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Georg Friedrich Händel. Foto: Wikimedia Commons
Georg Friedrich Händel. Foto: Wikimedia Commons
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Medea „zaubert“ eine Barockbühne: Händels „Teseo“ an der HfMT Hamburg

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Die Zuschauer der Hamburger Erstaufführung werden gewarnt, der Veranstalter übernehme keine Haftung für Anfälle von fotosensibler Epilepsie, zumal in der Inszenierung mehrmals „für wenige Sekunden ein Stroboskop eingesetzt“ werde. In der Bilderfolge von Georg Friedrich Händels „Teseo“ ist dieser Effekt kaum wahrnehmbar, aber der Zuschauer wartet fast drei Stunden auf einen wirklich erhellenden Einfall des jungen Regisseurs Sebastian Gruner, der sich diese Zauberoper als Abschlussarbeit seines Musiktheater-Regiestudiums an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater gewünscht hatte.

Nach der wenig erfolgreichen Premiere mit „Il Pastor fido“, hatte Händel als Stoff für seine dritte Londoner Oper wieder einen Zauberstoff á la „Rinaldo“ gewählt. Die für den Komponisten ungewöhnliche fünfaktige Form ist darauf zurückzuführen, dass Nicola Hayms Libretto auf dem von Philippe Quinault zu Lullys „Theseé (1675) fußt. Sehr frei nach Plutarch und Ovid collagiert die Handlung Gestalten der griechischen Mythologie. Medea wird nach dem Mord an ihren Kindern zur Zauberin, die eine Liebschaft mit Theseus beginnt, welcher als unerkannter Sohn des Königs Egeus dessen erfolgreicher Feldherr ist. Theseus liebt die Prinzessin Agilea. Aber auch Egeus, Medea versprochen, will Agilea ehelichen. Das führt zu den typischen Verwicklungen und arienauslösenden Affekten.

Dass Händels einzige fünfaktige Oper nach ihrer umjubelten Uraufführung, 1713 in London, in Hamburg erst ihre fünfte Inszenierung erlebte, liegt wohl kaum an der Musik, denn die ist durchwegs inspiriert und wirkungsvoll in der Steigerung bis zum ätherischen Liebes-Duett von Theseus und Agilea, gipfelnd in einer fulminanten Rachearie der Medea. In Hamburg befeuert Kirchenmusikdirektor Rudolf Kelber sein 16-köpfiges Cythara-Ensemble, mit beachtlichen Einzelleistungen von Theorbe und Oboen, aber intonatorisch schwierigem Zusammenspiel der Streicher und Flöten.

Götz Friedrich, der Gründer dieses Studiengangs, hatte – dem Prinzip Walter Felsensteins folgend – von den jungen Regisseuren der HfMT Hamburg stets verlangt, mit Fassungen in deutscher Sprache zu arbeiten. Jetzt aber sind deutsche Übertitelungen auch an der Ausbildungsstätte Usus und so erklingt „Teseo“, wie Theseus in der Oper genannt wird, in der italienischen Originalsprache.

Sebastian Gruners Inszenierung, so war es angekündigt, wollte „den verschiedenen ästhetischen Schichten des Barock nach - sowohl dem Glamourösen als auch der Illusion und der Lüge Krieg Heldentum“ nachgehen. De facto aber wurde der Krieg ganz ausgeklammert, und anstelle des Heeres gibt es eine Vervielfachung von Theseus, in Form von Fotopostkarten, die Agilea an Stuhllehnen heftet. Der Chor hingegen wird als Umbaumusik eingespielt.

Zur Abfolge postmoderner Zitate gehören der für eine Arie erleuchtete Zuschauerraum oder das Einfrieren der anderen Akteure während einer Arie. König Egeus (Harald Maiers) ist ein extrem gehbehinderter Lustgreis, und Medea fesselt ihre Rivalin mit Klebeband an eine Schaukel. Die Liebeserfüllung des idealen Paares wird auf barock nachempfundene Posen reduziert. Medeas Zauber deutet der Regisseur als den Einsatz des Barocktheaters, denn erst durch ihr Zutun kommt die Gassenbühne – mit farbigen Drucken einer barocken Kuppel – zum Einsatz (Bühnenbild: Nikolaus Webern). Sonst aber wird mit barocken Theatereffekten gespart.

Gleich zwei Kostümbild-Absolventinnen (Ada Genske, Silja Oestmann) wetteifern mit ihrem Kostüm-Design, etwa einem silbernen Faltenkleid der Medea, das jedoch nur in der Ouvertüre Verwendung findet, ebenso wie Teseos Soldatenoutfit mit Stahlhelm, das in den nachfolgenden Akten von einem klassischen Barockkostüm mit Federputz und einem die weibliche Besetzung betonenden, flapsigen Engelskostüm mit Flügelchen und Strapsen abgelöst wird.

Die jungen Sängerinnen und Sänger, teils Absolventinnen, teils noch Studierende, folgen den Intentionen des Regisseurs mit Engagement, aber nur selten stellt sich Spannung zwischen den Protagonisten ein. In Einzelleistungen überzeugen Hanna Zumsande als Agilea mit bravourösen Koloraturen und Susanne Wiencierz als farben- und facettenreiche Medea. Trotz der aus Händels „Arianna in Creta“ eingeschobenen Auftrittsarie bleibt Betty Klein als Teseo unterbelichtet. Wenn in der Arie des Arcane (Counter Michael Lieb) Showdance-Bewegungen an der Rampe exerziert werden, in die auch Clizia (Sheida Damghani) einstimmt, löst dies beim Publikum mehr Begeisterung aus, als stimmliche Leistungen – Schulterschluss von Barockoper und Musical.

In der letzten Szene schlägt die Regisseurspranke zu: ihren letzten Versuch, Teseo zu gewinnen, unternimmt Medea in schwarzer Reizwäsche und mit Pistole. Ihr vordem stummer Bediensteter (Lukas Anton), der sich bei Koloraturen die Ohren zugehalten hatte und weggerannt war, mutiert zum Priester der Minerva. Als Deus ex machina verhindert er, der auf dem Besetzungszettel als Medeas (doch nicht getöteter?) Sohn ausgewiesen ist, die Umsetzung von Medeas finalem Racheplan. Nach seinem Verdikt erdolcht er die sich zeitgleich erschießende Zauberin mit einem Messer und wird während des finalen Rundgesangs zum Nekrophilen.

Das Publikum, dem nach doch recht zähen zweidreiviertel Stunden in den letzten fünf Minuten noch reichlich Denknüsse verabreicht wurden, spendete emphatisch Beifall.

Weitere Aufführungen: 8. 25. 27. Februar, 1. März 2011.

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