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Edda Moser gilt als eine der bedeutendsten Mozart-Sängerinnen des 20. Jahrhunderts. Hier singt sie die Rachearie der Königin der Nacht aus der „Zauberflöte” in der ZDF-Sendung „Bühnenbild mit Dame”.
Edda Moser gilt als eine der bedeutendsten Mozart-Sängerinnen des 20. Jahrhunderts. Hier singt sie die Rachearie der Königin der Nacht aus der „Zauberflöte” in der ZDF-Sendung „Bühnenbild mit Dame”.
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Rosa und sein Opernteam: ARTE zeigt „Operndiven – Operntunten“

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Auf seine „Männerfreundschaften“ Made in Weimar folgen die „Opera Queens“. Der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim (77) bestätigt stellenweise bleischwere Klischees. Sein Dokumentarfilm „Operndiven – Operntunten“ bringt ein Wiedersehen mit echten Primadonnen wie Edda Moser und Dagmar Manzel, bekennenden Musikexperten wie Kevin Clarke und Tilman Krause sowie dem Opernnerd Axel Ranisch und der halben Operettendiva Christoph Marti.

„Das macht unsere Liebe anders“ (Marianne Rosenberg): Sind die dramaturgischen Zulieferer Kevin Clarke (wichtigster Fachanwalt für „queere Operette“) und Tilman Krause (Kulturredaktion „Die Welt“) mit der endgültigen Schnittfassung von Rosa von Praunheims jüngstem Werk tatsächlich glücklich? Alles in der Dokumentation „Operndiven – Operntunten“ stimmt oder wirkt stimmig. Jene Skepsis, die einen ob Rosas spekulativ angeschwulter Weimar-Phantasie „Männerfreundschaften“ übermannen musste, bleibt hier unbegründet. Die vor allem in Berlin rekrutierten Operntunten (alle Mitwirkenden nutzen das Wort optimistisch) wie Barrie Kosky und Axel Ranisch sowie legendäre Operndiven wie Edda Moser, aber auch Sophie Koch und Nadine Secunde wirken ehrlich, deutlich, authentisch. Coktailkirsche auf der Pink Grapefruit-Scheibe brennender Devotion wird Christoph Marti alias Ursli Pfister, denn der verkörpert zu gleichen Anteilen die Operntunte genauso perfekt wie die Operettendiva. Marti mutiert allerdings nicht zur Dragqueen, sondern ist ein Mann, der eine Frau spielt, die manchmal zufälligerweise eine Diva ist – oder ein Fußballer-Maskottchen wie in „Roxy und ihr Wunderteam“.

Bei der Betrachtung von Rosas jüngster Doku über Schwule und ihre Lieben zu den Verzauberinnen der hohen Töne geht es wie beim Gebrauch einer Lupe: Unter dieser ist alles gestochen scharf, aber vieles neben dem Vexierglas säuft ab. Rosa macht es szenefremden Zuschauern nicht ganz einfach, wichtige kultursoziologische Bausteine des Phänomens zu verstehen. Auch Wesentliches gerät an den Rand. Zum Beispiel Sätze von Tilman Krause, der in einer schwulen Pariser Opernclique Sinnenkitzel, Geistes- und Herzensbildung erhielt. Dagmar Manzel empfindet in der Komischen Oper Berlin immer großes Glück, weil Barrie Kosky in seinen Operetten-Inszenierungen einen über Präferenzen-Hickhack wirbelnden Taumel für LGBT und Hetero entfesselt. Doch erst Wayne Koestenbaums Statement erhebt das Band zwischen Tunte und Diva zur Unio mystica: In seiner Studie „The Queen's Throat“ definierte Koestenbaums schon in den frühen 1990er Jahren die symbolische Äquivalenz von belcantistischer Tonproduktion und Oralverkehr. Nur er liefert in diesem Film DAS Wort, welches den Fan und die Empfängerin seiner Verehrung zugleich meint: Opera Queen. Das klingt eindeutig charmanter und hoheitsvoller als des trotz optimierender Aufmöbelung mit negativem Beiklang besetzte „Operntunte“. Indirekt gibt auch Kevin Clarke gelinde Startschwierigkeiten im Coming out zur affirmativen „Operntunte“ zu.

