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Hanna Herfurtner, Olivia Stahn, Benjamin Popson, Philipp Mayer und Ensemble. Foto: © Efrat Mazor
Hanna Herfurtner, Olivia Stahn, Benjamin Popson, Philipp Mayer und Ensemble. Foto: © Efrat Mazor
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Offtheater als High Price Event – „A Monteverdi Project“ an der Staatsoper Berlin

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Die in den Rahmen der diesjährigen Barocktage der Staatsoper Unter den Linden eingebettete Uraufführung schafft den Chiasmus vom Off-Theater des Inhalts zum Prestigeobjekt in Form und Ausstattung: ein staatsopernadäquates High Price Event.

Mit einem ihrer vorangegangenen spartenübergreifenden Projekte hatte sich die israelische Regisseurin und Choreographin Saar Magal Musik und Kosmos Richard Wagners angenähert, mit der Fragestellung der Spielbarkeit dieses Komponisten in Israel. Dabei hatte sie einen szenischen Bogen zum Wirken des musikalischen Hausherrn der Staatsoper, Daniel Barenboim, geschlagen, der als Erster das Aufführungsverbot der Werke Richard Wagners in Israel durchbrochen hatte. Nun arbeitete die junge Regisseurin erstmals an der Staatsoper unter den Linden, diesmal in einer szenischen Auseinandersetzung mit dem Urvater des Musiktheaters, mit Claudio Monteverdi.

Die Aufführungen sind als Nachtstücke im Apollo Saal konzipiert, jeweils nachdem das Publikum der Aufführungen im großen Auditorium des Hauses verlasen hat. Wie bereits die vorangegangene Premiere in der Neuen Werkstatt, die sich unter Matthias Schulz’ Intendanz „Alter Orchesterprobensaal“ nennt, obsiegt eine aufwändige Ausstattung, die für die gleich drei Köpfe verantwortlich zeichnen (Irina Mafli, James Shipp, und Christin Haschke) korrelierend mit der barocken Opulenz des Ortes.

Nach einer Aufführung von Monteverdis „Orfeo“ muss das Publikum noch einige Zeit warten, ehe es in den Apollo-Saal eingelassen wird, wo es dann sogleich von Gesang empfangen wird: zu Monteverdis Klängen aus dem VIII. Madrigalbuch wird der Besucher als Spießroutenläufer durch eine Formation belebter weißer Standbilder geschleust, den fünf singend agierenden und den acht tanzend mimenden und sprechenden Darsteller_innen des Abends.

Auch die drei Instrumentalisten – Kontrabass, Synthesizer und E-Gitarre – sind optisch in dieses Anfangsbild integriert, in welchem die Mitwirkenden mit diodenbeleuchteten Schuhsohlen auf Bierflaschen zu balancieren haben. Dicht gedrängt, aber säuberlich in Reih und Glied, nehmen diese braunen, leeren Flaschen die gesamte Spielfläche ein, umrahmt von nur wenigen Stuhlreihen an den beiden Längsenden des Saales und einem Karree von über 60 grünen Sitzsäcken für die Zuschauer. Der unsichtbare musikalische Leiter Haggai Cohen-Milto hat als Komponist und Bearbeiter auch Pop-Songs von ABBA, Beyonicé und Whitney Houston mit eingebaut sowie eine Madrigalkomposition von Filippo di Monte.

Wenn eine_r der Darsteller_innen im Spiel eine Flasche umwirft, so stellt er sie sehr behutsam wieder auf, bis später eine Tänzerin die Flaschen voller Lust reihenweise umlegt. Gegen Ende der knapp 90-minütigen Aufführung wird das Publikum im Zuge des „famous German Mitmachtheater[s]“ aufgefordert, die zahllosen Bierflaschen in Bierkisten zu füllen, welche dann vom Staatsopern-Personal abgetragen werden. Aber die weiße Spielfläche bleibt nicht lange leer: bestückt mit äsenden Ziegen, einem ausgestopften Fuchs und diversen Grünpflanzen steht der Raum nun offenbar fürs Paradies. Nachdem auf allen vier Seiten der bodenlangen Gazevorhänge mehrfach belichtete Videoprojektionen von Astralleibern als Transformationen eines sinnlich- multiplen Miteinanders zu bestaunen sind, ziehen sämtliche Mitwirkenden, mit Greisenköpfen bestückt, schlurfend diagonal über die Spielfläche ab – Ende.

Magals Inszenierung mischt diverse Tanz- und Spielformen in bewusstem Gegensatz. Offenbar liegt jeder Szene eine andere Form der Erarbeitung zu Grunde, merklich oft aus der Improvisation heraus entstanden. Durchaus spannend ist es, wie sich da die Darstellerinnen auch individuell einbringen, persönliche Befindlichkeiten übers Mikrofon verlautbaren, wie etwa die jungen Staatsopern-Mitglieder Hanna Herfurthner, Olivia Stahn und Amélie Saadia. Die Monteverdi-Gesänge zwischen Krieg und Liebesakt sind durch hörbares kollektives Atmen strukturiert und interferiert. Hechelndes Atmen wird zum Bewegungsimpuls des die Szenerie umkreisenden Ensembles. Dieses überragt der Bassist Philipp Mayer im doppelten Sinne; ebenso wie der Tenor Benjamin Popson, studiert er noch an der Universität der Künste.

Im Zuge des vom allgemeinen sich-Anbiedern zum sexuellen sich-Anbieten gesteigerten Begehrens pflanzen die Darsteller_innen übergroße orangefarbene Lippen zwischen die Zähne, züngeln und flirten mit dem Publikum. Eine russische Tänzerin lässt sich von einer Kollegin an ihren nackten Brüsten (vor-)führen und betont dabei in ihrem Anbiederungstext ihre gute deutsche Sozialisierung.

Mit viel Engagement wird so von Monteverdis „Liebe als Kriegsschauplatz“ (Programmheft, Dramaturgie: Jana Beckmann und Roman Reeger) der Bogen gespannt zu unserer Zeit und zu unserem Empfinden und heutiger „Sexyness“ (Programmheft), wobei das Bier als Droge der Bewusstseinsveränderung verstanden werden soll.

Der originelle, im Zusammenspiel von Tanz, Gesang, Darstellung und Musik reizvolle, die Kategorien U und E aufhebende Abend erweist sich als eine gelungene Performance, die vom Premierenpublikum goutiert und applaudiert wurde.

  • Weitere Aufführungen: 20., 23., 27. und 30. 11. 2018.

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