Inmitten der zu geschärfter Militanz findenden Münchener Konzertsaaldiskussion öffnet sich dieser Tage ein neuer Saal für Musik. Der ist zwar nicht neu – aber gut: Die Münchner Kammerspiele offerieren ab sofort und zuweilen ihren Jugenstil-Traum von Meister Riemerschmid als Ort musikalischer Begegnung. Damit löst sich zwar nicht das Philharmonieproblem. Neuer Kommunikation aber öffnet sich ein Spannungsfeld.
Neue Ideen zwischen neuem Publikum und ungewohnter musikalischer Örtlichkeit öffnen Augen und Ohren und Sinne. Da strömte es zur Premiere bunt gemischt zwischen Lebensaltern und Herkunftsorten farbenfroh durchwürfelt über die Maximilianstrasse. Das war nicht der typische Münchner Konzertsaal-Mix. Und der verteilte sich erwartungsvoll im Traum-Raum. Der zwar nicht überfüllt aber dennoch gut besucht war zur Premiere um zweiundzwanzig Uhr, zur ersten „Kammermusiknacht“ einer zunächst kleinen Reihe, die sich dermaleinstens womöglich bis zu musik-theatralischen Ereignissen auswachsen soll und kann.
Alexander Liebreich, Chefdirigent des Münchener Kammerorchesters und Johan Simons, Intendant des legendären Hauses, haben sich das Angebot „Mitten in der Stadt – Mitten in Europa“ ausgedacht. Und luden zum Auftakt zur Begegnung zwischen uralter japanischer Nō-Theater-Tradition und neuerer neuer Musik mit Nō-Gesang und „Tanz mit Tape“. Claude Viviers erstes Streichquartett aus dem Jahr 1968 war zu erleben, ein Opus pointilistischer Konzentration, des Großmeisters Toshio Hosowakas sozusagen naturgegeben faszinierender „Japanese Folk Song (2008)“ für Altflöte und Nō-Gesang sowie „Silent Flowers“ von 1998 für Streichquartett mit improvisiertem Nō-Tanz, ein faszinierend konzentriertes Stück für Streichquartett, das freilich ein spannend-stilles Erblühen der Blüten nicht eins zu eins ab- und nachspielte.
Der Imagination des Hörens vom Titel ausgehend allerdings reichlich Raum zu assoziativem Denken ließ – und zwischendurch den Augen faszinierende Magie ritualisiert ablaufender strenger Körper-Dramaturgie in aufregend theatralischer Kostümierung samt ungewohnte Bildwelten erschaffender Maskenhaftigkeit anbot. Da war schon reichlich Reibungsfläche im Angebot: eine Frau dominiert die Männerdomäne Nō-Tanz, neuere französische Musik aus revolutionären Zeitaltern – ohne das plakativ in Klang umzusetzen konnte sich reiben an im Flötenklang ausufernder japanischer Naturstilisierung eines imaginär abstrakten Kirschblütentraums.
Das war wirklich spannend – und wohl nicht nur in der Maximilianstraße 26-28 im wahrsten Sinn des Wortes neu. Was Alexander Liebreich zum Auftakt im Gespräch mit der faszinierenden, liebenswürdigen, charmanten und im Verlauf des Abends als virtuos sich erweisenden Nō-Künstlerin Ryoko Auki im diskursiven Kontakt unverkrampft und gesprächweise höchst informativ zu Beginn herausgearbeitet hatte, konnte sich im Verlauf dieser vollsatten Stunde wundervoll entfalten. Zunächst im stilisierten und ritualisierten „Tanz mit Tape“. Und so wie die wundervollen Musiker aus dem Münchener Kammerorchester ihre bemerkenswerte Professionalität sich entfalten lassen konnten: Da könnten selbst die Arditti-Leute noch staunen...
Das wundervolle Duett zwischen Altflöte und körperaktiv-tänzerisch akzentuiertem Nō-Gesang holte uns in eine assoziativ zu verarbeitende Welt von möglicher Natur-Reflektion. Ob das nun alles den jeweiligen ästhetischen Theorien und Ideologien kongruent war, lässt sich aus mitteleuropäischer Sicht nicht so leicht einschätzen. Und ob solches dann wirklich wichtig ist, mag als Frage ihrerseits variiert werden. Faszinierend und Neues anstoßend war der Abend durchgehend. Was Ryoko Aoki, Nō-Darstellerin, Henrik Wiese, Altflöte, Esther Hoppe, Violine, Max-Peter Meis, Violine, Kelvin Hawthorne, Viola und Bridget MacRae, Violoncello zu danken ist. Das war ein gelungener Auftakt für neue Nachtmusik an ungewohntem Ort mit außergewöhnlichem Potenzial für Reibungsgewinn.