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La Rondine an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bettina Stöß
La Rondine an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bettina Stöß
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Mit Schönklang übergossen und verzuckert – Puccinis „La Rondine“ an der Deutschen Oper Berlin

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Vor exakt 100 Jahren komponierte Giacomo Puccini jene „Lyrische Komödie“, die – 1917 in Monte Carlo uraufgeführt – in der Aufführungsgeschichte der späten Bühnenwerke dieses Komponisten ein Schattendsein fristet. Schließlich wurde sie rezipiert als missglückte Operette oder „schlechter Lehár“, wie Puccini selbst seinen Verleger Ricordi zitiert. An der Deutschen Oper Berlin inszenierte der Startenor Rolando Villazón „La Rondine“ als einen überaus farbintensiven, bunten Wirbel mit einer kleinen, surrealistischen Schluss-Pointe.

Der Komponist hatte die ihm von den deutschen Librettisten Alfred Maria Willner und Hans Reichert avisierte Idee einer konventionellen Operette mit gesprochenen Dialogen abgelehnt, aber die operettenhafte Struktur ist in dieser Partitur formal deutlich geblieben, mit Haupt-Liebespaar und Buffopaar sowie melodramatischen Textpassagen, auch wenn das tragische Ende der Komödie Hohn spricht. Dramaturgisch erweist sich die dreiaktige Handlung des Librettos von Giuseppe Adami, auf der Basis des deutschen Librettos „Die Schwalbe“, als simplifizierter Neuaufguss von Verdis „La Traviata“ und Massenets „Manon“. Puccini hat diese Mixtur mit Schönklang übergossen und verzuckert, als gälte es, den zweiten Akt von „La Boheme“ zu einem abendfüllend en Erfolgsstück auszudehnen.

Der Dichter Prunier prophezeit der Luxusdirne Magda, sie werde gleich einer Schwalbe der Sonne und der Liebe entgegenfliegen. Im Pariser Tanzlokal „Bullier“ verliebt sich Magda, die mit dem Bankier Rambaldo liiert ist, in den Sohn eines seiner Freunde. Magda und Ruggero ziehen sich an die Riviera zurück, wo ihnen bald das Geld ausgeht. Da Magda Ruggeros Erwartung eines bürgerlichen Lebens als Ehefrau und Mutter aufgrund ihres Vorlebens nicht erfüllen kann, trennt sich das Paar.

Rolando Villazón hatte angekündigt, die Handlung in seiner Inszenierung surreal aufzubereiten. In der Ausstattung von Johannes Leiacker (Bühne) und Brigitte Reiffenstuel (Kostüme) steht der Surrealist René Magritte Pate mit drei weißen, gesichtslosen, halb erstarrten Tänzern. Ein goldener Bilderrahmen zeigt im ersten Akt eine nackte Kurtisane, im zweiten ist der leere Goldrahmen eine Showbühne mit Lamettavorhang und Spiegel-Prismen. Im dritten Akt umrahmt er Margrittes Wolkenhimmel, aber nicht wie im Original mit den Umrissen einer Taube, sondern mit dem Ausschnitt der als Schwalbe apostrophierten nackten Luxusdirne.

Im „Bullier“ macht die Soubrette ihren Oberkörper frei, damit auf ihrem Rücken die berühmten Klanglöcher des Cellos sichtbar werden, so dass ihr Liebhaber Prunier auf diesem weiblichen Violoncello „spielen“ kann.

Prunier will aus Lisette einen Bühnenstar machen, aber diese Absicht misslingt gründlich. Frustriert kehrt Lisette in ihren Beruf als Kammermädchen zurück. Am Strand der Riviera, wenn sie sich Muscheln ans Ohr hält, hört sie die Pfiffe des Publikums, ihren Misserfolg auf der Bühne in Nizza.

In der Schlussszene umgeben die drei weißen, gesichtslosen Männer, sich vor Schmerzen krümmend, das Liebespaar. Da Magda ihr Absprung aus dem Luxusdasein in die Bürgerlichkeit nicht denkbar erscheint, setzt sie Ruggero eine der Muscheln als weiße Maske aufs Gesicht: am Ende der Handlung klärt sich so die Funktion der drei Gesichtslosen durch einen Vierten, den nun auch in die Anonymität von Magdas verflossenen Geliebten entrückten Ruggero.

Mit Charleston-Tänzerinnen verlegt Villazon die gespielte Zeit in die „Roaring Twenties“. Gerne friert er Situationen zum Tableau vivant ein, oder er schafft Konzentration, indem die Randfiguren der durchwegs wirbelnden Gesellschaft im Dunkel versinken. Die Bühnenaktionen sind, im Verein mit der Choreografin Silke Sense, exakt gearbeitet und werden von Chor, Opernballett und Komparserie mit Verve ausgeführt.

Für die späte Berliner Erstaufführung von „La Rondine“ hat die Deutsche Oper Berlin aus dem Vollen geschöpft gesetzt – wohl wissend, dass Puccinis Parlando-Oper nur in optimaler künstlerischer Ausführung obsiegen kann. Als Magda ist für die kurzfristig erkrankte Dinara Alieva die ohnehin als alternative Besetzung für spätere Vorstellungen vorgesehene Sopranistin Aurelia Florian eingesprungen. Sie verkörpert die Luxusdirne mit leichtem aber kernigem Sopran, sehr auf sich selbst fokussiert.

Charles Castronovo singt den Ruggero souverän und ohne Makel, aber mit wenig unverwechselbarer Tongebung. Ausgezeichnet gefällt das Buffo-Paar, mit der skurril quirligen Soubrette Alexandra Hutton als Lisette und dem Buffo-Tenor Álvaro Zambrano als pointensicherem Prunier.

Treffliche Leistungen in den Nebenpartien bieten Stephen Bronk als Rambaldo, sowie Noel Bouley (Perichaud) Matthew Newlin (Gobin), Thomas Lehman (Crébillon), Siobhan Stagg (Yvette), Elbenita Kajtazi (Bianca), Stephanie Lauricella (Suzy) und Carlton Ford (Haushofmeister).

Roberto Rizzi Brignoli dirigiert das bestens disponierte Orchester der Deutschen Oper Berlin transparent, voll ungetrübter Walzer-Seligkeit und ohne jegliche ironische Brechung. Das obligatorische Klavier auf der Bühne ist von der Regie in den Orchestergraben verbannt worden. Im dritten Akt, wenn Glocken der Verzweiflung thematisch das Ende der Liebe intonieren, gemahnt ein „Aaah!“ der Sopranistin – im Pianopianissimo zum Glockengeläut – dramaturgisch an das „Weh!“ am Ende der gleichfalls tragischen Handlung von „Lohengrin“. In diesem Akt fühlt sich der Dirigent merklich am wohlsten.  Eine pausenlose Aufführung, von der Kürze her durchaus denkbar, hätte sicher für einen stärkeren Gesamteindruck gesorgt.

Am Ende des Premierenabends jedoch ungetrübter Applaus für alle Beteiligten: „La Rondine“ als Raritäten-Auftakt zu den Puccini-Wochen an diesem Haus – mit den durchaus erfolgsträchtigeren Bühnenwerken „Das Mädchen aus dem Goldenen Westen“, „La Boheme“, „Tosca“ und „Madama Butterfly“.

  • Weitere Aufführungen: 12.,14. 18. und  27. März 2015

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