Hauptbild
7. Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch. Foto: Oliver Killig
7. Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch. Foto: Oliver Killig
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Schostakowitsch-Tage Gohrisch: Vom Kleinod zur Großtat

Publikationsdatum
Body

Was haben Ludwig van Beethoven und Hanns Eisler mit Dmitri Schostakowitsch zu tun? Auf den ersten Blick sicherlich nichts, beim genauen Zuhören jedoch eine ganze Menge. Den Beweis dafür traten am letzten Juni-Wochenende die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch an, die 2010 gegründet worden sind und auch in ihrem – ganz und gar nicht verflixten – siebenten Jahr enormen Zuspruch aus aller Welt erfahren durften.

In einem Dörfchen in der Sächsischen Schweiz wehten drei Fahnen: Das gülden besternte Europa-Blau einvernehmlich zwischen russischem Weiß-Blau-Rot und deutschem Schwarz-Rot-Gold. Sie wehten nur drei Tage lang, das aber in deutlicher Symbolkraft: Während die Nato-Diktatoren donnernd ihre willfährige Mitläuferschaft an Russlands Ostgrenzen aufrollen ließ, ertönte hier im idyllischen sächsischen Dörfchen russische und deutsche Musik als – ja: europäischer Klangkosmos. Zitate aus dem Werk von nur drei Komponisten genügten, um die jüngsten und allerjüngsten Tragödien dieses Kontinents aufscheinen zu lassen. Lernt daraus, scholl es aus der Musik – und wird offenbar doch vergebliche Lebens-, Leidens- und Liebesmüh bleiben.

Dabei war schon das Novum eines sinfonischen Vorabends der 7. Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch ein deutlicher Fingerzeig: Just die 7. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, die „Leningrader“, wurde von der Sächsischen Staatskapelle unter Franz Welser-Möst unter freiem Himmel am Dresdner Elbufer geboten. Ein Werk, das während der deutschen Belagerung von Schostakowitschs Heimatstadt entstand, ein Werk im Gedenken an die mehr als eine Million ausgehungerter Menschen, ein Werk, das jeglicher Unmenschlichkeit gewidmet ist – um sie mit Kunst und Kultur zu überwinden. Den visuellen Hintergrund bildeten Pablo Picassos Taube und die Silhouette des nach dem Krieg wieder „auferstandenen“ Dresden. Eindringliche Botschaften für ein friedliches Miteinander, wie sie jeder Mensch verstehen sollte.

Heutzutage ist man gerade mal wieder weiter denn je davon entfernt. Die Barbarei macht sich auf den Straßen breit, in vielen Köpfen und in der „Real“-Politik. Tatsächlich halten verantwortungs- und/oder ahnungslose Politiker ebenso wie eine wachsende Zahl „einfacher“ Bürger die Macht der Gewalt noch immer für ein probates Mittel, um eigene Direktiven durchzusetzen. Dass damit wie stets über Leichen gegangen wird, über das Leben und die Ideale schuldloser Menschen – es schert niemanden, der nur seiner Partei, der Legislaturperiode oder dem eigenen Tellerrand/Gartenzaun/Fraktionszwang vertraut.

Schostakowitsch zwischen Beethoven und Eisler

Dabei könnte allein die leidgeprüfte Vita Dmitri Schostakowitschs und sein die Schrecken des 20. Jahrhunderts in Töne setzendes Schaffen doch erhellend genug sein, um sich bewusst zu werden, dass die in der Vergangenheit gemachten Fehler für alle Zukunft obsolet sein sollten. Die so ausdrucksstarke Musik des russischen Komponisten wird im sächsischen Kurort Gohrisch, wo Schostakowitsch 1960 sein berühmtes 8. Streichquartett zu Papier gebracht hat, alljährlich in Bezug zu künstlerischen Vorbildern, Weggefährten sowie in musikalische Querverbindungen zu Zeitgenossen von heute gesetzt. Unter diesem Aspekt spielte mal die Künstlerfreundschaft zu Benjamin Britten eine Rolle, mal die Vorbildfunktion Schostakowitschs für Künstler wie Sofia Gubaidulina oder Krzysztof Meyer. Immer gab es dabei – neben der rein musikalischen Brücke – auch eine politische Ebene: Als etwa Vsevolod Zaderatskys im sowjetischen Gulag entstandenen 24 Präludien und Fugen 77 Jahre danach ihre späte Uraufführung in Gohrisch erlebten, da klang der musikalisch-humanistische Kosmos eines Johann Sebastian Bach ebenso mit an wie die unmenschlichen Gräuel des Stalin-Regimes.

