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Uraufführung von Alfons Karl Zwickers "Der Tod und das Mädchen" in Hellerau. Foto: Klaus Gigga, EZK Hellerau
Uraufführung von Alfons Karl Zwickers "Der Tod und das Mädchen" in Hellerau. Foto: Klaus Gigga, EZK Hellerau
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Im Namen des Schmerzes: „Der Tod und das Mädchen“ als Opernkrimi

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Es gab mehrere Ansätze, die Oper „Der Tod und das Mädchen“ von Alfons Karl Zwicker herauszubringen. Nun ist es endlich geschafft. Eine Koproduktion des Europäischen Zentrums der Künste in Dresden Hellerau mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) hat die Uraufführung dieses Werks nach dem gleichnamigen Stück von Ariel Dorfman gestemmt.

Erinnerungen an die grandiose Verfilmung durch Roman Polanski geraten in den Hintergrund, statt dessen weckt der Blick auf Pinochets Chile wieder die Gedanken an gegenwärtige Praktiken in Guantánamo, Abu Ghraib et cetera. Und lief denn nicht zeitgleich zur Oper jene Fernsehdokumentation, in der einmal mehr die unselige Verwicklung des BND mit dem durch Lügen begründeten Irak-Krieg belegt wird?

Die Szene im Festspielhaus Hellerau: Eine fast steril wirkende Villa in Weiß. Rechte Winkel und klare Ausgewogenheiten bestimmen das Bild. Zwei Sofas, symmetrisch zwar, doch nicht rechtwinklig angeordnet, sind Ausdruck von kulturell ambitionierter Lebensqualität. Der Ort: Irgendwo in Südamerika. Heile Wohlstandswelt.

Die Klänge aus dem Orchestergraben scheinen dazu nicht zu passen. Dissonant, immer mal flächig, dann schräg, sie erschüttern die Grundfesten dieses Einblicks ins fleckenlose Unschuldshaus. Die Frau da drin ist allein, scheint einsam und zunehmend verzweifelt zu sein. Dabei hat sich ihr Mann nur wegen einer Bagatelle verspätet. Auf dem Heimweg ist sein Fahrzeug über einen Nagel gerollt, Plattfuß und kein Ersatzrad dabei. Wie gut, dass ein freundlicher Mitbürger den Pechvogel nach Hause fährt. Dabei war es ein Glückstag für Gerardo Escobar, denn der Präsident seines Landes hat ihn zum Vorsitzenden jener Kommission berufen, die das einstige Foltern untersuchen und aufklären soll.

Dramaturgisch eine äußerst kluge Geschichte, die der 1942 in Argentinien geborene Chilene Ariel Dorfman da geschrieben hat. Sein Theaterstück ist 1991 erschienen und hat bereits drei Jahre später Roman Polanski zur Verfilmung angeregt. In ihm ist bewusst nicht von Chile die Rede, obwohl die von den USA gestützte Pinochet-Diktatur Dorfman schon 1973 ins Exil getrieben hatte. Er überstand die blutige Zeit ausgerechnet in den USA, wo er noch heute neben seiner Heimatstadt Santiago de Chile ein Standbein hat.

Der schweizerische Komponist Alfons Karl Zwicker, zehn Jahre jünger als Dorfman, schuf zum Libretto von Daniel Fuchs eine zweieinhalbstündige Oper, die Chile ebenfalls mit keiner Silbe erwähnt. Das Foltern und Vergewaltigen des 20. ist längst exemplarisch geworden auch im 21. Jahrhundert. Womit wir wieder in der weißen Villa von Gerardo Escobar wären. Der scheint sich bei seiner wegen der Panne verspäteten Heimkehr gar nicht darüber zu wundern, dass ihn seine Frau Paulina mit einem Revolver in der Hand erwartet. Andere Männer wären da wahrscheinlich ins Zweifeln geraten?

