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Es ist ein kleines Fest für die deutsche Theaterlandschaft. Johann Wolfgang von Goethes Theater in Bad Lauchstädt bei Halle präsentiert sich jetzt ab sofort wieder rundherum herausgeputzt.
Es ist ein kleines Fest für die deutsche Theaterlandschaft. Johann Wolfgang von Goethes Theater in Bad Lauchstädt bei Halle präsentiert sich jetzt ab sofort wieder rundherum herausgeputzt.
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Librettist Goethe: Philipp Christoph Kaysers „Scherz, List und Rache“ in Bad Lauchstädt

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Es ist ein kleines Fest für die deutsche Theaterlandschaft. Johann Wolfgang von Goethes Theater in Bad Lauchstädt bei Halle präsentiert sich jetzt ab sofort wieder rundherum herausgeputzt. Außen und Innen tip top! In einem Erscheinungsbild, das dem am nächsten kommt, das Goethe selbst vor 220 Jahren in seiner Zeit als Bauherr und erster Direktor dieses Kleinodes vor Augen hatte. Da, wo nötig, natürlich technisch modernisiert. Da, wo möglich, liebevoll bis ins Detail restauriert.

Cassa steht handgemalt über dem Fenster, an dem es die Billetts gibt, Abort an der Tür zum sanierten WC. Die Dielen sind abgeschliffen, die bespannte Saaldecke ist aufwändig restauriert und wie neu. Aber nicht einfach neu, sondern mit der alten Handwerkskunst aufgefrischt. Während der jahrelangen Restaurierung muss sich Hausherr René Schmidt (als Geschäftsführer der Historische Kuranlagen und Goethe-Theater Bad Lauchstädt GmbH) für ein paar Jahre wie Goethe selbst gefühlt haben: als Bauherr und Direktor. Auch hier sind die allerorts ausufernden Sanierungskosten für historische Theaterbauten in Deutschland (wozu ja mittlerweile auch die aus der Nachkriegszeit gehören) ein Kapitel für sich. Als Architekt Thomas Müller im Mai 2014 ihm sagte, das Ganze würde in Summe 6 Millionen kosten, habe er noch gedacht: „typische Berlin! Klotzen statt kleckern. Er sollte recht behalten.“ sagt Schmidt heute. Bei der ersten Schätzung der Gesamtkosten ging man 2013 noch von unter einer Million aus. Bei der Grundüberholung des seinerzeit nach 3 Monaten (!) Bauzeit 1802 eingeweihten Theaterbaus stellte sich natürlich vieles erst im Laufe der Arbeiten heraus. Schmidt kann heute zurecht Stolz darauf sein, nicht nur sparsam gewesen zu sein und nirgends leichtfertig historische Substanz geopfert zu haben. 

Hinzu kommt, dass Bad Lauchstädt nie richtig dicht gemacht, sondern immer den Spielbetrieb aufrecht erhalten hat. Gebaut wurde in den Monaten zwischen November und April und gespielt von Mai bis Oktober. So hielt man das Stammpublikum für das normalerweise 450 Besucher fassenden Hauses immer bei der Stange. 

Bad Lauchstädt ist traditionell ein begehrter Gastgeber der Händelfestspiele Halle und glänzt zum Abschluss der hiesigen Saison mit dem Festspiel der deutschen Sprache, das Sopranlegende Edda Moser hier 2006 mit durchschlagendem Erfolg etabliert hat. 

Neu hinzu kommen ab jetzt die Aufführungen der Goethefeier, deren Kern eine von Holk Freytag konzipierte „Lauchstädter Tetralogie“ ist. Iphigenie, Tasso und die beiden Teile des Faust (mit vier Darstellern). In diesem Jahre kommt eine „Entführung aus dem Serail“ und das deutsche Singspiel „Scherz, Lust und Rache“ aus dem Jahr 1787 hinzu, zu dem kein geringerer als Goethe selbst das Libretto verfasst hat. 