In diesem Jahr wartete das Programm mit einer – zumindest auf den ersten Blick – überraschenden Breite auf, denn neben Schostakowitsch ging es um Beethoven und Eisler.

Eisler-Renaissance von Gohrisch aus?

Ludwig van Beethoven als Schostakowitschs wohl wichtigstes Vorbild eröffnete dieses Kammermusikfest in der Konzertscheune von Gohrisch. Kammermusik vom Feinsten bot das vor 25 Jahren gegründete belgische Quatuor Danel, das heute zu Recht als legendär gelten darf. Nicht nur die vielfach prämierten Aufnahmen sämtlicher Streichquartette Schostakowitschs belegen dies, sondern vor allem solche Live-Erlebnisse wie in Gohrisch. Dieses Eröffnungskonzert hat gleichermaßen programmatisch den Rahmen gesteckt wie musikalisch Maßstäbe gesetzt, denn die Spielkultur der Belgier glich einer feinsinnig kundigen Werkanalyse. In Beethovens 13. Streichquartett op. 130 mit „Großer Fuge“ op. 133 durfte das höchst konzentrierte Publikum sowohl die Modernität als auch den gültig gebliebenen Anspruch des Bonner Humanisten und Idealisten erleben.

Das Streichquartett op. 75 des 1898 in Leipzig geborenen Österreichers Hanns Eisler, der als jüdischer Kommunist vor den Nazis floh und in den USA von McCarthys Gesinnungsschnüfflern verfolgt wurde, fügte sich dem geradezu ideal an, ohne auch nur die Spur agitatorisch zu wirken. Von seinem Quasi-Zeitgenossen Schostakowitsch folgten das 15. Streichquartett sowie als Zugabe die energetisch aufgeladene Elegie aus seiner Oper „Lady Macbeth“, beide Werke verdeutlichten, wie sich ein kluger und wacher Geist mit den Bedrückungen seines gesellschaftlichen Umfelds auseinanderzusetzen vermag. Befund der Danelschen Analyse: Melancholischer Schmerz nebst sensibler Welterfahrung, gegossen in musikalische Meisterschaft, bringt wahrhaftige Zeitlosigkeit hervor. Könnte dies nur öfter so ergreifend interpretiert werden und auf eine aufgeschlossene Hörerschaft treffen – das gemeinsame Wehen von europäischer, russischer und deutscher Flagge würde mehr als nur symbolischen Wert haben.

Schon in diesem Konzert wurde klar, dass Hanns Eisler in vielerlei Hinsicht noch neu zu entdecken sein wird. Gut möglich, dass seine Musik nach den drei großen Tagen von Gohrisch eine verdiente Renaissance erleben wird. Freilich wurde er durchaus auch diskursiv gewertet. Eisler-Expertin Friederike Wissmann, Komponist Krzysztof Meyer, Pianist Peter Rösel und Musikwissenschaftler Bernd Feuchtner spürten in einer Podiumsdiskussion den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Schostakowitsch und Eisler nach, wobei Feuchtner den „gemeinsamen Fluchtpunkt Beethoven“ hervorhob. Auch das mitreißende Wanderkonzert des Vocal Concert Dresden unter Leitung von Peter Kopp machte inmitten der großartigen Natur kompositorische Widersprüchlichkeit deutlich, wie diese Musik im ideologischen Kontext verständlich wird. Just in einer Felsenbühne setzte ein Gewitterguss den neuen deutschen und russischen Volksliedern ein Ende, nachdem doch gerade erst die (Nachkriegs-)Heimat besungen worden war: „Das Gewitter ist verzogen / Und verraucht der letzte Brand.“ Neben Schostakowitschs hintergründigem Witz klang Eislers „Friede sei auf Erden!“ geradezu schmerzhaft heutig.

