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Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Mandy Fredrich (Königin der Nacht) und Bernard Richter (Tamino) in der Salzburger „Zauberflöte“. Foto: Monika Rittershaus
Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Mandy Fredrich (Königin der Nacht) und Bernard Richter (Tamino) in der Salzburger „Zauberflöte“. Foto: Monika Rittershaus
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Im Think Tank der Macht: Mozarts „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen

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Eine Neuinszenierung der „Zauberflöte“ in Salzburg wäre noch nicht erforderlich gewesen. Alexander Pereira, der neue Salzburger Festspiel-Intendant, sieht sie offenbar dem 200. Todestag seines Wiener Theaterkollegen Emmanuel Schikaneder geschuldet und stellte sie in direkten Zusammenhang mit der hier erstmals vorgestellten Fortsetzungsoper zur „Zauberflöte“, Peter von Winters „Das Labyrinth“, ebenfalls auf ein Libretto von Schikaneder. Dessen oft stark eingekürzte Dialoge erfolgen in der Neuinszenierung der „Zauberflöte“ in voller Breite.

Regisseur Jens-Daniel Herzog hat bei Pereira in Zürich wiederholt für ungewöhnliche Lesarten gesorgt. Unausgegoren mutet hingegen seine Inszenierung auf der breiten Bühne der Felsenreitschule an. In Mathis Neidhardts Ausstattung ist die Handlung in einem Labyrinth aus verschiebbaren Elementen mit 28 Türen angesiedelt. Buchstaben über diesen Eingängen lassen den Zuschauer vergeblich warten, ob durch die Verschiebungen assoziierte Wörter entstehen. Der Tempel der Weisheit ist ein Think Tank der Wissenschaft. Sarastro und seine Priester sind die weiß bekittelten Forscher und Verwalter eines Sonnenenergie-Labors. Sie trinken aus Thermoskannen und spritzen Tamino und Papageno vor Antritt von deren Prüfungen eine KO-Droge.

Die drei Knaben sind Mutanten mit greisenhaften Köpfen, Weisheit hat offenbar ihren Preis. Ihr Wechsel vom weiblichen zum männlichen Auftraggeber, von der Königin der Nacht zu Sarastro, hat diesen Knaben Positionen als Kellner an Sarastros Tafel eingebracht. Die wilden, wolfsartigen Tiere mit rot leuchtenden Augen sind offenbar Produkte aus der Retorte der Forscher.

Die Sklaven des Manostatos (wie der Mohr hier, aufgrund des neuen Lesens der Originalpartitur heißt), sind Schüler auf Schulbänken und in Stockbetten; gemeinsam mit ihrem Lehrer bedrohen sie Pamina mit Zirkel und Linealen. Zuvor hatte Manostatos (Rudolf Schasching) sie unter der Schulbank befummelt, später macht er heimliche Fotos von ihr im Bett. Mit einer Fernsteuerung treiben die Schüler dann Verkuppelungs-Späßchen mit der noch auf Alte getrimmten Papagena (Elisabeth Schwarz). Papageno (Markus Werba, mit breitem Wiener Dialekt) verkauft im Kleintransporter „Papageno’s Singvögel Delikatessen“, aber eine Schar von jungen Frauen kauft ihm doch bevorzugt Brathendl ab – bis ihm die drei Damen alle Zähne ausschlagen und die Luft aus den Reifen lassen. Zuvor hatten diese Damen den im Bett schlafenden Tamino mit einer vom Dach des Containers herabgelassenen Schlange bedroht, um ihn anschließend als Krankenschwestern zu umsorgen.

Lehrsätze verdeutlichen die Protagonisten im ersten Akt mit hierfür aufgesetzten Brillen, aber dieses szenisches Motiv wird dann vergessen, nicht wieder aufgegriffen.
Im Terzett vor der finalen Initiation muss Tamino seine orangefarbene Jacke und profane Kleidung ablegen, um die Feuer- und Wasserprobe, welche Wissenschaftler in Astronautenlook durch Glasfenster voyeuristisch verfolgen, in weißer Unterwäsche zu absolvieren.

