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Foto: © Matthias Heyde
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Kōsaku Yamadas japanische Nationaloper „Schwarze Schiffe“ an der Neuköllner Oper

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Kein europäisches Theater hat sich bisher an den japanischen Komponisten Kōsaku Yamada (auch Kósçak Yamada, 1886 bis 1965) gewagt. Er wurde nach seinem Studium in Berlin bei Max Bruch von 1910 bis 1913 zum Gründer der japanischen Gesellschaften für Musiktheater und Sinfonieorchester. So brachte er die bis heute in Japan andauernde Leidenschaft für die klassische Musik des Westens in Gang. Standesgemäß und selbstbewusst versetzt jetzt die Neuköllner Oper seine Grand’Opéra „Schwarze Schiffe“ („Kurofune“) mit einem japanischen Team auf ihre kleinere Spielstätte für maximal 45 Zuhörer.

Fremdartigkeit und ernsthafter Anspruch fügen sich zu einem Musiktheater-Abend unter nur scheinbar vertrauten Vorzeichen. Diese europäische Erstaufführung ist ein Muss, weil sie tatsächlich neue Perspektiven aufreißt.

Dabei ist die Konstellation auf den ersten Blick alles andere als ungewöhnlich: Die Zerrissenheit einer jungen Frau, der Geisha Okichi, zwischen männlichen Repräsentanten zweier Kulturen, der Tod des einen von ihnen und ein intensiv ausgebreiteter Showdown widerstreitender Affekte. Das erinnert an „Aida“ und natürlich an „Madama Butterfly“, vor allem in den enormen Anforderungen an die weibliche Hauptpartie. Yuri Mizobuchi, singt diese umfangreiche Partie, ist für die Produktion Medium und Coach. Der lange Schlussapplaus gilt auch der Darstellung eines Werkes, das gerade aufgrund seiner täuschenden Nähe zur europäischen Kultur Verständnisfallen auslegt. Das ist der entscheidende Unterschied zu Puccini.

In der Neuköllner Oper konzentriert man die eigentlich üppig orchestrierte Oper von zweieinhalb Stunden auf eine Fassung von ca. 80 Minuten. Das führt trotz des sehr szenisch akzentuierten und kontrastreichen Klavierspiels von Aki Schmitt auf den vom Produktionsteam gewollten Holzweg. Die Geisha Okichi, die wie die biblische Judith den politischen Gegner und neuen Wirtschaftsgegner ausschalten soll, und auch die japanischen Würdenträger, singen stellenweise in musikalischen Perioden à la Brahms oder Bruch, dann wieder in östlicher Pentatonik. Auch für die Beteiligten ist nie ganz klar, wann diese Mittel vom Komponisten Kōsado Yamada als kalkuliertes Kontrastkolorit eingesetzt werden, wann als seine spezifische musikalische Intuition. Neben dem Klavierpart akzentuiert der Einsatz der in der Partitur nicht vorgesehenen Shō, eine schwer zu spielende japanische Mundorgel (Naomi Sato), Fremdartigkeit. Das wird durch den Gebrauch von Sprache und der überwältigenden Faktenfülle in den Übertiteln noch verstärkt. Nicht Einfachheit, sondern gezielte Beanspruchung der Hörer ist also das Ziel von Dramaturgin Olivia Maria Schaaf und von Regisseur Tomo Sagao, der das Geschehen auf einen langen Laufsteg mit Stufen, einer Sprossenleiter und einer Raumnische von Yassu Yabara setzt. Deren Kostüme sind weder imitierte Folklore noch authentische Ersatztextilien. Billige Casuals mit einigen Verfremdungen reißen die Spannungen zwischen Annäherung, Skepsis, Missverständnissen und politischer Dynamik auch in der Visualisierung auf.

Die Affekte der Geisha Okichi zeigen sich zwischen den Sprachen. Gesang springt ständig vom Deutschen ins Japanische und ins Amerikanische. Das geht, weil Kōsado Yamada das Textbuch Percy Noëls für die geplatzte Produktion in Chicago 1928 anlässlich der Uraufführung 1940 für Tokio ins Japanische übersetzte. Die Öffnung Japans nach der Konfrontation mit den vier amerikanischen „Schwarzen Schiffen“ – so der Originaltitel der Oper – und der daraus entstehende Bruch mit der Vergangenheit rasen als Faktenfolge der Geschichte von 1853 bis heute in den Übertiteln vorbei, während Okichi sich auf der Spielfläche zwischen alten und neuen Kulturbindungen zerreißt und die Seele aus dem Leib singt. Das geht in der Besetzung so weit, dass mit dem Tenor Edwin Cotton ein Amerikaner und als Repräsentant des sich selbstmordenden alten Japan der deutsche Bariton Tobias Hagge auftreten. Ein sinnfälliger Casting-Coup, um das zwischen Vertrautheit und Fremdartigkeit liegende Werk einem Publikum vorzustellen, dessen ganz große Chance hier seine Unbefangenheit ist. Genrekenntnisse zur Großen Oper und zum Musiktheater sind, wenn auch die hier gestrichenen Chorszenen wohl weitere Fakten zum Verständnishintergrund geliefert hätten, eher Handicap als Stütze. Ein – auch darin ist der Abend eine Sensation – zwiespältiger Eindruck entsteht durch die Nähe der Zuschauer zu den drei Sängern. Wie soll man hier sinnfällig machen, dass körperliche Berührungen im hochdramatischen Spiel in der japanischen Kultur ein scharfer Tabubruch sind?

Herauskommt ein Musiktheater der Irritationen, die einfach gut sind, weil es sich diese Produktion nicht einfach macht. Hoffentlich sieht das jemand und bringt die Oper „Morgenröte“ – das ist ein weiterer Titel von „Schwarze Schiffe“ – bald in der Originalfassung heraus. Am besten unter dem praktischen Beistand von Yuri Mizobuchi, die alles über europäisches Singen und japanische Oper weiß. Die Neuköllner Oper bleibt sich wie der japanischen Überlieferung treu, sie fügt einen weiteren Titel dazu: An der Karl-Marx-Straße nennt man „Schwarze Schiffe“ für den Kiez „Rette uns, Okichi!“.

Im Umfeld dieser Premiere und einer „Fledermaus“-Bearbeitung, die auf eine SM-Party entführt, ist gerade die CD des Singspiels „Stella“ von Wolfgang Böhmer und Peter Lund erschienen, das den Deutschen Musicalpreis 2016 erhielt. Egal, ob „das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ oder die scheidungswillige Rosalinde oder die Geisha Okichi: Die Neuköllner Oper ist nie verlegen um spannende Sujets und überraschende Bühnenlösungen. 

  • Ca. 12 Vorstellungen bis 15. April 2017, tickets [at] neukoelleneroper.de (tickets[at]neukoelleneroper[dot]de) - Karten:  030-688907-77

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