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Davide Luciano. Foto: © Studio Amati Bacciardi
Davide Luciano. Foto: © Studio Amati Bacciardi
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Pier Luigi Pizzi beschert eine Sternstunde beim Rossini Opera Festival 2018

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Zum 39. Male findet an der italienischen Adria-Küste, in Pesaro, dem Geburtsort Rossinis, einem beschaulich-unspektakulären Bade- und Fischerstädtchen im Herzen Italiens in der Provinz der Marken das „Rossini-Opera-Festival“ statt. Für Rossini-Liebhaber ist es weltweit das Mekka hochkarätiger Rossini-Pflege. Die diesjährige Saison dauert vom 11. August bis zum 23. August.

Den Auftakt des diesjährigen Rossinifestivals bildete die Neuproduktion des dramma serio „Ricciardo e Zoraide“, das in Pesaro zuletzt1990 herauskam, noch von Altmeister Lucca Ronconi inszeniert. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal des Rossinifestivals, dass es in kon­tinuierlicher Rotation das gesamte Werk Rossinis in immer neuen Inszenierungen präsentiert. Die diesjährige Produktion verantwortet Marshall Pynkoski. Er zeigt im Bühnenbild von Gerard Gauci und mit den Kostümen von Michael Gianfrancesco einen historisierenden maurischen Bilderbogen. Der Abend wird lang und – mit Verlaub gesagt – langweilig, denn außer hübschen Tableaus und gemalten Kulissen wie aus dem Opernmuseum gerinnt das konfliktreiche Kolonisierungs-Drama der Kreuzzugszeit in Nubien zu einem bloßen Ausstattungsstück, das durch zahlreiche – nicht eben aufregende – Balletteinlagen in der Choreografie von Jeanette Lajeunesse Zingg die Geduld des Publikums strapaziert. Am Ende gab’s nach der Premiere Buhs für das Regieteam. Ovationen bekamen die Sänger. Vor allem die drei verblüffenden Tenöre der Extraklasse: Neben Juan Diego Florez, Sergey Romanovsky und Xabier Anduaga. Die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende bewies sich als Virtuosa des Rossinigesangs. Das nun zum zweiten Mal in Pesaro spielende Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI zeigt sich allerdings unter der Leitung des jungen Dirigenten Giacomo Sagripanti von seiner sprödesten Seite.

Auch das Dirigat der zweiten diesjährigen Neuproduktion, der einaktigen Farsa „Adina“, ist unter Leitung des venezulenischen Dirigenten Diego Matheuz musikalisch eine eher trockene Angelegenheit. Immerhin ist die Produktion sängerisch sehr überzeugend besetzt. Lisette Oropesa brillierte in der Titelpartie. Und auch in diesem Stück wartete man mit einem phänomenalen Tenor auf. Der aus Südafrika stammende Levy Sekgapane sang schwindelfrei die stimmlich hochalpine, halsbrecherische Partie des Selimo.

Die Inszenierung des Stücks verantwortet die Regisseurin und Pianistin Rosetta Cucchi, deren Produktion auch beim Wexford Festival gezeigt werden wird. Das Stück, das Mozarts „Entführung aus dem Serail“ ähnlich ist, zeigt sie als neckische Buffa auf einer raum­füllenden, aufklappbaren Hochzeitstorte, deren Innenleben Boudoirs enthüllt. Artisten, Statisten und ironisch überzeichnete, grellkomische Sängerfiguren nehmen jedoch den Kultur­konflikt des Stücks nicht ernst und verblödeln es, wenn auch auf hohem Niveau.

