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Michael W. Schlicht (1947–2020). Foto: Landestheater Eisenach
Michael W. Schlicht (1947–2020). Foto: Landestheater Eisenach
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Mit Leidenschaft für das Theater - In Erinnerung an Michael Schlicht

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Michael W. Schlicht war der letzte Intendant des Theaters Eisenach, als es noch ein wenig mehr war als nur eine faktische Filiale von Meiningen. Er war der künstlerische Chef und Geschäftsführer in einer Person. Die Erfahrungen seines gesamten Berufslebens konnte er da für eine souveräne Leitung unter höchst komplizierten Bedingungen nutzen. Zu seinen Vorzügen gehörte es, künstlerische Ambition und Augenmaß für das Mögliche miteinander zu verbinden.

Als Gesicht seines Hauses begegnete er sowohl den verantwortlichen Politikern auf Augenhöhe, als auch seinem Publikum mit Zuneigung. Was natürlich auch für die Künstler galt, denen er in den verschiedensten Postionen an vielen Theatern dazu verhalf, Schauspiel und später Oper zu machen.

Nicht wenige Regisseure, auf die er in seiner aktiven Zeit gesetzt und mit denen er gemeinsam künstlerische Erfolge hatte, blieben ihm freundschaftlich verbunden, als er aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war. Jetzt vor allem ein wacher Zuschauer, brachte er seine Erfahrungen im Umgang mit bekannten oder auch selten gespielten Stücken nun wieder als Dramaturg ein. Etwa für die Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“, die Jochen Biganzoli 2010 zum Jubiläum der Eröffnung der Oper Leipzig herausbrachte und in der er den Lauf deutscher Geschichte bis in die Gegenwart nachzeichnete. 2012 folgte seine dramaturgische Mitarbeit an Bruno Berger-Gorskis „Don Carlo“-Inszenierung am Theater Magdeburg und im Jahr drauf schließlich an der Hamburgischen Staatsoper – wieder mit Biganzoli – die Mitarbeit an „Der Meister und Margarita“ von York Höller.

1947 in Wietze bei Celle geboren, wuchs Michael Schlicht in Hamburg auf, wo übrigens Loki Schmidt seine Klassenlehrerin in der Grundschule war. Ab 1967 studierte er, ebenfalls in Hamburg, aber auch in Berlin und Wien, Theater- und Musikwissenschaften und promovierte 1974 mit einer Arbeit über die Auftragswerke von Rolf Liebermann an der Hamburgischen Staatsoper. 

An Häusern wie Wuppertal, Basel und Karlsruhe war er Regieassistent und Dramaturg. In Basel und Darmstadt inszeniert er auch selbst. Ganz auf die Seite der Kunstermöglicher schlug er sich Mitte der achtziger Jahre als stellvertretender Schauspieldirektor und Dramaturg am Staatstheater Wiesbaden (1985 bis 1992) und anschließend bis 1996 als stellvertretender Generalintendant des Nationaltheaters Mannheim. Zunächst von 1997 bis 2002 am Volkstheater Rostock und dann von 2004 bis 2008 am Landestheater Eisenach wurde Michael Schlicht gewissermaßen folgerichtig Intendant. 

Seinen Kampf um die Selbständigkeit des Eisenacher Theaters hat er bekanntlich nicht gewonnen – aber das lag nicht an ihm. Der zeitgeistige Strukturwandel der Theaterlandschaft hatte spätestens ab 2007 die mächtigeren Verbündeten. Was Fusion mit Meiningen hieß war letztlich das Ende eines eigenständigen Theaters in Eisenach. 

Allein schon die Tatsache, nicht daran zu verzweifeln und ein Opernhaus ohne eigenen Chor am Leben zu erhalten und sich dabei einem innovativen Umgang mit bekannten und weniger bekannten Opern, aber auch Operetten zu verschreiben nötigte Respekt ab. „Schlicht und (gar nicht) einfach“ war 2005 meine Überschrift über ein Porträt des Hauses und seines Intendanten in der „Deutschen Bühne“, die diese Mischung aus Respekt und Bewunderung auf den Punkt zu bringen versuchte.

Das Eisenacher Publikum wusste den Einsatz seines Intendanten gleichwohl zu schätzen. Die Presse vor Ort wusste 2008 von einer halbstündigen Ovation zu berichten, mit der das Publikum nach der letzten „Anatevka“-Vorstellung im Juni 2008 seinen Intendanten verabschiedete! 

Es lag in seinem lebenszugewandten und kommunikativen Naturell, mit vielen Weggefährten auch übers Berufliche hinaus Kontakte und Freundschaften zu pflegen. Ob Arila Siegert oder Tomasz Kajdanski, ob Jochen Biganzoli, Bruno Berger-Gorki oder Vera Nemirova – allen blieb er auch in den letzen Jahren eng verbunden und im regen Austausch mit ihnen. Es war immer ein Gewinn, sich bei Besuchen in Weimar oder dann in Berlin mit Michael Schlicht über einzelne Inszenierungen oder Sichtweisen auszutauschen und von seinem großen Erfahrungsschatz und den professionellen Vergleichsmöglichkeiten, die ihm zu Gebote standen, zu profitieren.

Vor zwei Jahren war er von Weimar nach Berlin in eine schöne Wohnung mit Blick auf das Rathaus Schöneberg übergesiedelt. Dass ihm eine heimtückisch fortschreitende Erkrankung den Genuss am reichen Kulturangebot der Hauptstadt, den Kontakt zu Freunden, den Austausch über das Neuste auf den Bühnen der Stadt und des Landes und ein selbstbestimmtes Leben zunehmend erschwerte, ließ er nur bis zum letzten Wochenende zu. 

Den Bühnenkünsten fehlt seitdem ein kluger, leidenschaftlicher Ermöglicher und allen, die ihn näher kannten, ein kompetenter Gesprächspartner und warmherziger Freund.

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