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Bill Clinton (Paolo Szot). Foto: Marco Borggreve
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Neues aus der Zukunft – „The New Prince“ von Mohammed Fairouz an Amsterdams Oper

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Die Idee hat durchaus ihren Reiz: historische Figuren wie Adolf Hitler und Mao Zedong, Bill und Hillary Clinton und Monika Lewinsky, Dick Cheney und Osama bin Laden, Mohammed Morsi und General Sissi, Henry Kissinger und Machiavelli in einer Oper auftreten zu lassen. Wobei der Florentiner Niccolò Machiavelli (1469-1527) aus seinem Kerker in das Jahr 2032 die weiteste Reise zurücklegen muss.

Das geht, weil der auch in seinem irdischen Leben den Frauen zugetane Staatsphilosoph die Göttin Fortuna an seiner Seite hat, die hier nicht nur seine Mentorin, sondern praktischerweise auch seine Verlegerin ist. Mit dem Titel „The New Prince“ ist nämlich nichts anderes als eine zeitgemäße Neubearbeitung von Machiavellis zwar posthum erschienenem, dann aber zum Bestseller über die Jahrhunderte hinweg avancierten „Il Principe“ gemeint.

Die Niederländische National Oper bietet unter dem so verdienstvollen wie ehrgeizigen Label „Opera Forward Festival“ auch eine ambitionierte Uraufführung in der historischen Stadsshowburg am Rande des Museumsquartiers. Das futuristische Plakat zu „The New Prince“ spielt bewusst mit einer Big Brother Assoziation. Der aus den Emiraten stammende, jetzt in den USA lebende 31jährige Komponist Mohammed Fairouz nennt seine zweite große Komposition für die Musiktheaterbühne selbst eine „geopolitische Science-Fiction-Oper“. Das Libretto stammt von dem Romanautor und Washington-Post-Kolumnisten David Ignatius (64). Er verschafft Machiavelli nicht nur eine Zeitreise als Beobachter, sondern auch noch einen (dem historischen Machiavelli ja nicht fremden) Politik-Beraterjob und stellt ihm den ebenfalls reaktivierten Bruder im Geiste Henry Kissinger an die Seite. Beweis- oder widerlegbar ist es ja nicht, ob Machiavelli einen Draht für unsere Gegenwart hätte, noch weniger ob auch für eine rein spekulative Zukunft. Gerade das macht die Konstellation aber auch roman-, bühnen- oder eben operntauglich. Eine interessante, ja moderne Persönlichkeit war der Florentiner allemal. Durch die Struktur von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ inspiriert gibt es drei verwobene Geschichten zwischen einem Prolog und einem Epilog. 

Es beginnt mit einer veritablen Kerkerszene. Mit einem Machiavelli (standfest und eloquent: Joshua Hopkins) verzweifelt in Ketten. Die Mönche um ihn herum sind bedrohliche Sendboten der Finsternis. Ihm bleibt nur die Hoffnung auf Fortuna (lockend lebendig: Karin Strobos).

Im ersten Akt wird dann die Zeitmaschine angeworfen und Machiavelli landet an der Seite von Fortuna (als seiner Muse, seinem weiblichen Mephisto, und praktischerweise auch Verlegerin!) 500 Jahre später in der Zukunft. Im fiktiven Meta-Königreich Amerasiopia, das die „Tri-Capitals“ von Miami, Dubai und Shanghai unter dem Präsidenten Wu Virtu (Simon Lim mit überlegenem Habitus) im Jahr 2032 verbindet. 

Mit keinem Geringeren als Henry Kissinger (mit überzeugender Beweglichkeit: Marc Kudisch) soll er aus seinem berühmten Manuskript eine Überarbeitung machen und dem offenbar nicht beratungsresistenten Wu präsentieren. Was dabei rauskommt erleben wir als dreiteilige Show. Mit den (didaktischen) Auftritten eines Savonarola über lodernden Flammen, Hitler vorm Hakenkreuz, Mao in mitten seiner Rotgardisten, einem Ausflug auf den Tahrir-Platz samt den von da ausgehenden revolutionären Schritten nach vorn und zurück. 

Im nächsten Akt wird es Individuell. Dem Chips kauenden Operettenpräsidenten in der Loge wird vorgeführt, wie sexuelle Obsession dem Führungspersonal in die Quere kommen können. Am Beispiel der Affären Hamilton und, ausführlicher, am Beispiel des Umgangs der Clintons mit der Lewinsky Affäre.

Schließlich zeigt das nächste Kapitel, warum Fürsten eine Kollision von Zivilisationen vermeiden sollten, wenn zerstörerische Gewalt und Terrorismus zum Problem für die Anführer werden. Personifiziert wird das in einem diabolischen Tänzchen zwischen Osama Bin Laden und Dick Cheney nach dem Einsturz der Twin Towers. Regisseurin Lotte de Beer und ihre Ausstatter Clement&Sanou illustrieren auch das als groteske, große Show, hier samt Folter, die wie in einer TV-Show live präsentiert wird. 

Wobei es für den mitteleuropäischen Zuschauer schon einigermaßen bizarr ist, dass ausgerechnet einem Prinzen der mit dem Schwert in der Hand regierenden Wahhabiten aus Saudi-Arabien, Worte des Ausgleichs und gegen den Clash of Cultures vorbehalten sind. Dazu braucht man wohl biographische Wurzeln in Dubai wie der Komponist. Andererseits ist ja ein versöhnlicher Appell an sich nicht schon deshalb falsch, weil er aus dieser Ecke kommt.

Im Epilog findet Machiavelli nach dieser Reise durch die Zeiten zu sich selbst als ein Schriftsteller, der ohne Rücksicht auf irgendeinen Auftraggeber schreiben will, was er für die Wahrheit hält. Was ja nach dieser bunten Revue der besonderen Art ja auch eine Pointe ist. 

Die Musik von Mohammed Fairouz ist flott und eingängig auf die Worte komponiert und bedient sich souverän des großen Orchesters. Nur ist der Klangcocktail so geschüttelt, dass er am Ende von einer hübschen Portion Musicalschaum gekrönt ist. Für eine Oper mangelt es dem Neuen Prinzen zwar nicht an Ambition, doch der musikalischen Substanz dieser mit leichter Hand skizzierten Szenencollage, fehlt es dann doch an Tiefgang, doppeltem Boden und vor allem an Wagemut zu Neuem. Das Ganze einfach Musical zu nennen, verhindert wahrscheinlich die Abwesenheit einer echten Lovestory, die über das Verhältnis des Zeitreisenden Machiavelli und seiner göttlichen Muse Fortuna hinausgeht und die eh mehr ein theoretisches Vehikel ist. Nicht zuletzt bräuchte man einen zündend mitreißenden Wiedererkennungshit. 

Es ist gleichwohl eine opulente, große Revue, die einhundert Minuten unverblümt ihren Hang zur Maßlosigkeit zelebriert. Die ganze Welt und ein halbes Jahrtausend im Blick, das ist ja nicht gerade bescheiden. Im Graben macht Steven Sloane, der langjährige Chef der Bochumer Symphoniker, daraus mit dem Residentie Orkest ein süffiges Ganzes, ohne den aufblitzenden Willen zur Originalität, vor allem in den Zwischenspielen, zu unterschlagen.

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