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„Les Seraphines“ beim Lunch-Konzert in der Berliner Philharmonie. Foto: Hufner
„Les Seraphines“ beim Lunch-Konzert in der Berliner Philharmonie. Foto: Hufner
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Mittagessen und persisch-frühbarocke Sphärenklänge – „Les Seraphines“ beim Lunch-Konzert in der Berliner Philharmonie

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Nach dem Essen sollst du hören gehen. Neue Konzertformen sind alte Konzertformen. Neue und ältere Tafelmusik gibt es wöchentlich dienstags im Foyer der Berliner Philharmonie. Eintritt frei. Es gibt 1600 Plätze. Zugegeben, kann man mit einer Harfe dieses Foyer füllen oder mit einem eigenartig besetzten Ensemble von Truhenorgel, Bandoneon, Violine, Klarinette, Violoncello und Gesang? Meine ehrliche Antwort wäre ein „Nein“ gewesen. Umso erstaunter musste der Kritiker sich irgendwo vor dem Musikalienhandel an die Auslagen lehnen: Stehplatz! Die Sitzplätze vor der Bühne: restlos besetzt; die Treppen im Foyer und zu den Aufgängen: besetzt; die Galerien im ersten Stock: besetzt. Konzert vor vollen Rängen um 13 Uhr mittags.

Wer hat mittags so viel Zeit, wer kann sich ausklinken? Eine Antwort steht auf dem Parkplatz vor der Philharmonie in Form von einigen parkenden Reisebussen. Kaffeefahrt in die Philharmonie. Aber das ist nicht überzubewerten. Das Foyer ist ebenso gefüllt mit jüngerem Publikum bis um die 30 Jahre. Nur das Segment um die mittleren Altersschichten fehlt ein wenig – mit Augenmaß gemessen. Sie müssen wohl arbeiten zu dieser Zeit und dürfen abends ran, wenn die einen es sich nicht leisten können und die anderen ihre verdiente Ruhe brauchen. Das ist nicht herablassend gemeint. Das Publikum ist in seiner ganzen Struktur sehr vielfältig und hat verschiedene Präferenzen. Es ist nur natürlich, dass man als Konzertveranstalter versucht, sie dort hinzubringen, wo man sie „abholen“ kann.

Am 8. Mai hat sich ein eigenartiges Ensemble angesagt: „Les Seraphines“ um die Komponistin und Musikerin Bettina Hartl (Bandoneon, Klavier, Gesang). Mit ihr spielen Romy Nagy (Violoncello und Gesang), Manfred Preis (Klarinette, Bassklarinette – Mitglied der Berliner Philharmoniker), Marco Reiß (Violine – Magdeburgische Philharmonie, Rossini-Quartett) und Andreas Pasemann (Truhenorgel – Propsteikantor in Seesen). Für eine solche Besetzung ist die Literatur rar. Bettina Hartl hat für das Ensemble die Stücke selbst komponiert oder ältere Werke bearbeitet. Sie selbst fühlt sich offensichtlich auf der einen Seite zur Musik des frühen Barocks hingezogen, als das Barock noch etwas schrulliger war, experimenteller. Ihre Ciaccona ist daher auch noch richtig Tanzmusik. Gleichwohl kreisend in sich, kreist sie auch harmonisch etwas stark in sich. Die Instumentalisten übersetzen das harmonische Gerüst aber nicht in die nötige Schwingung. Melodische Versatzstücke hängen manchmal doch etwas lieblos aneinander (höre Musikbeispiel Teil 1). Die Bearbeitung von Monteverdis „Interrotte speranza“ aus dem 7. Madrigalbuch (höre Musikbeispiel Teil 2) kokettiert ebenfalls mit Tanzrhythmen, während die Stimmen von Hartl und Nagy ätherisch die Höhen erklimmen.

Das „Original“ Monteverdis, hier als YouTube-Beispiel mit Rolando Villazon und Topi Lehtipuu ist da um einiges bodenständiger. Beispiel:

Man muss also diese Form des Gesanges mögen. Diese Art des Musizierens weist auf die zweite Quelle der Inspiration Hartls hin: indische und persische Sufi-Musik. Daran erinnern die anderen Kompositionen beim Lunch-Konzert: Hamsuyi, Purpurfarben und Incarnation. Unterstützt wird dies durch die Beschallung des Foyers mit ordentlich Hall auf den Stimmen. Und unterstützt wird dies durch die Kleidung des Ensemble in weißen und wesentlich hellen Tönen. Da wirkt der schwarze Bechstein-Flügel geradezu monströs.

Das Ensemble trifft aber mit diesen Stücken wohl den Nerv des Publikums, das sich wie in einer Oase der Entspannung versammelt hat – teils, um das Lunch zu verdauen, teils um sich in eine andere musikalische Welt entführen zu lassen.

Nach gut 50 Minuten ist alles vorbei. Das Foyer leert sich langsam. Mancher aus dem Publikum trifft seine Musiker und hält ein kurzes Schwätzchen. Die Wege zur Musik und den Musikern sind kurz, ebenso wie die Wege der Musiker zum Publikum, das selbstredend nicht in Konzertkleidung erschienen ist.

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