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Max Hopp als Zahlkellner und Chorsolisten der Komischen Oper in Sebastian Baumgartens Inszenierung des „Weißen Rößl“. Foto: Iko Freese/drama-berlin.de
Max Hopp als Zahlkellner und Chorsolisten der Komischen Oper in Sebastian Baumgartens Inszenierung des „Weißen Rößl“. Foto: Iko Freese/drama-berlin.de
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Berliner Revue-Operette: Sebastian Baumgarten inszeniert „Im Weißen Rößl“ an der Komischen Oper

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Im Jahre 1930 kreierte Erik Charell in Max Reinhardts Großem Schauspielhaus, dem umgebauten Zirkus Schumann mit 3.500 Plätzen, die Uraufführung von Ralph Benatzkys „Im Weißen Rößl“ als eine gigantische Revue mit echtem See – den größten Theatererfolg der Weimarer Republik. Das in den Fünfzigerjahren verharmloste und in den letzten Jahren häufig in einer Kammerversion der „Bar jeder Vernunft“ gezeigte Singspiel inszenierte nunmehr Sebastian Baumgarten, erwiesener Regie-Provokateur und designierter Bayreuther „Tannhäuser“-Regisseur, in der Uraufführungsfassung.

Das von Hans Müller und Erik Charell adaptierte Volksstück von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg aus dem Jahre 1897 erzählt – frei nach Goldonis „Mirandolina“ – in der Haupthandlung die zielstrebige Eroberung der verwitweten Rößl-Wirtin durch ihren Zahlkellner Leopold. In der Nachfolge der von Haller und Rideamus äußerst erfolgreich kreierten Berliner Revuen, entstand „Im Weißen Rößl“ als Teamarbeit: neben Ralph Benatzky komponierten Robert Stolz, Bruno Granichstaedten und Robert Gilbert, der auch für die Gesangstexte verantwortlich zeichnete, und Eduard Künneke orchestrierte die Nummern deftig und mit diversen musikalischen Showeffekten zu einer Frühform des Musicals.

Die raffinierte Mischung aus keckem Marsch und alpenländischer Walzerseligkeit, Schlager und Showtanz bringt der niederländische Dirigent Koen Schoots mit einschlägiger Musical- und Opernerfahrung in der Komischen Oper Berlin zur Wirkung. Die Musiker spielen nicht nur im Orchestergraben, der durch zwei Sprungbretter als Wolfgangsee deklariert ist, sondern auch im Rang, und das Blech zündet aus der obersten Proszeniumsloge. Auf der Bühne wird das Orchester noch unterstützt durch eine Blasorchestercombo der Berliner Verkehrswerke, die BVG-Orchester e. V. Auf das Ballett wird zwar ganz verzichtet, aber das macht der überaus spielfreudige Chor der Komischen Oper wett. Die kleinste der drei Berliner Opernbühnen bedarf zwangsläufig anderer Mittel als das Große Schauspielhaus bei der Uraufführung mit ihren 750 Mitwirkenden oder auch als Charells New Yorker Erstaufführung, 1936 im Center Theater, bei der die überbreite Bühne mit einem original nachgebauten Panorama des Badeorts St. Wolfgang aufwartete.

So steht das „Weiße Rößl“ nun auf Schienen, um mal mehr, mal weniger Platz davor freizugeben, und die Wände des Gasthofs lassen sich schieben und klappen, um den Blick auf die Innenräume – inklusive einem im Obergeschoß angesiedelten Kuhstall – freizugeben. (Bühnenbild: Janina Audick). Rechts und links vom Proszenium liefert der Videokünstler Stefan Bischoff Assoziatives, mit belebten Postkarten, vorproduzierten Takes der Darsteller und mit Live-Projektionen. Statt eines Treppenhauses nutzen die Wirtin und ihr Personal eifrig eine Rutschstange.

Wie in der Uraufführung, sind die Rollen teilweise mit prominenten Schauspielern besetzt, und so ist auch das Publikum dieses seit langem ausverkauften Premierenabends besonders bunt gemischt. Die Fassbinder-Schauspielerin Irm Hermann gibt den Kaiser, der somit viel mehr zu sagen hat als in anderen Aufführungen dieses Stücks, wo diese Rolle gerne auf den Satz „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ reduziert wird. Kathi Angerer von Castorfs Volksbühne seziert mit ihrer schaurig-schön kreischenden Stimme die Fabrikantentochter Ottilie und setzt artistische Effekte an den Ringen und mit chinesischen Tanzfahnen ein, die sie auch schon in anderen Berliner Inszenierungen zum Besten gegeben hat.

Die Berliner Schauspielerin Dagmar Manzel, mehrfach operettenerfahren, u. a. als Offenbachs Großherzogin von Gerolstein, gestaltet die Rößl-Wirtin als Psychopatin und Alkoholikerin mit beachtlichem Gesang. Der TV-bekannte Dieter Montag verkörpert den Berliner Fabrikanten Wilhelm Giesecke glaubhaft und mit Witz, und Schauspieler Miguel Abrantes Ostrowski gibt einen gezeichneten, überalterten und nikotinsüchtigen Piccolo. Die Sänger Mirka Wagner als Briefträgerin Kathi, Christoph Späth als Rechtsanwalt Dr. Siedler und Peter Renz als kahlköpfiger, „schöner“ Sigismund Sülzheimer brillieren stimmlich und vermögen auch darstellerisch mit den vom Schauspiel stammenden Kollegen mitzuhalten.

Überboten werden sie jedoch alle von dem exzentrisch spielenden und obendrein bravourös singenden Schauspieler Max Hopp in der Rolle des sich mit Charme zumeist daneben benehmenden Zahlkenners Leopold. Szenisch ist alles gut gearbeitet und virtuos umgesetzt. Aber die von Sebastian Baumgarten erwartete politische Komponente bleibt aus: die drohenden autoritären Strukturen werden ebenso wenig sichtbar, wie der „Watschentanz“. Und dass Leopold manchmal in Hitler-Diktion á la Arturo Ui brabbelt, schießt als komischer Moment ebenso ins Leere, wie das „Parsifal“-Zitat „He! Ho! Waldhüter ihr“. Ingo Gerlach hatte eine Ausrichtung auf „die beiden großen Themengebiete des Stückes – Sexualität und Tourismus“ angekündigt, aber auch die kommen kaum zum Tragen, – es sei denn, man verstünde darunter eine chorische Bus-Pantomime á la „Linie 1“ und eine Bürgerratsversammlungs-Polonaise-Blankenese mit heruntergelassenen Hosen. Wie Aggression als Slapstick funktioniert, wir nur einmal sichtbar, wenn der das Hotelzimmer wechselnde Giesecke mit einer Unzahl von Koffern beworfen wird.

Regisseur Stefan Baumgartens „Interesse an der Erfüllung der Opulenz, dem Kitsch, den Konventionen und den Abgeschmacktheiten, die der Revue-Operette eigen sind“, löst beim Premierenpublikum einhelligen Erfolg und Jubel aus. Leopolds Warnung an den Kaiser, „In dem Haus hier gehen Schweinereien vor – da ist kein Verlass auf die Wirtin – gehen Sie nicht dort hinein ins ‚Weiße Rößl’!“ wird sich, wie im Stück, so auch für die Neuinszenierung nicht einlösen, die deutlich macht, dass „Im Weißen Rößl“ ein typisches Berliner Stück ist.

Weitere Aufführungen: 11., 16. Dezember 2010, 2., 7., 9., 26. Januar, 12. Juli 2011.
 

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