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In der Mitte: Jan Rekeszus (Claude), Ensemble Foto: © Andreas Lander
In der Mitte: Jan Rekeszus (Claude), Ensemble Foto: © Andreas Lander
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Make love, not war – „Hair“ beim Domplatz-Openair in Magdeburg

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Der Magdeburger Domplatz als Musical-Kulisse. Bei über 1200 Plätzen und angesetzten 18 Vorstellungen ist das ein Unternehmen zwischen Geschäft und Herausforderung. Mit Preisen zwischen 35 und 52 Euro bleibt es, verglichen mit dem was die Musical-Tempel in Hamburg, Stuttgart oder Essen verlangen, erschwinglich. Außerdem ist der Domplatz so groß, dass es in der Absperrung auch für ein großzügiges Openair-Foyer reicht.

Wo sich in der Pause so mach einer bei einem Gläschen Irgendwas und Popcorn an alte Zeiten erinnern kann. Im Falle „Hair“ an 68, die Hippies und daran, wie das aussah und klang. Dass sich da auch ein paar Zeitgenossen unters Publikum mischten, die ihre Langhaarphase bis ins Seniorenalter konserviert haben, gehört zum selbstironischen Teil des Gesamtkunstwerks. Das hat Witz, zumal wenn die dann besonders eifrig und gegen jedes Verbot rebellierend das Tablet hochhalten und die Enkelgeneration beim Rebellionspielen aufnehmen.

Das Ganze lohnt sich, vor allem, weil in der Regie von Erik Petersen ein Hit auf den andern folgt, und die Truppe, perfekt gecastet, Genuss für Ohren, Augen und Gemüt bietet. Und weil „Hair" mit seinen über 30 Songs, von denen manche (von „Aquarius“ über „Good Morning Starshine“ bis „Let the Sunshine in“) wirkliche Welthits sind, das Lebensgefühl einer rebellischen Aufbruchszeit mit einer ernsthaften Botschaft von Love und Peace verbindet. Alles ein bisschen vereinfacht, mit Jugendslang a la fuck you durchsetzt und auf die Assoziationskraft der Klischees bauend. Aber in sich stimmig. Vor allem weil die Musik von Galt MacDermont, die allemal näher an Bernstein reicht, als dass sie Webber streift, ihren Sog entfaltet. Schade nur, dass sich Dirigent Damian Omanes, die Chance entgehen ließ, mit den Musikern der Philharmonie am Ende noch mal mit einem Rausschmeisser abzuräumen. 

Das Ganze spielt auf der Baustelle der Twin Towers des World Trade Centers. Bei Jens Kilian sind das drei halbrunde Baugerüst-Etagen und ein mitspielender Baukran. Hier schlagen die Hippies – illegal versteht sich – ihre Zelte auf, samt Matratzen und Hanftöpfen für die Selbstgedrehten. Hier wettern die grauen Spießer des Establishments wie Mr. Bukowski (Peter Wittig) und seine mit Dutt gekrönte Gattin (Ulrike Baumbach) gegen die Langhaarigen um Burger (Gil Ofarim), Hud (Daniel Dodd-Ellis) oder Jeanie (Beatrice Reece), von denen sich ihr Sohnemann Claude (Jan Rekeszus) faszinieren lässt. Samt Aufnahmeritus, einer Vision amerikanischer Geschichte als purer Alptraum, die Zwangsrekrutierung Claudes für die Army und sein Tod in Vietnam mit 18 Jahren. Die Schlussbotschaften jedes einzelnen an der Rampe gelten immer noch – merkt man am Zwischenbeifall für „kein Mensch ist illegal.“

„Hair" ist das Musical zum Aufbruch in unsere Gegenwart gewesen. Den Domplatz verlässt man gut gestimmt. Nicht nur weil das Wetter gehalten hat und auch der richtige Mond überm Dom angesungen werden konnte. Auch nachdenklich, ob der Satz im Stück stimmt, dass es in 50 Jahren – also ungefähr jetzt – eine bessere Welt sein wird, in der wir leben. Mehr kann man von einem Musical nicht verlangen.

  • Vorstellungen:22., 23., 24., 25., 26., 29., und 30. Juni, 1., 2., 3., 6., 7., 8., 9. und 10. Juli  2016, 21:00 Uhr Domplatz Magdeburg.

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