Den Spagat aus Schostakowitschs vermeintlich leichthin gesetzten „Puppentänzen“ für Klavier solo und berührendem 2. Klaviertrio e-Moll mitsamt Beethovens 10. Violinsonate und Eislers Duo für Violine und Cello vollführte die eigens für Gohrisch gegründete Formation von Anna Vinnitskaya, Matthias Wollong und Isang Enders hinreißend in wechselnden Besetzungen. In einem Nachtkonzert gab Peter Rösel seinen überfälligen Einstand mit Beethovens präzise wie ein Wachtraum vorgetragener „Mondscheinsonate“. In der Sonntags-Matinee bestach das aus Mitgliedern der Staatskapelle bestehende Dresdner Streichquartett mit innigster Seriosität, indem es Eislers Sonatensatz-Fragment für Flöte, Oboe und Harfe mit einem launig „herausgerissenen“ Beethoven-Satz und Schostakowitschs bedeutungsschwer ehrlichem 3. Streichquartett rahmte.

Regenarten in Film und Musik

Das Abschlusskonzert schließlich bewies einmal mehr Beethovens Modernität, die sich in seiner 4. Cellosonate furios offenbart, wenn sie so authentisch wie von Cellist Norbert Anger und Pianist Michael Schöch vorgetragen wird. Abgründige Walzer für Flöte, Klarinette und Klavier unterstrichen zudem Schostakowitschs erstaunliche Vielseitigkeit, und neben einem hier fast als Fremdkörper wirkenden Quintett von Paul Dessau zeigten Hanns Eislers Divertimento für Bläserquintett sowie seine berühmten „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“, gekoppelt mit dem restaurierten Stummfilm von Joris Ivens aus dem Jahr 1929, den Facettenreichtum des zwischen Agitprop, Zwölfton- und Filmmusik pendelnden Meisters.

Eigentlich hätte er den Schlusspunkt unter die diesjährigen Schostakowitsch-Tage setzen sollen. Der aber kam dem Namensgeber des Festivals zu, da ein Regenschauer beim Nachtkonzert dessen letztes Opus akustisch verhinderte. Doch die Sonate für Viola und Klavier op. 147 – Schostakowitschs Abschied nach einem beschwerlichen Dasein – wurde als passende Zugabe hintangesetzt. Thomas Selditz und Peter Rösel ernteten für ihre ergreifende Interpretation erst langes Schweigen und dann heftigen Beifall.

Letzterer darf unbedingt dem gesamten Brückenschlag von Beethoven über Schostakowitsch zu Eisler gelten, der die diesjährigen Schostakowitsch-Tage beherrschte. Einmal mehr ist dem Künstlerischen Leiter und Initiator Tobias Niederschlag ein dramaturgisch perfekter Jahrgang gelungen, dessen Aufführungsqualität nichts zu wünschen übrigließ. Lediglich die sächsisch plumpe Eröffnungsrede eines sich gern als „Patriot“ gebärdenden Politikers, der als diesjähriger Schirmherr mit kruden Deutungsmustern von Musik im Totalitarismus aufzuwarten versuchte, sollte ganz rasch wieder vergessen werden. Eine solch gestrige und kleingeistige Sicht passt nicht zu einem derart weltoffenen Festival, wie es die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch glücklicherweise von Anfang an sind.

Der nächsten Jahrgang findet vom 23. bis zum 25. Juni 2017 statt, reibt sich einmal mehr an Sofia Gubaidulina und Mieczyslaw Weinberg, dessen „Passagierin“ am 17. Juni Premiere in der Semperoper haben soll. Den Vorabend der 8. Schostakowitsch-Tage gestaltet Gennadi Roschdestwenski mit Dmitri Schostakowitschs 1. und 15. Sinfonie ebenfalls in Dresden eröffnet werden. Die nächsten Brückenschläge stehen also schon bevor.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!