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Sascha Rotermund, Carolin Fortenbacher, Sonja Dengler, und Benjamin Hübner im Hamburger „Orangenmädchen“. Foto: Oliver Fantitsch
Sascha Rotermund, Carolin Fortenbacher, Sonja Dengler, und Benjamin Hübner im Hamburger „Orangenmädchen“. Foto: Oliver Fantitsch
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Leichtigkeit der Liebe, Zerbrechlichkeit des Glücks: „Das Orangenmädchen“ am Altonaer Theater

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In Hamburg hatte am 8. Mai 2011 „Das Orangenmädchen“ Premiere, ein Stück nach dem gleichnamigen Bestseller des norwegischen Autors Jostein Gaarder („Sofies Welt“). In der Fassung für das Altonaer Theater handelt es sich um ein Musik-Theater aus der Feder des Komponisten Martin Lingnau. Christian Gundlach schrieb das Buch, Edith Jeske die Liedtexte. „Das Orangenmädchen“ ist vor allem eine Hymne an das Leben und die Liebe, trotz der immer wieder durchschimmernden Selbstbefragung, Verwunderung, Selbstzweifel, Trauer, einen Menschen zu verlieren und dass das Leben dennoch weitergeht.

Im Mittelpunkt steht der junge Georg, der Jahre nach dem frühen Tod seines Vaters Jan Olav einen an ihn gerichteten Brief des Vaters findet, sozusagen eine Erbschaft. Was schreibt ein Vater, der weiß, dass er bald sterben wird, seinem Sohn? Durch diesen Brief wird Georg mit dem Tod konfrontiert und beginnt, über das Leben nachzudenken. Vor allem aber erzählt der Brief von der hartnäckigen und teilweise auch sehr komischen Suche Jan Olavs nach dem geheimnisvollen Orangenmädchen Veronika. Es ist die Geschichte einer großen Liebe. Georg führt diese Geschichte zu der Erkenntnis, dass auch er an der Schwelle zum Erwachsensein steht – und reif ist für die Liebe, die ihm in Gestalt der jungen Geigenschülerin Isabell erscheint.

Entstanden ist ein Stück über die Leichtigkeit der Liebe und die Zerbrechlichkeit des Glücks. Die wichtigste Aussage ist, dass es sich lohnt zu leben, zu lieben und Leben zu wagen. Immer wieder trotz Enttäuschungen, Trauer oder schlechten Erfahrungen JA zu sagen. Im Hintergrund läuft die Frage mit, wie wir selber reagieren oder unser Leben verändern würden bei der Diagnose, dass wir nur noch 2-3 Monate zu leben hätten? Drei zeitliche Ebenen werden nebeneinander in Szene gesetzt: 1985, als Jan Olav und das Orangenmädchen Veronika sich kennenlernen. 1993 kurz vor dem Tod von Georgs Vater Jan Olav. Dieser schreibt einen Brief an seinen Sohn Georg. 2004 Georg liest den Brief des Vaters. Alles wie ein Verwirrspiel kunstvoll zusammengeführt, wenn Georg sich immer wieder zwischen den Brief seines Vaters einschaltet und seine Gedanken und Gefühle einfließen lässt. Damit der Zuschauer weiß, in welchem Jahr er sich befindet, werden verschiedene Lichteffekte, Frisuren, Kleidungsstücke eingesetzt. Der Abend fesselt, stimmt traurig, nachdenklich, lebensfroh, fasziniert, zeigt mit dem Finger auf unsere konsumorientierte schnelllebige Zeit und fordert auf zur Besinnung: Wir existieren nur einmal auf dieser Welt. Feinfühlig stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Der Vater macht Georg Mut, die Liebe zu wagen. Trotz seiner eigenen Verzweiflung über das viel zu kurze Leben, aus dem man sowieso nach ein paar Jahren weggerissen wird. Zusätzlich geht es auch darum, würden wir es wagen, geboren zu werden, wenn wir vorher wüssten, wie unser Leben verläuft? Außerdem um neue Liebe nach Tod eines Partners mit all den zwiespältigen Gefühlen, Schuldgefühlen und Reaktionen der Umwelt; um Zeit, die wir nur glauben zu besitzen; um Gegenwart des Vergangenen, Gegenwart des Gegenwärtigen, Gegenwart des Zukünftigen, Vermischung der drei Zeiten in den Brennpunkt des Augenblicks; wie aus einer alten Schulfreundschaft Liebe werden kann, wenn man sich später zum rechten Zeitpunkt begegnet. Oder wenn dieser Freund einem nach dem Tod des Partners hilft und dafürgeliebt wird, weil er einfach da ist zum Reden, Trösten, Aufarbeiten, Übertünchen, Mut macht, Neues zu wagen.

In der Titelrolle ist Carolin Fortenbacher zu erleben, die unvergessene Heldin des Abba-Musicals „Mamma mia!“. Stimmgewaltig, ausdrucksstark, witzig, mit absoluter Perfektion und Einfühlungsvermögen jede Szene mimisch, gestisch und innerlich durchdrungen, trotzdem Raum lassend für spontanen Gestaltungswillen. Die in Hamburg geborene Sängerin und Schauspielerin feierte 2010 ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum. Ihr Bühnenpartner Jan Olav, der Vater von Georg, ist Sascha Rotermund, einem breiten Publikum bekannt als Synchronstimme von Joaquin Phoenix, Christian Bale, Jeff Bridges und „Dr. House“ Jesse Spencer. Er fasziniert besonders durch starke authentische Gefühle.

Das junge Paar Georg und Isabell wird von Benjamin Hübner und Sonja Dengler gespielt, herrlich schüchtern, unbeholfen, kokett, verspielt, erwachsen werdend.
Regisseur Harald Weiler feierte sowohl auf der Bühne als auch bei Film und Fernsehen große Erfolge als Schauspieler und wirkte in zwei Marthaler-Inszenierungen mit, die auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden. Mittlerweile wendet er sich verstärkt der Regie zu. Im Altonaer Theater brilliert er als feinsinniger, Antworten auf die Fragen suchender Regisseur, der orangenkörbeweise Humor durchscheinen lässt, um den lebensbejahenden Aspekt wie eine Bugwelle in den Vordergrund zu holen.

Die Cellistin Pirkko Langer und der Pianist und musikalische Leiter der Produktion, Stephan Sieveking, musizieren live auf der Bühne, perfekter berührender Gänsehaut-Hochgenuss.
 

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