Vier Kinderwagen werden dem Paar Papageno-Papagena beim Duett zugeschoben, und in der Schlussszene offenbart sich dies nicht als optischer Ausblick auf die erwünschte, kinderreiche Ehe, sondern als bereits vollzogene, empfängnislose Vermehrung, denn Tamino bestrahlt die Kinder in ihren fahrenden Bettchen mit jenem blinkenden Sonnensymbol, das Sarastro als Hoheitszeichen getragen, aber im Schlusschor, beim Gerangel mit der Königin der Nacht, an Tamino, als seinen Nachfolger, verloren hat.

Wenig imposant war der erste Auftritt der „sternflammenden“ Königin, mit einigen Fackeln im Hintergrund gelöst. Am Ende der Oper erstrahlen die Arkaden der Felsenreitschule mit Leuchtröhren in unterschiedlichen Pastelltönen – als ein weiterer Versuch zur Gestaltung jener Sonne, welche die Bühne nach Ansicht der Autoren im letzten Bild darstellt.

Zu einem ungewöhnlichen Erlebnis wird die musikalische Wiedergabe unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Der Dirigent hat Mozarts Originalpartitur gesichtet und aus der Handschrift eine Reihe von Schlüssen auf andere Tempi gezogen, die mehrfach verblüffen. Seine Zusammenarbeit mit dem Concentus Musicus Wien revidiert Hörgewohnheiten. Wurde das Klangbild dieser späten Mozart-Oper traditionell bislang als Antizipation eines romantischen Orchesters gedeutet, so zwingen die historischen Instrumente nun zum Umhören. Besonders dominant sind Schnarr-Klänge der gestopften Posaunen beim ersten Ensemble mit den drei Knaben und der dominierende, oktavierte Einsatz der kleinen Flöte in der Manostatos-Arie. Zwar tönt das Holz nicht immer sauber, aber der harte Anschlag der Pauken sorgt für Aggression und der im Zusammenspiel zweier unterschiedlich großer Donnerbleche erzeugte Donner für gefahrvolle Naturklänge.

Darüber hinaus macht Harnoncourt eine Reihe von ungewöhnlichen Ritardandi. Die ersten Töne im Auftrittslied des Papageno dehnt er über Gebühr. Die g-Moll-Arie der Pamina, von Julia Kleiter souverän und gar nicht larmoyant interpretiert, nimmt er sehr fließend. Für Verblüffung sorgt Harnoncourt mit dem geradezu ängstlich, im piano artikulierten Chor „Triumph, du edles Paar!“, dem dann als ein Schreckmoment der brutale Tutti-Einsatz des Orchesters im Fortissimo folgt. Solisten und der Chor der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor setzen die ambitionierten Intentionen des Dirigenten minutiös um.

Bernard Richter als lyrischer, schlanker Tamino bietet berückende Piani, Mandy Fredrich gestaltet die Königin der Nacht mit glasklaren Koloraturen und mit Verve, ihre Damen (Sandra Trattnigg, Anja Schlosser und Wiebke Lehmkuhl) und die Tölzer Knaben klingen prächtig zusammen. Besonders nachhaltige Wirkung, nicht nur in ihrer szenischen Skurrilität, erzielen Martin Gantner als Sprecher und Lucian Krasznek als sadistisch experimentierfreudiger Erster Priester.

Die überzeugendste Leistung bietet Georg Zeppenfeld: kein weihevoller Bassknochen, sondern ein sehr menschelnder, stimmlich überragender Sarastro. Der mit dem blinkenden Sternenkreis als Orden behangene Potentat verliert am Ende seine Macht an die nächste Generation. Aus Frust hierüber würgt er die Königin – ein Schlussmoment, das auch mit einer neuen Sicht auf Mozarts Musik kaum zusammengeht.

Aber das Publikum goutiert die neue „Zauberflöte“ in der ausverkauften, komplett überdachten, Felsenreitschule ohne Widerspruch.

Weitere Aufführungen: 4., 6., 11., 13., 17. und 19. August 2012.
 

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