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Don Bartolo (Tobias O. Hagge) sperrt sein Mündel Rosina (Andrea Chudak) ein. Foto: Christian Brachwitz
Don Bartolo (Tobias O. Hagge) sperrt sein Mündel Rosina (Andrea Chudak) ein. Foto: Christian Brachwitz
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Koloraturen im Rhönrad und beim Cunnilingus: Paisiellos „Der Barbier von Sevilla“ beim Festival Schloss Britz

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Mozarts Einleg- oder besser Ersatz-Arie für Rosina in Paisiellos „“Il Barbiere di Seviglia“, KV 580, die der Komponist 1789 in das „Verzeichnüß“ seiner Werke aufnahm, ist in der Handschrift unvollendet, so dass die Forschung lange davon ausging, die von Mozart avisierte Aufführung habe nicht stattgefunden. Die Macher des Festivals im Berlin-Neuköllner Schloss Britz haben dagegen richtig erkannt, dass die Sopranarie „Schon lacht der holde Frühling“ aus dramaturgischen Gründen nicht zu Ende komponiert ist, weil Doktor Bartolo, Rosinas eifersüchtiger Vormund, die vorgebliche Gesangsstunde unterbricht.

Im 13. Jahre ihres Bestehens brachte die Sommeroper des „Festival Schloss Britz“ jene seit 1782 viel gespielte Oper von Giovanni Paisiello nach Pierre Augustin Carron Beaumarchais zur Aufführung, der erst im 19. Jahrhundert, durch Rossinis Vertonung von 1816, der Rang abgelaufen wurde. Die Begegnung mit dem ersten Teil der Beaumarchais-Trilogie brachte Mozart auf die Idee, deren zweiten, „Der tollste Tag“ als „Die Hochzeit des Figaro“, zu vertonen, während der dritte Teil „Der neue Tartuff oder die schuldige Mutter“ erst im 20. Jahrhundert durch Giselher Klebe als „Figaro lässt sich scheiden“ (basierend auf Ödön von Horváths Komödie) den Weg auf die Musikbühne gefunden hat. Wie sehr Mozart Paisiellos Oper bewundert, ja wie viel er daraus adaptiert hat, macht die Berliner Wiederaufführung deutlich. So lässt Rosinas Arie am Ende des ersten Aktes sogar schon Mozarts „Don Giovanni“ („Dalla sua pace“) vorausahnen.

In der verkürzten Aufführung sind die Rezitative bis gegen Ende des dritten Aktes durch Dialoge ersetzt. Bettina Bartz und Werner Hintze, die lange Jahre für die aktuell zugespitzten deutschen Übersetzungen an der Komischen Oper Berlin verantwortlich zeichneten, haben gemeinsam mit Regisseurin Tatjana Rese die hintergründig witzige deutsche Textfassung erstellt. Die Konzentration richtet sich auf Rosina als einzige Frau; die Figur der Marzellina wurde ganz gestrichen, und die Nummer mit den gähnenden und niesenden Dienern übernehmen auch die kurzerhand von Figaro ummaskierten Sängerdarsteller von Rosina und Basilio (Andreas Neher). Auch die Arie Figaros ist gestrichen, dafür gibt der Bariton Matthias Jahrmärker, mimisch mit Bezug zur Commedia dell’ arte, gleich viermal am Abend eine selbst geschaffene Lidermacher-Nummer („Wer ruiniert das Werk der großen Meister?“) mit Keyboard-Begleitung des versierten Dirigenten zum Besten.

In Pia Wessels farbenfroher Ausstattung bildet ein Rhönrad die Attraktion, auf dem bis zu vier Sänger gleichzeitig turnen und bei dessen Drehung Andrea Chudak als Rosina in Kopflage ihre ersten Koloraturen entwickelt. Die Koloraturen von Mozarts Einlegearie entfesselt die versierte Sängerin – das hätte Mozart sicher besonders gefallen – beim Cunnilingus des mit überlanger Perücke als Hilfsgesangslehrer verkleideten Liebhabers Almaviva (Julian Rohde). Mit Wärmehaube und Fön hantiert die Titelfigur in „Figaros Haarambulanz“, die später mit Stehlampe zum Innenraum von Doktor Bartolo (Tobias O. Hagge) umfunktioniert wird. Die – Rossini allerdings deutlich unterlegene ­– Gewittermusik  ist als Bewegungspantomime mit dem antizipierten Notar (Marlon S. Maia) in Stroboskop-Blitzen und mit Donnerblech umgesetzt.

Das hinter der Bühne positionierte Orchester des Festivals Schloss Britz – mit zahlreichen Dozenten der Musikschule Paul Hindemith Neukölln –  leitet Stefan R. Kelber routiniert und sicher, gefühlvoll und auch hinterhältig, mit akzentuierten Höhepunkten. Der ehemalige Kuhstall des Schlosses ist ein kleines akustisches Wunder. In diesem „Kulturstall“ feiert das Publikum begeistert Paisiellos Oper und ihre höchst unterschiedlich tragfähigen Wiederbeleber.

Peter P. Pachl

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