Der dichtende Goethespezialist (und selbst ernannter Nachfolger) Peter Hacks lässt in seinem unschlagbar hinreißenden Goethe-Monolog „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ Charlotte von Stein Goethe folgende Sentenz in den Mund legen: „Als er seine erste Stanze auf mich zustande gebastelt hatte, brachte er sie mir mit den Worten: ‚Da sehen Sie, Liebe, die Deutschen können jetzt auch die Stanze‘.“

Dieses Goetheanische Selbstbewusstsein hätte wohl auch mit dem Deutschen Singspiel „Scherz, List und Rache“ funktioniert. Und auch da mit jenem sympathisierenden typisch Hacksschen Augenzwinkern. Sind wir ehrlich: der Größte in Sachen Libretto war Goethe nun nicht auch noch. Aber er war halt Johann Wolfgang von Goethe. Und das heißt, dass selbst sein gänzlich unter die Räder der Zeit gekommenes Deutsches Singspiel, zu dem er 1787 das Libretto für seinen komponierenden Frankfurter Jugendfreund Philipp Christoph Kayser (1755-1823) verfertigt hat, nach 234 Jahren als Teil der neu etablierten Goethefeiern in seinem eigenen Theater in Bad Lauchstädt mit Erfolg für die Bühne reaktiviert wurde. Wenn auch in einer drastisch, von vier auf zweieinhalb Stunden, eingedampften Fassung. Was aber immer noch die (Faust II) Schwäche Goethes durchscheinen lässt, schwer zu einem Ende zu finden. 

Am Ende, wenn die listig abgebrühte Scapine (witzig, glockenklar und quicklebendig: Annika Boos) dem gemeinsam mit ihrem Mann Scapin  (mit so eloquentem wie kraftvollem Tenor: Cornel Frey) ausgetricksten Doktor als Geist erscheint, dann zieht sich das Ping-Pong zwischen den Akteuren auf der Bühne hin. Wobei sich aber zwischen dem Parlando der musikalische Furor häuft, der die auf Gebrauchsunterhaltung für die gebildeten Stände seiner Zeit zielende Musik, mitunter durchbricht und auch heute noch zündet. 

Alle drei scheinen einer Commedia dell’arte entsprungen. Der etwas trottlige Doktor (mit ausgestopftem Kömodienbauch und markant Florian Götz) hat sich das Erbe des jungen Paares unter den Nagel gerissen und die jagen es ihm wieder ab. Er schleicht sich als Diener, sie als Patientin ein. Sie täuschen einen Behandlungsfehler mit Todesfolge vor und lassen sich die Beseitigung der vermeintlichen Leiche und ihr Schweigen mit genau dem Erbe bezahlen. 

Mit Werner Erhardt, seinen zwanzig fabelhaft vital aufspielenden Musikern des Orchester l’arte del mondo und den drei exzellenten Protagonisten, die man für dieses Singspiel braucht, hat Regisseur (und Ausstatter) Igor Folwill die denkbar überzeugendsten Anwälte für den Herrn des Hauses auf seiner Seite. Massimilliano Toni am Hammerklavier spielte auf der komödienhellen Bühne mit Langhaarperrücke und dezentem Witz mit.

Zu den Stärken des Dichterfürsten gehörte aber (meistens) echte Größe bei anderen zu erkennen. So resümierte der Dann-doch-nicht Librettist: „Alles unser Bemühen … ging verloren, als Mozart auftrat. Die ‚Entführung aus dem Serail‘ schlug alles nieder, und es ist auf dem Theater von unserem so sorgsam gearbeiteten Stück niemals die Rede gewesen.“

Für sein Haus in Bad Lauchstädt hat er sich in dem Falle – zur Freude des Publikums – geirrt. 

  • www.goethe-theater.com
  • Goethefeiern noch bis 12. September 2021, Festspiel der deutschen Sprache vom 11.-31. Oktober 2021

 

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