. Die Pause erfolgt dann in der Mitte des zweiten Aktes.

Duette zwischen Tenor und Bariton sind äußerst selten in der Opernliteratur, eine rare Ausnahme ist das Duett in Bizets „Perlenfischern“. Aber Liebesduette zwischen Tenor und Bariton sind ein Novum. Wenn die beiden Protagonisten sich hier wiederholt lange und besonders intensiv küssen, so beglückt diese inzestuöse Steigerung der Homoerotik (angesichts der „Brüder Pfister“) die schwulen Berliner Opernfreunde ganz besonders.

Vom Haus-Ensemble der Komischen Oper dominiert Peter Renz in der Rolle des Reporters der Chicago Times. Diese komische Rolle spielte bei der Uraufführung Erik Ode, der dann als wenig komischer Kommissar jahrelang für gesellschaftlich beruhigenden Krimi-Genuss eines Schwarzweißfernseh-Publikums sorgte.

Gelungen ist die Choreografie von Danny Costello, insbesondere bei dem als Buffo-Tanz-Duett – anstelle des originalen Astrologen-Duetts – hinzugefügten Dostal-Schlagers „Wonderful Girl“, mit einer zuletzt vervierfachten Doublierung der Protagonisten durch vier Tänzer-Paare. Mit einer Paulchen-Panther-Parodie schieben sich drei suspekte politische Händler (Jan Proporowitz, Volker Herden und Sascha Borris) ins Bild.

Der von David Cavelius einstudierte Chor der Komischen Oper Berlin überzeugt voll, auch in seinen Tanzbewegungen. 

In der drastischen Komiker-Rolle des Erfinders Gustav Kasulke, der dem reichen Finanzier Potterton sein Patent für eine Schlafmaschine verkaufen will, trägt Christoph Späth in der Berliner Neuinszenierung als Erfindung einen Sprengstoff-Auslöser mit sich herum; als damit zum Schlussakkord endlich die Bombe detoniert, regnet es Glitzerkonfetti aus beiden Rang-Proszeniumslogen.

Kai Tietje, der Dirigent der Aufführung, ist zugleich deren musikalischer Bearbeiter. Er hat die Sopran-Partie der Clivia für Bariton transponiert, was zusätzliche Tonartwechsel mit sich bringt. Zugleich hat er einige Nummern um Tanzpassagen erweitert und Foxtrott-Elemente ebenso forciert, wie die Rhythmen bei den südamerikanischen, im Original spanisch klingenden Nummern. Das Orchester der Komischen Oper Berlin, welches auf einer Tribünenanordung auf der Drehbühne aufspielt, besitzt besondere klangliche Präsenz, und es tönt in dieser Fassung deutlich amerikanisierter als bei Dostal.

  • Weitere Aufführungen: 14., 20., 28. März, 20., 26. April, 23. Juni und 7. Juli 2014.

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