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Der Fligende. Foto: Hufner
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Kein feuchter Traum des Steuermanns – Deutsche Oper Berlin spielt Wagners Ur-„Holländer“ in der Philharmonie

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In einem Doppelprojekt zum Wagner-Jahr zeigt die Deutsche Oper Berlin in konzertanter Form die Vorstufen von Wagners „Der fliegende Holländer“ auf. In acht Tagen wird im Berliner Konzerthaus die auf der Basis von Wagners in Paris verkauftem Prosaentwurf entstandene zweiaktige Opéra fantastique „Le Vaisseau fantôme, ou Le maudit des mers“ von Pierre-Louis-Philippe Dietsch konzertant zur Aufführung kommen. Dem voraus ging in der Philharmonie eine ebenfalls nur konzertante Version von Wagners Urfassung seiner Romantischen Oper – allerdings am Rande zum Etikettenschwindel.

Mehr als über die Urfassung von WWV 63 erzählt das Berliner Doppelprogrammheft zu beiden Versionen des „Geisterschiffs“ über Dietschs Oper. Die Wiederaufführung dieser lange vergessenen Oper fand bereits vergangene Woche, zum 200. Geburtstag Wagners, unter Mark Minkowski in Paris statt, und derselbe Dirigent wird sie demnächst auch in Wien leiten.

Häufiger als Dietschs Version begegnet der Hörer Richard Wagners Urfassung seiner Oper „Der fliegende Holländer“. Seit Siegfried Wagner im Jahre 1901das Werk erstmals pausenlos auf die Bayreuther Bühne gebracht hat, näherten sich stufenweise diverse Aufführungen der Urfassung an. Wieland Wagner und Wolfgang Sawallisch spielten 1959 – ebenfalls in Bayreuth – erstmals die Urfassung der um einen Halbton höher, in a-Moll stehenden Senta-Ballade, und in Harry Kupfers Bayreuther Inszenierung des Jahres 1978 wurde größtenteils die Instrumentation, sowie der harte, noch nicht nach verklärender Erlösung klingende Schluss der Urfassung gewählt, nicht jedoch die an der schottischen Küste Donald und Georg (mit Betonung auf der zweiten Silbe des Namens) benannten Rollen von Sentas Vater und ihrem Jugendgeliebten, dem Jäger. Wagners Urfassung, die in Schottland statt in Norwegen angesiedelt ist, ist seit dem Jahre 2004, seit sie im Bolschoi-Theater in Moskau erstmals konsequent szenisch realisiert wurde, durchaus häufiger an Theatern zu erleben. (Der Besetzungszettel der Berliner Erstaufführung gibt zur Sicherheit in eckigen Klammern die gängigen Namen Daland und Erik mit an.)

In der Philharmonie Berlin dirigierte Donald Runnicles aus der Partitur der Wagner-Gesamtausgabe, und auch das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielte aus dem Material der beim Verlag Schott erschienenen Urfassung.

Mehrere der Solisten aber hatten sich – so weit sie nicht, wie der mehr als halbszenisch agierende Samuel Youn in der Titelrolle, auswendig sangen – bestenfalls die vermeintlichen Varianten der Urfassung in ihre herkömmlichen Klavierauszüge übertragen.

Beispielsweise unterblieb in der Partie des Steuermanns jene Besonderheit, auf die alle Kenner der Urfassung warten. Der Steuermann nämlich singt im Original, „sich schlaftrunken halb aufrichtend“, offenbar aus feuchtem Sehnsuchtstraum erwachend, „Ach! Liebes Mädel, blas noch mehr! Mein Südwind...“ Clemens Bieber hingegen blieb bei der gängigen späteren Version, welche offenbar auf prüde Verleger zurückgeht.

Der in der Höhe flache Bassist Antje Jerkunica bezeichnete sich zwar als gastfreundlichen Schotten, aber dessen hörbare Casusfehler gehen nicht auf Wagners Urfassung zurück.

Der von William Spaulding einstudierte Chor sang auswendig; in der vorbildlichen Diktion war allerdings bei den Damen, anlässlich der ersten Nennung von „Georg“, eine Verunsicherung hörbar. Ein im Programmheft nicht genannter Herren-Zusatzchor sang vor der Orgel den Chor der Mannschaft des Holländers. Durchaus eindrucksvoll ertönten die ersten Einsätze der Bühnenmusik aus oberen Emporen zu den Seiten des Publikums. Aber das, was Wagners Urfassung ihren besonderen Klangreiz verleiht, wurde in dieser Aufführung nicht deutlich.

Die Wildheit des Klanges, das in der Entfaltung von Naturgewalt und gespenstischem Schrecken vorherrschende Blech und Schlagwerk, domestizierte Runnicles zu einem Klangbild, welches sich kaum noch von dem der späteren Fassung unterschied. Selbst der 1-Uhr-Glockenschlag kam äußerst dezent, und die schrille Schiffspfeife entfiel völlig.

Von einem nicht komponierten Huster abgesehen, ist Ricarda Merbeth eine die Hochdramatische ahnen lassende Senta, die bei Spitzentönen in der Intonation bisweilen nachfärbt. Rundum überzeugend Dana Beth Miller als eine kernige, schottische Mary (die hier aber, der späteren Tradition folgend, als norwegische Mary besungen wurde).  Klaus Florian Vogt als Georg verblüffte bei der Kavatine in Nr. 8 mit einem Zwischenatmen im Wort „drang“.

Der im Vorjahr auch in der Bayreuther Premiere der Neuinszenierung als Einspringer gefeierte koreanische Heldenbariton Samuel Youn in der Titelrolle war die überragende Persönlichkeit des Abends. Obgleich seine Tiefe, in der er mehr spricht als singt, dringend der Pflege bedarf, gelingt ihm insgesamt eine sehr eindrucksvolle Gestaltung, auch in Ausdruck und Mimik. Spätestens, wenn er mit einem Handstreich eines der störenden Pulte zur Seite fegt, versammelt er alle Sympathien der Opernfreunde auf sich.

Donald Runnicles, der auch mal aufs Taktieren gänzlich verzichtet und den Chor nur mit dem Kopf zu dirigieren im Stande ist, forcierte in der pausenlosen Aufführung durch einen heftigen Einschnitt nach der Ouvertüre einen ersten Applaus. Auch am Ende gab es in der nicht ganz ausverkauften Philharmonie viel Jubel – für leider zu wenig Ungewöhnliches.

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