In der Widmung an seine schwule Komplementär-Legende Werner Schroeter (1945-2010) unterschlägt Rosa von Praunheim jene gegnerischen Positionen, für welche die beiden als Repräsentanten konformer bzw. kämpferischer Manifestationen in den Aufbruchjahren von Gay Pride inthronisiert wurden. Rosa hievte Evelyn Künneke und Lotti Huber in satte Zweitkarrieren. Parallel hielt sich Werner Schroeter in seinem Film „Abfallprodukte der Liebe“ (Hofer Filmpreis 1996) an die Bayreuth-Heroine Martha Mödl und versenkte sein Haupt im Schoß der italienischen Spinto-Legende Anita Cerquetti. Man braucht nicht eigens zu erwähnen, dass Rosas Akkumulation von ‚Opera Queens‘ etwas sachlicher gelingt als Schroeters hybride Apotheose von Gesang und Schönheit.

Von Berlin geht es gleich zur Mezzosopranistin Sophie Koch nach Paris und mit Nadine Secunde auf den Grünen Hügel nach Bayreuth zwischen Festspielhaus und Siegfried-Wagner-Klappe. Insgesamt erfährt man: 1) „Die Oper verwandelt Schmerz in Schönheit“ (meinte ein Freund der Sopranistin Nadine Secunde) 2) Schwule stehen auf Soprane, Lesben auf Mezzosoprane. 3) Operntunten genießen in exklusiver Isolation vor mit CDs überlasteten Regalen eines beliebten schwedischen Möbeldiscounters oder, z. B. das Sterbefinale aus „Manon Lescaut“, mit liebevollem Kopf-an-Köpfchen-Reiben. Neuere Operntrends wie Countertenöre bleiben unberücksichtigt, die Generation U30 generell auch.

Weil Rosa und Team auf Pluralismus Wert legen, darf Axel Ranisch, der in letzter Zeit regelmäßig Opern inszeniert und mit „Nackt über Berlin“ einen der bewegendsten Coming-of-age-Romane der letzten Jahre geschrieben hat, sich Opernnerd nennen. Richtig oppositionell wird der Film dann, wenn heterosexuellen Männern die Fähigkeit zum Glücksempfinden mittels Oper abgesprochen wird. Der Eindruck drängt sich auf: Diese armseligen Kerle sind aufgrund von genetisch gebremster Opernleidenschaft im Cercle der Operntunten nicht erwünscht. Auch Rosa zeigt Objektivität eher bei den Frauen. Die wunderbare Edda Moser nennt Schwule „Engel“, würdigt die so Titulierten mehr als erotische „Normalverbraucher“ und kann dennoch bestimmte Verhaltensweisen von Schwulen unter sich nicht gutheißen.

Spätestens an dieser Stelle kommt f/m/d der Strategie Rosas auf die Schliche. Viele affektive Wahrheiten entlarvt die Kamera mit fast hinterhältigem Genuss an Widersprüchlichkeit. Was ist stärker? Soll man den Film nicht ganz ernst nehmen oder nimmt sich Rosa nicht ganz ernst? Unter diesem Aspekt gewinnt „Operndiven – Operntunten“ Bedeutung als Manifest, die Recht auf Subjektivität voraussetzt. Nur dass „Out of the closet“ nicht die Love Parade meint, sondern das Opernfoyer im Wechsel mit der zur Zweckentfremdung in den Opernpausen aufgesuchten Toilette. Viele Sätze im Film sind fast identisch mit Dialogen aus dem Schauspiel „Die Lissabonner Traviata“ des am 24. März 2020 verstorbenen Terrence McNally. Aber dieser hatte in Sachen Selbstironie und Eleganz einen größeren Vorsprung.

  • Operrndiven – Operntunten (Deutschland 2019 – 53 Min.) von Rosa von Praunheim/Markus Tiarks: Ausstrahlung am Sonntag, 19. April um 23:05 – Verfügbar vom 18/04/2020 bis 18/05/2020 (ARTE)

 

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