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Dreigroschenoper in Stuttgart. Foto: Bettina Stöß
Dreigroschenoper in Stuttgart. Foto: Bettina Stöß
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Im Laufrad der Verhältnisse – Am Schauspiel Stuttgart inszeniert Sebastian Baumgarten „Die Dreigroschenoper“ von Brecht und Weill

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Wie geht man mit einem Zwitter aus politischem Lehrstück und Opernparodie von Brecht und Weill um, dessen Songs mittlerweile alle unterhaltungssakrosankt sind? Selbst als Solonummer bei den Bühnenshows der Unterhaltungsbranche. Da hat sich seit der Uraufführung 1928 in Berlin etwas gewaltig verselbständigt. Die „Dreigroschenoper“ ist das Referenzmaß für den Brecht/Weill Sound schlechthin. Was dann dem exilierten amerikanischen Weill auf seinen Musicalabwegen selbst in die Quere kam, wie man bei den Ausgrabungs- und Wiederbelebungsversuchen des Kurt-Weill-Festes in Dessau immer wieder erleben kann.

Von den Songs also ist jeder einzelne ein Wurf, den man nicht überbieten kann. Dem Stück selbst muss man das Mottenpulver abklopfen; jedoch ohne es zu zerstören. Die Frage von Mackie Messer, was die Gründung einer Bank gegen den Einbruch in eine Bank sei, ist nun mal so verdammt quicklebendig und finanzkrisenkompatibel, dagegen kommt man nicht an. Und auch, dass erst das Fressen und dann die Moral kommt, ist keineswegs so obsolet wie es in einer Gesellschaft mit Übergewichtsproblemen scheinen mag. Man muss es nur inhaltlich und geografisch weit genug fassen.

Und doch ist das Ganze ein Balanceakt. Man braucht nicht nur eine Haltung zu diesem Stück politischem Theater, sondern auch Schauspieler, die gut singen können. Keine Sänger, die schauspielern können – das geht meistens schief. In dem Falle wird nur umgekehrt ein Schuh draus.

In Stuttgart hat Intendant Armin Petras jetzt von allem das rechte Maß beisammen. Sebastian Baumgarten ist einer der wenigen Regisseure, der im Schauspiel so gut wie im Musiktheater zuhause ist. Und bei dem aufs Handwerk genauso Verlass ist wie auf eine erkennbare ästhetische und politische Ambition. Ohne ein gewisses Quantum von modephilosophischem Diskurs, ist bei ihm eine Inszenierung nicht zu haben. Wenn sich das – wie beim Bayreuther „Tannhäuser“ wegen der hermetischen Partitur nicht im Stück machen lässt, dann nutzt er eben die Pausen dafür… In Stuttgart gab es keine Pause. Dafür hat er der „Dreigroschenoper“ eine „Postmoderne Vorschule“ über „Die kommende Gemeinschaft“ voran gestellt. Das ist eine „Belehrung nach Giorgio Agamben“, bei der es um ein planetarisches Kleinbürgertum geht, in dem sich die Klassenunterschiede aufgelöst haben. Sie wird von drei Affen vom einschlägig bekannten Planeten von der Rampe weg gesprochen: „Sehr geehrte Primaten, liebe Menschen“ …  Was folgt ist eine Konzentrationsübung zum Einstieg. Gewürzt mit einer Prise Baumgartenscher Selbstironie. Und ohne jeden Kollateralschaden fürs Stück. Das man so eingeordnet, als „Nachrichten aus einer ideologischen Antike“ ankündigen und dann getrost in all seiner Sinnlichkeit und seinem Witz knallen lassen kann.

Genau das gelingt spielend in der von Thilo Reuther als Peachum-Zentrale, Macheath-Pferdestall und Brown-Zelle drei-geteilter und mit allerlei Kitschambiente vollgeramschten Bühne. Vor allem weil seine fabelhafte Crew das richtige Tempo findet und die Balance zwischen der ursprünglichen Brechtschen Kritik an den Verhältnissen, der witzigen Opernparodie und der Überlagerung durch deren populäre Wirkungsgeschichte hält. Mit allem, was so zwischen Klamauk, Comic-Stilisierung, Überdrehtheit und ironisiertem Pathos so geht. Im Bündnis mit der fabelhaften sechsköpfigen Band, der Max Renne vom Klavier aus zu einem Sound verhilft, bei dem sie alle Song-Schauspielern können, was das Zeug hält. Toll wie Rainer Philippi gleich zu Beginn als Chef der Bettler, in seinem Hamsterrad den Lauf der Dinge augenfällig macht. Oder wie Susanne Böwe mit ihren XL-Lockenwicklern die besorgte Geschäftsfrau und Mutter von Polly mimt. Hanna Plaß kassiert ganz zurecht für ihr voll ausgespieltes  „Da kann man sich doch nicht so einfach hinlegen“ Szenenapplaus. Als Lucy zieht Nathalie Thiede mit polnischem Akzent in den Zickenkrieg um den smarten Johann Jürgens, der seinen Macheath mit nackten Bizeps und Berliner Schnauze ausstellt. Polizeichef Brown kommt nicht nur mit Russenschapka, sondern auch beim Kanonensong an der Seite von Macheath etwas vom Wege ab: „Von der Ukraine zurück zum Rheine“. Auch in Peachums Räuberhöhle fanden sich einige der dummen rechten Wahlplakat-Reime von heute. Dabei blieb es aber mit der kleinen direkten Vergegenwärtigung. Baumgarten ging es eher um die große, indirekte, die Verfremdung verfremdende. Was nicht nur intellektuell, sondern auch als Unterhaltung beim Publikum fabelhaft funktioniert. 

Und doch vermisste man die ganze Zeit irgendetwas. Ausgerechnet der Erkennungssong vom Haifisch und seinen Zähnen fehlte einfach. Doch auch der kommt. Wenn auch zu guter letzt. Als kurzes Schmankerl vom Plattenspieler. Dafür aber mit der schnarrenden Stimme von Brecht persönlich.

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