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Franz Wittenbrink Foto: Matthias Horn
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singensingensingen – Franz Wittenbrink verzaubert alle beim Literaturfest München 2012

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Dass Liederabende im Zeitalter nach Fischer-Dieskau (und gleichwertiger Kollegen, so es die denn je gegeben haben sollte) im aktuellen Klassikbetrieb nicht gerade der große Renner sind, erweist die Sichtkontrolle mitten in die Konzertsäle hinein. Doch wen es dieser Tage in das „Münchner Volkstheater“ verschlagen hat - gemeinhin wahrlich nicht gerade den Hort für Mozart und Schubert und Brahms und Beethoven im allgemeinen und für Liedgesang im besonderen –, der konnte sich die Augen reiben und es kaum glauben: ausverkauftes Haus und Leute mit „Karten-gesucht“-Schildern in der Hand.

Da galt es dann Ohren auf Empfang zu stellen. Das typische Herkulessaalpublikum hatte sich hier erwartungsgemäß nicht dicht an dicht zusammengedrängelt sondern Menschen, die auf der Fährte „Literaturfest München 2012“ auf Achse waren. Und die wussten warum. Denn es hat sich zum einen herumgesprochen, dass die immer noch und weiterhin führende Buch- und Literatur- und Verlags-Stadt München es nun endlich geschafft hat, ein veritables und tatsächlich groß(artig)es Literaturfest zu stemmen, das diesem Anspruch gerecht wird. Sind doch traditionsreiche Partner wie Literaturhaus und Bücherschau mit im Boot – und die Bewohner und Besucher der Stadt auf den Beinen.

Zum anderen hat die Kuratorin Thea Dorn mit ihrem „forum:autoren“ ein feines Segment dem Ganzen implantiert, das dann „Die lange Nacht der Nacht“ zum Beispiel ermöglicht. Und sie unter dem Titel „Es ist ein Flüstern in der Nacht“ einen „einmaligen Liederabend“ von Franz Wittenbrink mit Sabrina Ascacibar, Caroline Ebner, Rainer Piwek, Anneke Schwabe, Anna Wittenbrink und den unvergleichlichen „Wellküren“ ansetzen lässt. Einen Liederabend, den es tatsächlich nur an diesem einen einzigen Abend ein einziges, einzigartiges Mal gab.

Und das war nicht deswegen ein einzigartiger Abend. Sondern weil Franz Wittenbrink einmal mehr seine Höchstbegabung entfalten konnte, musikalisch und literarisch (unter tätiger Mithilfe von Thea Dorn), Themen in ihren Inhalten, gesellschaftlichen Vernetzungen, musikimmanenten wie sprachlichen Qualitäten so auf den Punkt zu bringen, dass sie uns ergreifen, wir sie begreifen, via Intuition und Gefühl sowie auf den verschlungenen Pfaden der Intelligenz.

Dass da die Nacht nicht allein zum Tanzen da ist, sondern Selbstmörder und Träumer, Einsame und Zweisame, Liebestolle und Schlafwandler einhüllt, das collagiert und arrangiert Franz Wittenbrink, der die Welt wie kaum einer kennt, auch an den Stellen im Besonderen, die diese Welt zusammenhalten, ganz unten und ganz im Dunkeln auch, auf die ihm ureigenste Weise „von Brahms bis zu den Beatles, von Schubert bis Sting und wieder zurück“, so dass uns die Tränen kommen der Freude und der Berührtheit, kindliches Staunen sich in sonst finstere Gesichter einschleust, beglücktes Lachen uns entströmt – und auch Innehalten im Schreck über unser Selbstbildnis im akustischen Spiegel.

Das geht mit den bewährten Mitkämpfern, mit einem Minimum an Bühnengestalt – und mit Franz Wittenbrink inmitten-seitlich, der fingerfertig und stimmbandaktiv anfeuert und abbremst, begeistert und auch tröstet, mitreißt. Der solche Mitmenschen zum zaghaften Mitsingen animiert, die sonst bestenfalls ihre Lippen bewegen – ohne einen einzigen Ton von sich zu geben…

Dass es so etwas gibt, denkt der verträumte Gast dieses Festes beim Schritt in die Kälte der Vorwinternacht nach neunzig Minuten Glück und Beglückung. Auch darüber denkt er nach, was mit Intelligenz, mit Musikalität, mit Spielfreude, mit den Grundtugenden des Theaters möglich ist in schlichter, puristischer, archaischer Gestalt. Ohne sponsernde Weltkonzerne im Beipack und schwadronierende Philosophieprofessoren als Textlieferanten zum visuell total zugepixelten Musikübermaß…

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