Gerardo kennt seine Paulina, weiß, dass sie zwanghaft eifersüchtig und womöglich auch paranoid ist. Was Wunder, die Frau ist schließlich durch die Folterhölle gegangen, wo sie unzählige Male vergewaltigt worden ist. Hut ab vor der Geduld dieses Mannes, der sie liebt und so gern ein Kind mit ihr hätte. Hut ab vor allem vor der Frau dieses Mannes. Sein Zuspätkommen an diesem Abend wird durch den Pannenhelfer Roberto Miranda immerhin glaubhaft begründet. Das ist ein Doktor, auch im zivilen Leben ganz in Weiß gekleidet, mit einer prägnanten Stimme. Paulina glaubt, nein, ist sich absolut sicher, darin ihren einstigen Peiniger zu erkennen. Kein Zweifel. Auf diesen Moment hat sie gewartet. Das Gehör lässt sich nicht täuschen. Sie fesselt den Doktor, will ihn befragen und strafen. Was für ein Konflikt für Gerardo, der in seinem neuen Amt ja gerade auch für Versöhnung sorgen soll! Es kommt zu einer nahezu inquisitorischen Befragung der drei im Ambiente der Villa. Paulina wirft ihrem Mann das Flittchen vor, mit dem er sich vergnügte, während sie von Doktor Miranda penetriert wurde, ohne nur einmal den Namen des gesuchten Gerardo zu verraten. Der unfreiwillige Gast beteuert seine Unschuld, verrät sich aber durch eine raffinierte Falle, die, weil sie niemandem mehr trauen kann, von der völlig verunsicherten Frau gelegt worden ist. Zum Schluss steht nur noch die Frage nach Schuld und nach Sühne. Gleiches mit Gleichem vergelten?

Dorfmans Stück, Polanskis Film und Zwickels Oper umgehen die schlüssige Antwort. Da und dort treffen sich die Blicke von Paulina und Miranda im Theater, hier aber, in der Oper, hier tritt ein Chor auf die Bühne. Geradezu griechisch antik.

Nach den mehr als zwei vorangegangenen Stunden zeigt dieses Postludium Längen. Leidenschaftliche Längen. Da wird nochmal eine Darstellung des Schreckens besungen, der Opernkrimi gipfelt in bedrückenden Musiken, die dem Sujet vollkommen entsprechen, aber von einem Zuviel des Gutmeinenden angefüllt sind. Zwickel wäre wahrscheinlich gut beraten gewesen, auf seine Kraft zu vertrauen, die er in den kleinen Ensembleszenen zuvor ja bewiesen hat. Der gewaltige Orchesterapparat nämlich, das MDR-Sinfonieorchester, schafft unter der musikalischen Leitung von Florian Fuchs Klangflächen, die mehr situative Zustandsbeschreibungen denn dramaturgisch gestaltete Melodiebögen sind. Derart Psychologisierung der drei Handelnden ist absolut überzeugend und wurde gekonnt instrumentiert. Neben der durchgehend stark betonten Percussion (sechs Schlagwerker!) ist, quasi im Namen des Schmerzes, eine Menge an Dissonanz vorgebracht worden. Insbesondere die Blechbläser haben zu hauchen, zu fauchen und dürfen die Mundstücke ihrer Instrumente auch mal mit der flachen Hand schlagen, als wäre das Trommeln links und rechts von Graben noch nicht genug. Geradezu genialisch, der Titel dieser Oper schreit ja danach, wird in diese Klangpolster immer mal wieder original Schubert eingeblendet. Der ließ sich bekanntlich vom leiderfahrenen Gedicht Matthias Claudius' zu seinem Streichquartett inspirieren, das wiederum von Gustav Mahler zum Orchesterstück instrumentiert worden ist. Anklänge daran schillern auch bei Zwickel immer mal wieder durch, werden allerdings umgehend gebrochen, gebeugt, ja gefoltert. Natürlich geschieht das bewusst und ist Absicht, um dem Auditorium das beklemmende Ausgeliefertsein der Protagonisten zu vermitteln. Wie perfekt dies gelang, bewies zur Premiere das anhaltende Schweigen nach dem Schlusschoral.

Dann allerdings folgte begeisterter Applaus für Chor und Orchester der MDR, jeweils perfekt präpariert, für die äußerst umsichtige Leitung durch Florian Ludwig, vor allem aber für die bestechende Präsenz von Frances Pappas als Paulina, Andreas Scheibner als Gerardo und von Uwe Eikötter als Doktor Miranda. Die Sängerin, Performerin und Regisseurin Annette Jahns hat mit dieser Uraufführung kein Betroffenheitsstück, sondern ergreifendes Musiktheater geschaffen, zu dem auch die Videosequenzen von Markus Glandt und Benjamin Schindler beitragen. Jahns' gemeinsam mit Holger Ogorek und Silke Abendschein (Kostüme) spartanisch angelegte Ausstattung funktioniert bis ins kleinste Detail, lediglich die eingeblendeten Texte hätten nochmaliger Korrektur bedurft beziehungsweise wären dank des geschliffenen Vortrags meist ohnehin überflüssig gewesen.


Vorstellungen am 4. und 5. Dezember


 

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