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Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
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Leuchtturm ohne Strahlkraft – Uraufführung der Kammeroper „To the Lighthouse“ in Bregenz

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Literaturkenner nennen Virginia Woolfs 1927 erschienenen Roman „Die Fahrt zum Leuchtturm“ in einem Atemzug mit „Ulysses“ von James Joyce und Prousts „Recherche“: in der Technik des nur teilweise ordnend gefilterten Bewusstseinsstroms wird das Innenleben einer Sommergesellschaft auf der Isle of Skye vor und nach dem Ersten Weltkrieg dargestellt. Auf der Werkstattbühne des Bregenzer Festspielhauses wurde nun der Versuch einer „Bewusstseinsstrom-Oper“ des griechischen Komponisten Zesses Seglias (* 1984) uraufgeführt.

Schon das Unterfangen des im Januar 2017 überraschend verstorbenen österreichischen Autors und Regisseurs Ernst Marianne Binder, aus dem „Bewusstseinsstrom-Roman“ ein Libretto zu filtern, erinnert an das Gleichnis vom „Gordischen Knoten“. Binder behielt die englische Sprache bei und formte drei Szenen. Zesses Seglias wagte, von einem „neuen Logos“ zu sprechen. Dazu schichtete er mehrfach die Sätze der Personen übereinander – woraus aber nicht annäherungsweise ein Quartett bis Septett entstand, sondern eine logisch oder theatralisch expressiv nicht mehr verfolgbare Klangballung. Bei einzelnen Äußerungen von Mr. und Mrs. Ramsay, ihres Sohnes James (der zum Leuchtturm will), der jungen Malerin Lily und drei Randfiguren verwendete Zesses Seglias dialogisches Sprechen, Hauchen, Wortzerstückelungen auf gestoßenen Tönen, mal harmonische, mal dissonante Phrasen und Diskantsprünge. Zum Streicher-Kern aus Musikern des Vorarlberger Symphonieorchesters fügte Seglias ein vielfältiges Schlagwerk zwischen Tam-Tam und Vibraphon, zwischen Klangschale und Porzellanstab, auch Bassflöten, Sopran- und Baritonsaxophon, Akkordeon, E-Gitarre und nach dem Anschlag mal gezupfte, mal gestrichene Klaviersaitengeräusche hinzu.

Aus all dem entstand nichts, was nicht in den letzten Jahren zwischen Polen wie „Donaueschingen“ oder „Münchner Biennale“ oder vom Ensemble Modern zu hören war – hier nur leider auch innerhalb der drei Szenen austauschbar und zu wenig spezifisch – trotz des konzentrierten Engagements der Instrumentalisten unter Dirigentin Claire Levacher.

Ausgerechnet das mittlere 10-Minuten-Solo der alten Haushälterin, das die 10 Jahre um den Weltkrieg, den Tod der menschlich im Zentrum stehenden Mrs. Ramsay und zweier ihrer Kinder sowie den Verfall des Hauses umfasst, geriet zum Zentrum des anderthalbstündigen, pausenlosen Abends: von Dalia Schaechter im klassischen psychologischen Realismus gestaltet – expressiv wie eine moderne Mutter Courage, spannend.

Bühnenbildner Jakob Kolding hatte in der Einführung verkündet, dass die Darsteller Bühnenbildteile mitbrächten und daraus „die Welt bauten“. Das beschränkte sich auf das Aufstellen von asymmetrisch zerschnittenen S-W-Fotografieteilen und einen stilisierten Baum. Regisseur Olivier Tambosi reihte auf einem schwarzen Bühnenband die Figuren meist frontal. Aus den reduzierten Gesten und kleinen Gängen erwuchs jedoch zusammen mit Text und Klang keine „innere Welt“, keine Sogwirkung hinein in den Bewusstseinsstrom von Virginia Woolfs Welt.

Festspiele müssen „das besondere Werk am besonderen Ort auf besondere Weise“ bieten und das Experiment wagen. Dieses Experiment führte zu keinem musiktheatralischen Ergebnis.

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