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Vasiliki Roussi und Marcus Günzel in Sondheims „Passion“ in Dresden. Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert
Vasiliki Roussi und Marcus Günzel in Sondheims „Passion“ in Dresden. Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert
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Knallharte Story mit sanften Klängen: Stephen Sondheims „Passion“ als Deutsche Erstaufführung an der Staatsoperette Dresden

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Immer wieder mal was anderes sagt man sich an der Staatsoperette und platziert ein ungewöhnliches Werk als deutsche Erstaufführung zwischen dem Zigeunerbaron und der Großherzogin von Gerolstein. Nicht direkt geradewegs, aber beinahe, kommt Stephen Sondheims Musical Musical „Passion“ vom New Yorker Broadway nach Dresden-Leuben. Und was man sich am Broadway nicht leisten konnte zur Uraufführung 1994, was aber der Intention des Komponisten entspricht, ist das große Orchester mit sattem Streicherklang, wie es die Staatsoperette bietet in einer Premiere, die zugleich das Debüt für den neu verpflichteten Kapellmeister Peter Christian Feigel ist.

Vorlagen für „Passion“ sind der unvollendete Roman „Fosca“ des italienischen Autors Iginio Ugo Tarchetti und der 1981 danach entstandene Film „Passione d´amore“ von Ettore Scola. Die Handlung führt nach Mailand und in die italienische Provinz 1862. Zunächst eine Trennungsgeschichte: Durch Versetzung wird der junge Offizier Giorgio von seiner Geliebten Clara, einer schönen, aber verheirateten jungen Frau, getrennt. Der paradiesische Zauber einer Liebesnacht, mit der das Stück stimmungsvoll, aber nicht gänzlich frei von leichter Bitternis beginnt, ist letztlich ja doch abhängig von Claras Geschick und ihrer Kunst der Terminabstimmungen. Vom Glück wird gesungen, vom Sterben auch.

Am Einsatzort in provinzieller Öde lernt Giorgio die todkranke Fosca kennen. Er gerät in den Bann dieser Frau, von der eine besondere Faszination ausgeht, obwohl sie ihrer Erscheinung nach zu jenen Frauen zählt, die man gemeinhin nicht schön oder attraktiv nennt. Die Verbindung zu Clara hält Giorgio in Briefen. Und so nimmt eine dramaturgisch geschickt komponierte kammerspielartige Handlung um Leidenschaft und Leid ihren Lauf.

Eine verstörende Geschichte, auf den ersten Blick erscheint sie vielleicht etwas rührselig. Auf den zweiten ist sie knallhart, abgründig und gemein. Weil das Geschehen in so verflixt sanfte und verführerische Musik gebettet ist, bekommt man das nicht sofort mit.

Wir erleben drei Menschen auf dem Weg ins Unglück. Jeder ist schuld an dem des anderen. Mit Vorsatz handelt keiner. Am Ende schickt sich die Lichtgestalt Clara in die Einsamkeit einer beziehungslosen Ehe. Fosca, die Leidende, ist tot, Giorgio krank und nervlich am Ende. Er ist die wahrhaft tragische Figur dieser Dreiecksgeschichte. Beide Frauen, bewusst oder unbewusst, finden die Bestätigungen ihrer Liebesfähigkeit und Liebenswürdigkeit allein im Spiegel seiner Zuneigung. Von hoher Leidensfähigkeit, gepaart mit selbstquälerischer Veranlagung, sind alle drei. Dass wir eigentlich von den Gefühlsverstrickungen zwischen Fosca und Giorgio vornehmlich aus Briefen erfahren, die er mit Clara austauscht, dass sich Fosca ebenfalls als Briefschreiberin und Brieferpresserin in diesen intimen Austausch drängt, ist so raffiniert wie brisant und könnte eine tolle Vorlage für einen Thriller à la Hitchcock sein.

Dazu kommt Foscas Arzt (Hans-Jürgen Wiese), der am Ende sehen muss wie er damit zurecht kommt, dass er in edler Absicht Giorgio und Fosca zu Figuren seiner Versuchsanordnung eines Experiments am offenen Herzen gemacht hat. Und das alles in einem Musical. Die Raffinesse der Briefszenen mit den musikalischen Linien, die parallel laufen, dann gegeneinander geführt werden, sich kreuzen, einsam ins Leere laufen, traut man diesem Genre der Ohrwürmer zum Mitklatschen gar nicht zu.

Keine langen Szenen. Knappe Schnitte. Auf Klänge aus Glück und Walzermelancholie folgen militante Trommeln für burleske Zwischenspiele. Wie selbstverständlich geht das gesprochene Wort in Musik über, Sprachmelodie. Das ist Theater mit Musik, die sich mit der Handlung verbindet und hörbar macht, was man nicht sieht oder nicht sehen will. Die Musik erst macht diesen unaufhaltsamen Fluss des schönen Unglücks möglich.

Regisseur Holger Hauer inszeniert ein Kammerspiel auf der so angenehm sparsam eingerichteten Drehbühne von Christoph Weyers. Im Wesentlichen aber halten sie sich an den Stil des Originals der Broadwayuraufführung. Zeitlich haben sie sich vom italienischen Flair verabschiedet zugunsten von Zeitlosigkeit mit Gegenwartsbezug. Im Mittelpunkt stehen die Menschen. Andeutungen, Assoziationen, Lichtstimmungen reichen aus, um Orte und Räume entstehen zu lassen. Für die drei Hauptpartien stehen mit Maike Switzer, Vasiliki Roussi und Markus Günzel als Clara, Fosca und Giorgio Protagonisten auf der Bühne, die das Geschehen tragen, authentisch in der Erscheinung, überzeugend im Gesang. Eine gewisse Zerbrechlichkeit in den Tönen der Lichtgestalt Clara vernimmt man als Widerklang ihrer Konflikte. Geduckt, verhärmt, schleichend, die dunkle Fosca. Dieses Leidensbündel in seiner Unangreifbarkeit ist nicht ungefährlich. Krank, vom Leben benachteiligt, schon einmal betrogen und jetzt, eher unbewusst, ein Rachewesen mit Zerstörungspotenzial.

Das Opfer ihrer Begierde auf dem Weg zum persönlichen „Liebestod“ ist Giorgio, im Spiel und im Gesang, in Naivität und Verwirrung mit den starken Momenten eines schwachen Mannes, dem nicht geholfen werden kann. Wirken diese drei Darsteller schon durch die Konstellationen ihrer Rollen, sei es allein oder in Begegnungen, so hätten alle weiteren Personen in den kleineren Partien durchaus Konturen vertragen können. Das gilt besonders für die knappen Auftritte eines Minisoldatenchores, dem ja wohl so etwas wie eine Kommentarfunktion mit Slapstick-Elementen zukommt.
Vom Musikalischen her ist es wohl Absicht, dass dieses unaufgeregte Gleichmaß des unaufhaltsamen Unglücks immer schwerer erträglich wird, zumal die Musik sich zunehmend in perverser Sanftheit ergeht.

Peter Christian Feigel macht sich mit den Damen und Herren des Orchesters zum Anwalt dieser gefährlich-schönen Klänge. Manchmal aber wünschte man sich, dass es schroffer zugehen möchte, dass die trommelnde Militanz schärfer den Schnitt der knappen Szenen bestimmte, um so der Gefahr schleichender Ermüdung zu entgehen. Nach knapp zwei Stunden ohne Pause viel herzlicher Applaus für das ganze Ensemble, für Maike Switzer, Vasiliki Roussi und Marcus Günzel besonders großer Jubel.

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