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Guns’n Roses. Konzert in Leipzig. Foto: Sven Ferchow
Guns’n Roses. Konzert in Leipzig. Foto: Sven Ferchow
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Quietsch. Ächz. Schnauf. Hechel. – Guns’n Roses in Leipzig

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Selbstverständlich wäre ein Einfaches, das Guns’n Roses Konzert in Leipzig ebenso zu zerlegen, wie alle anderen Konzerte in Deutschland während der „Not in this Lifetime“-Tour, die bis zum 7. Juli 2018 relativ trocken besprochen wurden. Und nichts wäre tatsächlich einfacher als dies zu tun. Insbesondere wenn man Zeuge der legendären Guns’n Roses Konzerte am 20. Juni 1992 in Würzburg oder am 26. Juni 1993 in München während der noch legendäreren „Use your Illusion“-Tour war. Beide Konzerte fanden damals auf dem – im Rückblick – Zenit ihres Schaffens statt.

Denn, und auch hier muss man ehrlich sein, bis dahin hatten Guns’n Roses mit „Appetite for Destruction“ (1987 erschienen) und der Doppelveröffentlichung „Use Your Illusion I und II (1991 erschienen) zwar knapp 30 Millionen Schallplatten verkauft, aber sonst noch nicht viel gerissen. Dennoch. Der richtige Bandname, die richtigen Typen und die richtigen Songs zur richtigen Zeit. Eine Karriere, die Großes versprach und eventuell Bands wie Led Zeppelin, Queen oder sogar die Stones überstrahlen könnte. Leider nur könnte. Denn Guns’n Roses scheiterten kläglich. In einer Melange aus Wehleidigkeit, Drogenmissbrauch, Kindereien und falschen Wegbegleitern. Ein Wunder, dass alle je an der Band beteiligten Musiker noch leben.

Man kann einen Konzertbericht unter diesen Voraussetzungen und in dieser Größenordnung nur mit größtmöglicher Ehrlichkeit verfassen. Selbst wenn jene schmerzt. Aber Ehrlichkeit kann Respekt bedeuten. Vielleicht beginnt man deshalb mit den viel zitierten „soft skills“, die so ein Konzert und dessen Eindruck prägen: Wetter, Publikum, Eintrittspreise, Organisation vor Ort, Vorband(s), Dauer des Konzerts und die geschätzte Zuschauerzahl.

Leipzig meinte es nämlich gut mit Guns’n Roses. Tolles Open Air- Wetter, ein deutlich älteres Publikum, wenn man um die 40 (und leicht drüber) als alt bezeichnen möchte, die Eintrittspreise mit knapp 100 Euro pro Ticket ziemlich handelsüblich für Konzerte dieser Kategorie. Die Organisation der öffentlichen Verkehrsmittel klappte vorzüglich (großes Lob), am Einlass entstanden kaum Wartezeiten und die Getränkestände waren reichlich und großzügig über die Festwiese verteilt. Freilich lindern geschätzte einhundert Dixi-Toiletten den großen Druck kaum, aber das ist irgendwie typisch deutsch. An der Toilette scheitert es eben bei jeder Großveranstaltung. 40.000 Zuschauer sollen es gewesen sein, die Tyler Bryant & The Shakedown, Rival Sons und Guns’n Roses von 17:00 Uhr bis knapp 23:00 Uhr erleben durften. Die weichen Fakten für dieses Open Air bilden somit herausragende Rahmenbedingungen, denn nicht nur die Umbaupausen waren aushaltbar, auch beide Vorbands überzeugten mit ihrem Riff orientiertem Rock und lässigem Auftreten. Hut ab.

… aber eben auch Axl Rose

Kommen wir zu den harten Fakten. Wie waren denn Guns’n Roses? Wie war der Sound, die Stimmung, die Band, die Songauswahl, die Bühne und wie war Axl Rose? Man kann es vorwegnehmen. Das Konzert in Leipzig wäre ein gutes Instrumentalkonzert gewesen. Ohne Zweifel standen sehr gute Musiker auf der Bühne, aber eben auch Axl Rose. Nach einem fast peinlichen Intro (minutenlang schoss ein Panzer von der Videoleinwand Richtung Publikum), das durchaus die Frage offen lässt, ob Guns’n Roses drogentechnisch im Kalten Krieg des „Appetite for Destruction“-Albums aus dem Jahr 1987 stecken geblieben sind, eröffnet die Band mit „It's So Easy und Mr. Brownstone“. Beide Songs sind mit viel Fantasie unter der Axl Roseschen Schnappatmung zu erkennen. Dieses „Erkennst du den Song vor dem Refrain“-Spielchen ließe sich fast endlos fortsetzen. Insbesondere das elegische Wings Cover „Live and let die“, früher ein erster Höhepunkt der Konzerte, zerfällt in Fragmente und wirkt jämmerlich. Stimmlich krächzt Axl Rose hilflos zwischen hohen und tiefen Lagen umher und versaut es leider. Gut, kann passieren. Das epische „Estranged“ lässt sich mit viel Mühe im Refrain erahnen, mit den Guns’n Roses der 90er Jahre hat es definitiv nicht viel gemeinsam. Axl Rose bemüht sich, keine Frage. Aber – und hier ist Ehrlichkeit angebracht – seine Stimme kann weder dem Tempo noch den Timbres oder den Atmosphären vieler Songs folgen. Vor allem erreicht Axl Rose nie das musikalische Niveau der restlichen Bandmitglieder.

