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Goldmarks „Götz von Berlichingen“ in Annaberg-Buchholz: Jason-Nandor Tomory in der Titelpartie. Foto: D. Knoblauch
Goldmarks „Götz von Berlichingen“ in Annaberg-Buchholz: Jason-Nandor Tomory in der Titelpartie. Foto: D. Knoblauch
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Oper als große romantische Ballade: Karl Goldmarks „Götz von Berlichingen“ in Annaberg-Buchholz

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Es dürfte eines der kleinsten Theater in Deutschland sein, das Eduard von Winterstein Theater in Annaberg-Buchholz. Mit einem vergessenen Werk, dem „Götz von Berlichingen“ von Karl Goldmark (1830–1915) gelang dem Haus nun eine bemerkenswerte Opernpremiere.

Goldmark, österreichisch-ungarischer Komponist jüdischer Herkunft, wurde mit seiner ersten Oper „Die Königin von Saba“ (1871), schlagartig berühmt und auch sein „Götz von Berlichingen“, 1902 in Budapest uraufgeführt, war ein großer Erfolg. Von der deutschen Erstaufführung, im Februar 1903 in Frankfurt am Main, brachte sogar die New York Times eine Meldung. Mehr als 40-mal wurde der Komponist vom begeisterten Publikum hervorgerufen. Nach seinem Tod teilte er das Schicksal vieler Komponisten jüdischer Herkunft: seine Werke wurden von den Nazis verboten, gerieten in Vergessenheit. Inzwischen wird die Oper „Die Königin von Saba“ wieder erfolgreich gespielt, auch seine Kammermusik und sein Orchesterwerke erweisen sich zunehmend als zu Unrecht vergessen.

Am Premierenabend nun zunächst gespannte Stimmung: Nachfahren derer von Berlichingen sind angereist; im Foyer kann man die berühmte eiserne Hand des Ritters in naturgetreuer Nachbildung sehen. Und dann die Überraschung, wenn die Musik anhebt: Bereits nach ersten Takten der Ouvertüre ist man angetan von Goldmarks Musik und hat den Eindruck, dass es wahrhaft höchste Zeit ist, endlich mehr davon zu hören. Dazu erlebt man ein mutiges Ensemble, das im Verlauf des Abends mit den enormen Anforderungen regelrecht über sich hinauswächst.

Der Text Alfred Maria Willners geht mit Goethes Dramavorlage recht frei um. Der Ritter Götz von Berlichingen ist aus der Zeit gefallen, er versteht sie nicht mehr. Seine edlen Ritterideale, Gottergebenheit und Kaisertreue gelten nicht mehr, Fürsten- und Vetternwirtschaft sind die neuen Zeichen der Zeit. Selbst Menschen, die er als enge Freunde ansieht, wechseln ihre Positionen.

In Stationen oder Strophen nach Art einer großen romantischen Ballade charakterisiert Goldmarks Musik, wie der Mensch Götz von Berlichingen der Welt abhandenkommt und am Ende regelrecht verlischt. Das ist berührend und beeindruckend zugleich, Parallelen zur Gegenwart lassen sich assoziieren. Die Handlung führt nach Franken, Bayern und Württemberg zu Beginn des 16. Jahrhunderts, Bauernkrieg, politische Wirren, Reformationsbestrebungen bestimmen die Zeit.

Goldmanns Musik markiert eine spätere Übergangssituation. Noch klingt das 19. Jahrhundert nach, die Stile mischen sich und nach dem zarten Ausklang des großen Werkes lässt sich Neues ahnen. Wie Goldmark von der Wirkung Richard Wagners beeinflusst ist, hört man. Man kann auch Passagen erkennen, die an den jungen Richard Strauss erinnern, Humperdincks romantische Klangopulenz ist ebenfalls vernehmbar und doch findet Goldmark zu ganz eigenen und eigenwilligen Wirkweisen. Das 20. Jahrhundert wird die neuen Töne bringen, Goldmark nimmt Abschied vom 19. Jahrhundert, sehr lyrisch zunächst, dann dramatisch auftrumpfend, am Ende verlöschend, so wie sich auch bei Goethe der sterbende Götz von allem löst. Dass all das in der Annaberger Aufführung ankommt, ist ein Verdienst der von Naoshi Takahashi geleiteten Erzgebirge Philharmonie Aue und des gesamten Ensembles.

Die Bühne in der Ausstattung Annabel von Berlichingens, einer Nachfahrin des Ritters, ist ein Raum, der sich nach hinten verengt. Von außen ist er bemalt mit Landkarten, Symbole politischer Veränderungen. Das Innere ist eine Folterkammer mit den Stacheln der „Eisernen Jungfrau“, Bilder für die seelischen Empfindungen des Protagonisten. Die Inszenierung des Annaberger Intendanten Ingolf Huhns verzichtet auf jede Art von Aktualisierung, die somit dem Publikum überlassen. Sie gestaltet in einer Abfolge von Bildern, als Drama in Stationen, vergleichbar mit den Strophen eines Gedichtes, oder eben einer romantischen Ballade und korrespondiert so mit der musikalischen Form.

Gesanglich stellt das Werk enorme Anforderungen. Die Realisierung durch das Annaberger Hausensemble verdient hohe Anerkennung, ausdrücklich eingeschlossen die Leistung des Chores. Angesichts der großen Anzahl von Personen sind etliche Doppelbesetzungen nötig. Einige Leistungen seien stellvertretend gewürdigt: Bettina Grothkopf als Adelheid von Walldorf wird vom Publikum gefeiert für eine dramatische Leistung, der es nicht an lyrischer Empfindsamkeit mangelt; László Varga überzeugt kraft klarer Diktion in mehreren Rollen, als Bischof von Bamberg etwa, Anführer der Bauern oder Femerichter; Frank Unger gibt den Geliebten der Adelheid, spielerisch und gesanglich gelingt das ausgesprochen gut.

Große Begeisterung schließlich für den jungen Bariton Jason-Nandor Tomory in der Titelpartie. Er verfügt über den lyrischen Ton des romantischen Liedes, er kann klagen, ohne wehleidig zu wirken. Dass er in seinen Konflikten selbst zum Täter wird, kann er als Darsteller glaubhaft machen: ein gebrochener Held ohne vordergründige, heldische Attitüde. Ein weiterer Baustein zum Gelingen dieser Wiederentdeckung.

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