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Stille und Emphase: „Lohengrin“-Premiere bei den Bayreuther Festspielen

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Das Wagnis, eine Oper mit einem Vorspiel in den höchsten Lagen der Streicher im Pianissimo zu beginnen, anstelle mit kräftigen Schlägen des vollen Orchesters für Ruhe im Auditorium zu sorgen, ist Wagner mit seiner Romantischen Oper „Lohengrin“ erstmals eingegangen. Bis heute, selbst im dunklen Zuschauerraum in Bayreuth, beginnen die Klänge zumeist nicht in völliger Stille. Aber Andris Nelsons, am Pult des Magischen Abgrundes, nimmt die Zuhörer sogleich gefangen. Dann öffnet sich auch noch während des Vorspiels der Vorhang, und ein junger, schlaksiger Mann, mit langen blonden Haaren und offener Krawatte, bemüht sich vergeblich, eine Tür zu öffnen; doch wo ein Wille ist, da ist ein Weg, und so verschiebt er die gesamte Wand bis in die Tiefe der Bühne, wo sich dann magisch die Schiebtür öffnet und hinter ihm wieder verschließt.

Der junge Held, in welchem auch jene Besucher, die Hans Neuenfels’ Inszenierung noch nicht gesehen haben, den Darsteller der Titelpartie erkennen, sucht eine Frau. Aber gesellschaftliche Zwänge auf beiden Seiten führen zum Chaos: er bekommt nicht, was er sucht, und die Geschichte endet tragisch. So lässt sich eine der Aussagen jener Produktion zusammenfassen, die im dritten Festspieljahr weiter an Beliebtheit gewonnen hat. Die ungemein dichte, überraschungs- und farbenfreudige Inszenierung, die vom Regisseur erneut einem Feinschliff unterzogen wurde, erzählt die Handlung als ein Rattenmärchen, rund um drei „Wahrheiten“, die Björn Verloh als filmisch animierte Rattenfabeln umgesetzt hat. „Wahrheit 1“ ist jene Version vom Verschwinden des Thronfolgers Gottfrieds, die Telramund glaubt, da er sie von seiner Gattin Ortrud vernommen hat. „Wahrheit 2“ offenbart sich beim Gottesgericht als Erkenntnisprozess: Ortrud hat Gottfried verschwinden lassen. Und „Wahrheit 3“, im dritten Aufzug, geht der Story kulturgeschichtlich auf den Grund: unzählige, organisierte Ratten bringen den stärksten Kampfhund zu Fall, sie zernagen ihn von innen und außen. Das erklärt dann auch, warum die Gesellschaft in einem großen, soziologischen Versuchslabor in der Regel als Ratten auftritt, aber bei feierlichen Anlässen ihr nummeriertes Rattengewand an den Nagel hängen kann und in der Lage ist, in farbiger Kostümierung fast all ihre Rattenmerkmale verschwinden zu lassen. Im zweiten Aufzug lassen die Frauen ihre Rattenschwänze von den Männern liebkosen, können sie aber auch abnehmen, um damit zu schlagen. Im Schlussakt, als die Männer ihre Rattenköpfe mit den rot leuchtenden Augen abgelegt haben, tritt als neue Form der Uniformierung ein militarisierter schwarzer Einheitsdress für Herren und Damen, die blindlings ihrem Wunder von Führer folgen wollen, mit Schwansymbol im Rücken und mit einer punktierten Eins, die auch als „L“ deutbar ist, auf der Brust. Jener Führer aber, der sein Inkognito gelüftet hat, schreitet weiter nach vorne, auch als die Musik bereits verklungen ist. Und während die Besucher der „Tristan“-Premiere in diesem Jahr bereits ins leise Verklingen hinein applaudiert hatten, schafft der Regisseur durch das über die Tragik des Schlusses hinaus verlängerte Spiel spannungsvolle Stille. Die Stille vor dem Zweikampf des Gottesgerichts, das sonst von drei Schlägen des Königs gegen seinen Schild eröffnet wird, durchbrechen hier drei elektroakustische, Schreck auslösende Schläge, die sich im Finalakt noch einmal wiederholen. Kritisch anzumerken ist, dass die drei Filme und die parallelen Bühnenaktionen ein gleichzeitiges Verfolgen beider Handlungen unmöglich machen, also den Betrachter frustrieren. Der rückverwandelte Gottfried, der hier am Ende aus einem Ei steigt und als potenzieller Terminator seine eigene Nabelschnur