Sound-Stabilität ist ein Glücksspiel

Natürlich muss an dieser Stelle über den Sound gesprochen werden. Auf Höhe des Mischpults, relativ mittig, hatte man den Eindruck, unter den Bühne werkelten Trilliarden von Ameisen, die die Bühne im 60 Sekunden Takt einmal 30 Meter nach links tragen und dann wieder 30 Meter nach rechts versetzen. Der Sound wabert zwischen den Stereo-Ohren und oft hat man den Eindruck, eine nicht vorhandene Orkan-Böe peitscht den Sound von hinten nach vorne. Aber, diese Problematik kennt man von amerikanischen Open Air-Produktionen; Sound-Stabilität ist ein Glücksspiel. Ebenso kurios wie der Sound ist die Songauswahl. Warum muss man neun (NEUN) Coversongs spielen? Und dann noch Klassiker wie „Wish You Were Here“ von Pink Floyd (ein albernes Gitarren-Duett zwischen den Gitarristen Slash and Richard Fortus) oder „Black Hole Sun“ von Soundgarden, bei denen man jeder Schülerband dringend ans Herz legt, „Jungs, lasst das erst mal bleiben...“. Seltsam. Und dazu einfach nicht schön gespielt. Unfallfrei kommt die Band tatsächlich durch „Sweet Child O' Mine“, das Axl Rose gut hinbekommt, aber für diesen Abend schlicht und ergreifend das tonale wie emotionale Limit bedeutet. „Sweet Child O' Mine“ markiert im Laufe des Abends einen kleinen Wendepunkt. Man hat bis hierhin genug gesehen und gehört. Die ersten Besucher machen sich auf den Heimweg. Obwohl noch eine Menge kommt. Dennoch hat man den Eindruck. Es reicht aber jetzt auch.

Das Ganze steht und fällt mit Axl Rose. Und derzeit fällt es eben

Guns’n Roses, an erster Stelle natürlich Axl Rose, sind älter geworden. Man muss diese Band an ihm messen, denn er war ihr Aushängeschild. Weder Axl Rose noch die Band haben es geschafft, ihre Aura zu konservieren. Axls Töne sind oft schief, daneben und nicht mehr so markant wie zu Beginn der neunziger Jahre. Selbst wenn die instrumentale Begleitung auf einem hohen Level agiert. Das Ganze steht und fällt mit Axl Rose. Und derzeit fällt es eben. Das ist schade, aber nicht verwerflich. Vielleicht wäre es aber angebrachter gewesen, das Comeback oder die vermeintliche Reunion (leider fehlt der grandiose Songschreiber Izzy Stradlin) eine Nummer kleiner zu kochen. Kleinere Hallen, kleinere Konzerte, nicht die ganz großen Rock-Klischees, die dann unerfüllt bleiben. Vielleicht wäre das nicht nur sympathischer, sondern auch musikalischer gewesen. Vielleicht wären die Gunners so auf einem ähnlichen Level wie Pearl Jam, die zwei Tage vorher in Berlin mehr als eindrucksvoll bewiesen, wie man die Neunziger überleben und sich als Band treu bleiben kann. Vielleicht sind Guns’n Roses aber pleite oder müssen unerfüllte Vertragsbedingungen aus den neunziger Jahren abarbeiten. Vielleicht haben sie aber einfach nur wieder Lust auf Musik gehabt. Vielleicht haben die Jungs eine Sinnkrise. Vielleicht waren das aber nur Hologramme auf der Bühne. Ein Fazit wird bei dieser Band nicht genügen.

  • Setlist: It's So Easy, Mr. Brownstone, Chinese Democracy, Welcome to the Jungle, Double Talkin' Jive, Better, Estranged, Live and Let Die (Wings cover), Slither (Velvet Revolver cover), Rocket Queen, Shadow of Your Love, You Could Be Mine, Attitude (Misfits cover), This I Love, Civil War, Yesterdays, Coma, Slash Guitar Solo, Speak Softly Love (Nino Rota cover), Sweet Child O' Mine, Wichita Lineman (Jimmy Webb cover), Used to Love Her, Don't Cry, Wish You Were Here (Pink Floyd cover), November Rain, Black Hole Sun, (Soundgarden cover), Knockin' on Heaven's Door (Bob Dylan cover), Nightrain
  • Zugaben: Patience, Madagascar, The Seeker (The Who cover), Paradise City

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