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Armin Kolarczyk (Ottokar), Ina Schlingensiepen (Agathe). Foto: Tom Kohler
Armin Kolarczyk (Ottokar), Ina Schlingensiepen (Agathe). Foto: Tom Kohler
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Lebt kein Gott? Webers „Der Freischütz“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe

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In Karlsruhe verlegt Verena Stoiber Webers Freischütz in die Kirche – ein musikalisches Hochamt wird dennoch nicht daraus. Joachim Lange meint: „Nicht nur die Schärfe beim Eröffnen von Assoziationsräumen in die Gegenwart, auch die souveräne Leichtigkeit der Umsetzung, fehlen.“ Statt dessen ein paar Kalauer zu viel und manche Tümelei.

Es gibt zwei Momente in dieser Inszenierung, die Zustimmung provozieren. Verena Stoiber hat sich der oft in peinlichem Sängersprech absolvierten Dialoge von Johann Friedrich Kind entledigt. Stattdessen gibt es Videoeinspieler von Thiemo Hehl, in denen jeder Protagonist mit einem erfrischenden Maß an Distanz seine Rolle reflektiert. Das machen sie durchweg gut. Und wenn Agnieszka Tomaszewska – halb sie selbst, halb das Ännchen, das sie spielt, über Sinn und die Glaubwürdigkeit des Probeschuss-Rituals spricht und ganze für Quatsch hält, dann hat man kaum eine andere Chance, als ihr innerlich spontan zuzustimmen. Leider kann sie dann aber beispielsweise nicht glaubhaft umsetzen, warum sie der dauerdeprimierten Freundin Agathe die Geschichte vom Kettenhund Nero ins Ohr trällert. Für das kurze, müde witzig kommentierende „Ha ha“ von Agathe ist der Aufwand zu hoch.

Das zweite Mal sympathisiert man mit einer komplett inkorrekten Verhaltensweise des Priesters. Nicht, was heutzutage jedermann in dem Zusammenhang zu vermuten bereit ist – die Ministranten bleiben unangetastet. Man stimmt diesem Ottokar (solide: Armin Kolarczyk), der in Karlsruhe Priester und Fürst in Personalunion ist, spontan mit einem „das wird auch Zeit!“ zu, wenn er kurz vorm Finale Max eine scheuert und ihm endlich beherzt die Knarre wegnimmt, die er vorher auf jeden gerichtet hatte, der ihm beim Torkeln durch die Kirche vor die Flinte kam. 

„Da haben wir mal ein Skandälchen …“

Solche Augenblicke sind an diesem Abend leider die Ausnahme. Da haben wir mal ein Skandälchen – sagte ein Zuschauer beim Gang in die Pause. Er hat wohl recht, aber das Ärgerliche an dieser Inszenierung ist nicht eine zu scharfe Gangart in Sachen Kirchenkritik, Diskurs übers Nationale oder die Überforderung des Einzelnen wodurch auch immer – also bei all dem, was man halt so von einer „Freischütz“-Inszenierung im Jahr 2018 erwarten könnte. Das Problem ist die lasche Machart, wie ein (noch dazu vor vier Jahren mit dem renommierten Ring Award ausgezeichnetes) Konzept die Geschichte auf einen Punkt verengt und dann umgesetzt wurde. Allein schon der auf Laienspiel der Gemeinde hin auch noch separat von David Laera chroeographierte Jungfernkranz gehört in die Rubrik „Was es auch mal gab“. Überhaupt tümelt der Chor (Ulrich Wagner) mit einem Mimen-Übereifer einzelner vor sich, dass der Verdacht aufkommt, das alles sei ein Parodieversuch. Das ist bei den Jägern nicht anders, als beim übrigen Personal. Nur dann hätte Stoiber kraftvoller zulangen müssen, dann bleibt sie zu zaghaft. So muss man, was man sieht, wohl für bare Münze nehmen. Wenn Kuno (Renatus Meszar) in ordensgeschmückter Uniform und mit Krückstock auch den Schützenchor leitet, und so tut, als würde er das allseits bekannte „Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen“ dirigieren, dann parieren die Herren und singen das leider auch so. Jedenfalls stellenweise.

Stoiber und ihre Ausstatterin Sophia Schneider haben alles in eine Kirche verlegt. Sie suchen also die bewusste (Nachdenk-)Provokation. Der Raum ist düster. Ein paar Kirchenbänke zwischen machtvoll aufragenden gotischen Säulen und Bögen. Auch ohne Natur liegt die Assoziation zum sprichwörtlichen und bedeutungsschwangeren deutschen Wald nahe. Ein angedeuteter Altar in der Mitte. Links ein sehr multifunktionaler Beichtstuhl. Hier geht auch Kaspar ein und aus. Schon während der Ouvertüre verschwinden erst Agathe und dann Kaspar darin. Wenn er wieder rauskommt schließt er seinen Hosenstall. Kurz darauf folgt ihm Agathe und Max kriegt es mit. Vielleicht ist das alles ja nur seine personifizierte Angst vorm Versagen – in dem Falle als Mann bei seiner Braut Agathe. Am Ende gibt es den Schuss auf Agathe doppelt. Er verwundet Kaspar und Max an der gleichen Stelle. Wenn der von Anfang an labile, gefährdete Max völlig in den Wahnsinn abzutauchen scheint, sucht er so eifrig wie vergebens nach dem im Beichtstuhl verschwundenen Kaspar. Er (und wahrscheinlich nur er) sieht ihn dann auf jenem Gerüst hinter dem Altar, das sich auch in der Wolfsschlucht schon als metaphorischer doppelter Boden (in dem Fall eine doppelte Wand) erwiesen hatte. Die zentrale Wolfsschlucht-Szene ist in Karlsruhe tatsächlich eine Schwarze Messe. Hinten diabolisches Raunen und vorne werden die Weihrauchfässer geschwenkt. Der Gedanke hat zwar dialektischen Witz, aber keine echte Chance, sich zu profilieren. Das verhindern Kalauer – wie der, wenn sich Agathe auf dem Altar mit gespreizten Schenkeln präsentiert. Bei der Zahl sechs versteht sich.

Vielleicht waren ja die Erwartungen an Verena Stoiber nach ihrem Chemnitzer „Rheingold“-Wurf einfach zu hoch. Nicht nur die Schärfe beim Eröffnen von Assoziationsräumen in die Gegenwart, auch die souveräne Leichtigkeit der Umsetzung, mit denen sie dort überzeugte, fehlen diesmal. 

Leider tröstet auch nicht die sonst in Karlsruhe gewohnte Qualität von Orchester und Protagonisten über die szenischen Defizite hinweg. Neben Kuno macht Konstantin Gorny als Kaspar vokal noch die beste Figur. Matthias Wohlbrecht ist allzu gaumig, gebremst und bekommt keine Chance, auch nur einen Funken Verständnis für seinen Max zu wecken. Aber auch Ina Schlingensiepen als Agathe bleibt seltsam zurückgenommen. In dieser Kirche wird zwar frech und provozierend geraucht oder der Beichtstuhl für alles Mögliche außer der Beichte genutzt, aber sie singen als würde sie der sakrale Raum am letzten Aufblühen der Stimme hindern und nicht animieren. Johannes Willig am Pult der Badischen Staatskapelle scheint es ähnlich zu gehen – er bleibt selbst bei den Hits der Oper erstaunlich zaghaft. Zumindest bei der musikalischen Seite des Abends gibt es noch jede Menge Luft nach oben.

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