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Rampennahe Produktion: Delibes' „Lakmé“ in Bonn. Foto:
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Indische Schönheit auf Umwegen durch die französische Provinz: „Lakmé“ von Léo Delibes an der Oper Bonn

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„Lakmé“ von Léo Delibes wurde 1883 an der Opéra-Comique Paris mit gewaltigem Aufwand uraufgeführt. Allein die Dekorationen sollen 80.000 Goldfrancs gekostet haben. Entstanden ist das Werk, das auf Pierre Lotis 1882 erschienenem Roman „Le Mariage de Loti“ basiert, als Begleitmusik zum französischen Kolonialismus, der mit dem überlegenen britischen rivalisierte. Edmond Gondinet und Philippe Gille arrangierten den von psychologischer Feinzeichnung wenig getrübten Operntext, der ins Indien des 19. Jahrhundert führt.

 Zu „Lakmé“ ging die womöglich entscheidende Anregung freilich von der amerikanischen Sopranistin Marie van Zandt aus, die in den Inkubationsjahren des Projekts als Mignon in der gleichnamigen Oper von Ambroise Thomas die Pariser verzückte. Damals wie heute steht und fällt eine „Lakmé“-Aufführung mit der Stimmfertigkeit und Bühnenpräsenz der Hauptdarstellerin.

In Bonn profiliert sich Miriam Clark als Lakmé. Sie weiß die virtuosen Register zu ziehen, aber insbesondere auch die Momente des Elegischen anrührend zu gestalten. Die große und herausfordernd schwere Partie wirkte weithin wie schwerelos und ging zu Herzen. Im Theater der Bundesstadt präsentierte sich eine Primadonna, die der Rolle der exotischen Schönheit mit verführerischer Stimme umfassend gerecht wird: frisch und fromm, bang-fröhlich und dann zu Tode betrübt.

Die Rührgeschichte mit einer leichten Prise indischen Unabhängigkeitskampfs führt in das luxuriös-heilige Refugium des Brahmanen Nilakhantha, dessen als Hohe Priesterin fungierende und – natürlich – bildhübsche Tochter von neugierigen englischen Indien-Reisenden aufgestöbert wird. Einer der jungen Kolonialoffiziere entwickelt auf den ersten Blick Begehrlichkeit gegenüber der in einem Schwanenkahn gondelnden Lakmé; Liebe und Verhängnis nehmen ihren raschen dramatischen Verlauf. Denn wie selbstverständlich will der Brahmane den Eindringling und „Schänder“ töten, schafft dies auch beinahe (die Engländer kommen nicht besonders vorteilhaft weg beim Zusammenprall der Kulturen – auch das gehört zu den Momenten des Werks, die zeittypisch erscheinen, und doch auch „zeitlos“). Der schlanke Alexandru Badea offeriert das hormonal bedingte „Anhimmeln“ mit etwas engem, aber sauber geführtem und nicht gepressten Tenor, erscheint also bestens geeignet für die Partie des naiv-draufgängerischen Liebhabers. Nach der Mode der Zeit stirbt Lakmé, des verräterischen Wesens ihres Gérald gewahr werdend, den Liebestod. Der Vater singt ergriffen von der Glückseligkeit des Himmels. Renatus Mészár tut dies mit ruhiger souveräner Stimme.

Die Komposition des als Ballettmusikers berühmt gewordenen und gebliebenen Organisten und Hochschullehrers Delibes zeichnet sich durch Passagen der kammermusikalischen Delikatesse aus und durch die Kenntnis all dessen, was im Jahr 1883 rings um die Opéra-comique an musikalischen Schreibstilen auf dem Markt war – eine ordentliche Portion Meyerbeer hallt in der „Lakmé“ nach (vor allem die „Afrikanerin“); aber auch Jules Massenet und Jacques Offenbach haben unfreiwillig ihren Obulus entrichtet. Schließlich die Melodien der fernen Länder, die nach Paris vorzudringen begannen. Stefan Blunier bringt die Vielfarbigkeit der Partitur mit großen Engagement und Fingerspitzengefühl für die Feinheiten der Instrumentierung zur Geltung.

Die Bonner „Lakmé“-Inszenierung entstand in Kooperation mit dem Opernhaus in Metz, dessen Intendant auch – mit an Biederkeit grenzender szenischer Zurückhaltung – Regie führte. Die Ausstattung setzte ganz und gar auf vervielfältigte Ornamente, wie sie in etwa so in indischen Serails und Tempeln zu finden sind. Die insgesamt rampennahe Produktion spiegelt getreu das, was seit Jahrzehnten so oder so ähnlich in der französischen Provinz an pflegeleichten „Lösungen“ für ein angeblich „sängerfreundliches“ Theater angeboten wird. Doch Gérald und Mistress Bentson würde ebenso wie dem aussterbenden Brahmanengeschlecht ein Gefallen erwiesen, wenn sie in Reflexion ihrer historischen Rollen in Bewegung gesetzt würden. Text und Partitur jedenfalls sind besser, d.h. auch ein wenig kritischer und brisanter, als die allzu schlichte Bühnenschönheit am Niederrhein ahnen lässt.

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