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Ein Mädchen von heute: Sylvia Hamvasi als Louise in Gustave Charpentiers gleichnamiger Oper: Foto: Hans Jörg Michel
Ein Mädchen von heute: Sylvia Hamvasi als Louise in Gustave Charpentiers gleichnamiger Oper: Foto: Hans Jörg Michel
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„Louise“ im Wartesaal: Christof Loy inszeniert Gustave Charpentier an der Rheinoper

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Den im Jahre 1900 an der Pariser Opéra Comique uraufgeführten Roman musical in vier Akten, „Louise“ von Gustave Charpentier (1860–1956), erlebt man hierzulande seltener auf der Bühne, ganz im Gegensatz zum französischen Sprachraum, wo dieses Werk in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den meistgespielten Opern gehörte.

In seinem eigenen Libretto zeichnet Charpentier das Bild einer von ihren Eltern dominierten Näherin, die mit dem Geliebten nach Paris flieht, dann aber doch gezwungen wird, in die obsessive Enge des Elternhauses zurückzukehren. Den Naturalismus á la Emile Zola überhöht der Komponist durch exzentrische, leidenschaftliche Stimmungen, die er mit Bühnenmusik, einem großen Solistenensemble, gemischtem Chor und Kinderchor ins Hymnische steigert.

In einem als Einheitsbühnenbild fungierenden Warteraum à la Marthaler, – aber im Gegensatz zu Anna Viebrocks Räumen nicht in sinntötendem Braun, sondern cremefarben (Ausstattung: Barbara Pral und Ursula Renzenbrink) – inszeniert Christof Loy die Handlung als einen Wunschtraum der jungen Louise. Das erspart dann auch einige Rollen: Louises Geliebter Julien verkörpert auch die Stimmen erotischer Verlockung aus der Metropole als Zerrbild, und die Mutter schlüpft auch in die Rolle der Oberaufseherin der Näherinnen. Der dort genähte Lindwurm von Brautschleier erweist sich als Teil von Louises Wunsch-Brautkleid, und er mutiert dann zu ihrem lustvollen Lotterbett.

Doch Paris bleibt für Luise und den Zuschauer nur Projektion – in Form projizierter Dias. Zum Fest am Montmartre werden bunte Glühbirnenketten im Warteraum aufgespannt, Konfetti rieselt aus geplatzten Luftballons rund um die auf eine Leiter gekletterte Musenkönigin Louise. Aber die junge Näherin kommt der eifersüchtigen Unterdrückung durch die Mutter und der auch handgreiflich erotischen Obsession des Vaters nicht aus. Und im Schlussbild löst sich die Dekoration als Arztwartezimmer ein: nachdem sich Louises Selbstmordversuch als vergeblich erwiesen hat, entlässt sie der Arzt – niemand anderes als Julien im weißen Kittel – in die Obhut ihrer Eltern. Diese Lesart ist in sich stimmig, – insbesondere, da es – im Gegensatz zum Opern-Doppelabend 2001 am Theater Dortmund in der Inszenierung von John Dew – Charpentiers Fortsetzungsoper „Julien – oder Das Leben des Dichters“ an der Deutschen Oper am Rhein nicht geben wird.

Die pausenlose, zweidreiviertelstündige Aufführung wird getragen von ausgezeichneten sängerdarstellerischen Leistungen. Die ungarische Sopranistin Sylvia Hamvasi zeigt Louise als ein heutiges Mädchen, das sein Recht auf Freiheit um so nachdrücklicher einfordert, je stärker es unterdrückt wird von einem Albtraum von Elternpaar: der puertoricanischen Mezzosopranistin Marta Márquez und dem finnischen Bass Sami Luttinen mit trefflichen Charakterstudien. Der russische Tenor Sergej Khomov verkörpert den Dichter Julien als männliches Lustprinzip stimmlich mit Pep und darstellerisch mit Witz und Mut zu grotesker Überzeichnung.

Das Psychogramm füllen zahlreiche kleine Rollen, hier mehrfach auf einen Stimmträger zusammengezogen, der Opernchor und der Düsseldorfer Mädchen- und Jugendchor mit intensivem Spiel und Gesang. Axel Kober, der neue Düsseldorfern GMD, verfügt über einschlägige Erfahrungen bei dieser Partitur, denn er leitete auch Charpentiers Opern-Dyptichon am Theater Dortmund. Etwas unentschieden bleibt gleichwohl die musikalische Lesart, hin- und hergerissen zwischen den Einflüssen des Wagnerschen Musikdramas und der Übersteigerung von Massenets „à Paris“ (aus „Manon“) zum Hymnus auf die Libertinage in der Weltmetropole. Doch Durststrecken belohnen die Düsseldorfer Symphoniker durch die lustvolle Emphase der Liebenden und durch die Steigerung des Arbeitsalltags zur Fete.

Die Premiere in Düsseldorf (ihr war die Duisburger Premiere am Doppelinstitut der Deutschen Oper am Rhein vorausgegangen) wurde lautstark und ohne Widerspruch gefeiert, obgleich während der Aktübergänge auch einige Unmutsstimmen aufgrund der ungewöhnlichen Länge im Publikum hörbar wurden, und auch schon einzelne Zuschauer türschlagend das Opernhaus verlassen hatten.

Die nächsten Aufführungen: 20., 25. und 28.F ebruar 4. und 13. März 2010

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