Sternstunde

Eine Sternstunde des diesjährigen Rossinifestivals ist der „Barbiere di Siviglia“ in der Neuinszenierung des 88-jährigen Pier Luigi Pizzi. Er ist der Grandseigneur unter den italienischen Opernregisseuren und -Ausstattern, und seit Jahrzehnten einer der gefeiertsten Regisseure nicht nur in Pesaro, sondern auch in Mailand und in Venedig. Noch einmal zieht er alle Register seines frappierenden Könnens und zeigt die wohl bekannteste Musikkomödie Rossinis auf ästhetisch überwältigender, schlichter wie verschiebbarer Barockbühne als narzisstisches Männerstück. Ein Traum in Schwarzweiß als turbulenter Zirkus männlicher Eitelkeiten. Die Mannsbilder des Stücks betrachten sich unentwegt vor großen Spiegel und zupfen an sich herum, richten ihre Haare und Kostüme. Aber was für Kostüme! Geschmack­voll in Stil, Material und Ausführung. Auf einem Laufsteg im Zuschauerraum werden sie wie bei einer Modenschau vorgeführt. Haute Couture des 18. Jahrhunderts. Auch wird viel halb­nackter Mann gezeigt. Den Vogel schießt Figaro ab, der sich bei seiner Auftrittsarie auszieht und in einem römischen Brunnen wäscht, bevor er sich Rosina nähert. Der junge Bariton Davide Luciano kann es sich leisten. Wohl noch nie hat man einen so erotischen Figaro gesehen, aber auch seine Stimme ist ein Paradebeispiel virilen Rossinigesangs.

Die Produktion darf ein Sängerfest genannt werden, denn alle Partien sind hochkarätig besetzt worden. Die Rosina der japanischen Sopranistin Aya Wakizono ist allerdings Geschmacks­sache. Über ihre verschattete Stimme kann man sich trotz ihrer hohen Gesangskultur streiten. Jedoch nicht über einen hinreißend virtuosen, jungen russischen Tenor als Graf Almaviva, Maxim Mironov heißt er. Und auch das Dirigat von Yves Abel, Chef der Nordwestdeutschen Philharmonie, besticht durch Präzision, Schärfe und enormen Schwung. Da zeigt das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, wie gut es sein kann.

Neben unterschiedlichsten Dirigenten hört man wohl nur in Pesaro im Laufe weniger Tage so viele erstklassige Stimmen, renommierte wie kaum bekannte. Nicht zuletzt die „Accademia Rossiniana“, die von Anfang des Festivals an ein besonderes Anliegen des im März letzten Jahres verstorbenen Rossinispezialisten und Spiritus rector des Festivals, Alberto Zedda war, kümmert sich darum. Ernesto Palacio, einst gefeierter Rossinitenor, der mit Alberto Zedda eng befreundet war, ist seit zwei Jahren künstlerischer Direktor und nun auch Intendant des weltweit führenden Rossinifestivals: „Was wir wollen sind große Namen, neben jungen Leuten aus der Akademie. Es gibt da sehr hoffnungsvolle Talente. In den diesjährigen Aufführungen singen immerhin vierzehn junge ehemalige Akademiemitglieder.“

Pesaro ist nach wie vor eine der wichtigsten Talentschmieden. Einen Mangel an guten Sängern gibt es eigentlich nicht, davon wird man in Pesaro jedes Jahr aufs Neue überzeugt, nicht zuletzt mit einer Aufführung der Oper „Il Viaggio a Reims“, die ausschließlich mit Nachwuchssängern besetzt wird. Vom 11. bis zum 23. August präsentiert man in diesem Jahr drei neue Opernproduktionen, die alle dem Motto des neuen Intendanten verpflichtet sind: „Ich liebe es, wenn Säger sich bemühen, die Partitur zu realisieren und sie nicht zur Selbst­darstellung missbrauchen. Und das gilt auch und insbesondere für Regisseure.“ Begleitend gibt es eine Reihe von Konzerten. Das 15-tägige Festival wartet mit 26 Veranstaltungen auf. Wieder einmal hat Pesaro unter Beweis gestellt, dass es das weltweit anspruchsvollste wie leistungsfähigste Rossinifestival ist. 

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