in Fetzen reißt, war schon in Götz Friedrichs Bayreuther Inszenierung als embryonal unfertige Frühgeburt in Erscheinung getreten. In Neuenfels’ psychologischer Sichtweise kann er aber auch schreckvoll das nie entstandene Kind des Paares Elsa und Lohengrin symbolisieren. In der intensiven Personenführung mit spannenden Rollencharakteren wissen die Sänger, was sie singen und bringen auch ihre Subtexte musikdramatisch zum Ausdruck. Am deutlichsten wird dies im Brautgemach, wo Elsa uneingestanden die Argumente Ortruds zitiert und Lohengrin Elsas Fragen überhört und kosend zu überspielen trachtet, nur um endlich „in“ ihr „glücklich sein“ zu dürfen. Dass die politische Verkürzung des dritten Aufzuges in Bayreuth nicht zwangsläufig den ungünstigen, sogenannten „’Luft’-Sprung“ nach sich zieht, sondern harmonisch auch anders, deutlich besser machbar ist, zeigt diese Inszenierung, die Lohengrins Vorwurf gegenüber Elsa integriert, um Elsas zu späte Hingabe zu zeigen, ihr vergebliches Bemühen, Lohengrin in aller Öffentlichkeit zum Beischlaf zu bewegen, zu verführen und schließlich zu vergewaltigen. Bedauerlich bleibt jedoch die Kürzung der nachfolgenden Szene, die jüngst in Erl ungestrichen zu erleben war. Dirigent Andris Nelsons nimmt das Vorspiel zum dritten Aufzug ungemein frisch und verbreitert dann im Brautgemach geradezu impressionistisch. Stets sorgt sein Dirigat für Spannung und eine ungebremste Klangentfaltung des Orchesters. Annette Dasch setzt für die Partie der Elsa durchaus faszinierende Qualitäten ein, wenn auch ihre Textverständlichkeit weiterhin Wünsche offen lässt. Nach Evelyn Herlitzius und Petra Lang ist nun mit Susan Maclean bereits die dritte Besetzung der Ortrud in dieser Produktion zu erleben. Mit deutlichem Alt-Timbre ist ihre hohe Lage flach und häufig sehr unsauber; aber die Buhrufe, die Herlitzius für einige Intonationstrübungen einstecken musste, bleiben dieser Sängerin erspart. Auch Maclean verkörpert die Intentionen der Regie hinreißend, zeichnet die Ortrud als ein überaus raffiniertes Wesen, mit starker erotischer Ausstrahlung auf Männer und Frauen. Sie küsst Elsa auf den Mund, suhlt sich auf dem Korpus des bei ihrem Fluchversuch von den Ratten getöteten Kutschpferdes und macht Telramunds sexuelle Hörigkeit glaubhaft. Auch der ist neu besetzt, mit dem in Spiel und Stimmgebung überzeugenden jugendlichen Haudegen Thomas J. Mayer. Klaus Florian Vogt in der Titelpartie hat in der Mittellage an Kraft gewonnen. Seine Meriten liegen im leichten, schwebenden Pianogesang, bisweilen reduziert zu einem Säuseln (so beim zweiten Gespräch mit dem Schwan), wobei ihm das verdeckte Orchester sehr entgegen kommt. Eindrucksvoller als bei seinem Einspringen als fliegender Holländer, gestaltet Samuel Youn den Heerrufer mit seinen zu Berge stehenden Haaren kraftvoll und nuanciert. Leider kann Wilhelm Schwinghammer mit mangelndem Volumen in der Partie des fallsüchtigen Königs Heinrich seinem Vorgänger Georg Zeppenfeld nicht das Wasser reichen. Homogen die brabantischen Edelratten Stefan Heibach, Willem Van der Heyden, Rainer Zaun und Christian Tschelebiew, und großartig im Spiel und prachtvoll in seinen Farbschattierungen der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor. Das Premierenpublikum, offenbar mit Stilmerkmalen von Neuenfels’ Inszenierungen, in denen es niemals Pausenapplaus gibt, wenig vertraut, versuchte durch Trampeln das Verneigen der Sänger am Ende des ersten und zweiten Aufzugs zu erzwingen. Aber, wie vom Regisseur beabsichtigt, entlud sich die Begeisterung in gesteigertem Maße als Schlussapplaus, mit Trampeln und Pfeifen, wie bei Rockkonzerten. Allerdings gab es auch besonders heftige Buhrufe für Neuenfels, die dieser lachend und Kusshändchen werfend quittierte. Weitere Aufführungen: 2., 8. 13., 19. und 25. August 2012

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