Hauptbild
Sceernshot aus der Produktion.
Sceernshot aus der Produktion.
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Stimmen mit Menschlichkeit – „Bastien und Bastienne“ vom Theater Brandenburg im Stream

Publikationsdatum
Body

Wegen der Pandemie sagte man Humperdincks „Händel und Gretel“ am Brandenburger Theater ab. Stattdessen wurden Telemanns „Pimpinone“ und Mozarts „Bastien und Bastienne“ angesetzt. Die öffentliche Premiere von „Pimpinone“ zerschlug sich, die von „Bastien“ konnte noch am 16. Oktober stattfinden. Dank vorbildlicher Koordination zeichnete der Lokalsender SKB*Brandenburg beide Produktionen auf und sendet sie mehrfach im Rahmen eines theatral-konzertanten Weihnachtspaketes. Roland H. Dippel war am 10. Dezember bei den Filmaufnahmen im Brandenburger Theater dabei und vergleicht das Stream-Resultat mit dem Dreh.

Der Bayreuther „Tannhäuser“-Regisseur Tobias Kratzer entdeckte schon vor Corona, dass das für eine Privataufführung bestimmte Schäferspielchen „Bastien und Bastienne“ des 12-jährigen Mozart mehr als genug mit unserer aufgesexten und partnerschaftsmechanischen Gegenwart zu tun hat. In Halle verlegte er das Stück über die Seitensprung-Krise liebeshungriger Landeier mitsamt deren Paarungstherapeuten in den Chat – mit physischem Happy End und weißen Flecken auf der Tastatur. Frank Martin Widmaier, künstlerischer Leiter des Brandenburger Theaters, versetzte das Stück, welches schon ganz viel von Mozart späterer Entwicklung ahnen lässt, in eine blühende Parkoase des Sommers 2020 zwischen den Lockdowns. Das beinhaltete mehr als den Komplett-Relaunch der Dialoge durch Willi Händler. Bastiennes Gejammere blieb inhaltlich unangetastet und dem „Augenzauberer“ Colas legte man schlagkräftige Tipps auf die Zunge: „Geh nicht ran, wenn er anruft!“. Vor allem tritt die bei Mozart nur knapp erwähnte Bitch Serena (Anna Strehlau) leibhaftig auf und lässt sich – typisch „Wanderpokal“ - auch mit dem notorischen Seelentröster Colas ein. Widmaier ist also nur eine klitzekleine Nuance braver als Kratzer, aber keineswegs zahmer. Bei ihm gibt es in der freien Parkzone weitaus mehr Handlungsspielraum als daheim zwischen Computertisch und leeren Pizzakartons.

Seit Mozarts pastoraler Problemakkumulation hat sich auch in der Berliner Peripherie alles völlig umgedreht. Hier lässt sich der metrosexuelle Bastien von Serenas Sportwagen und Pinke blenden, während Bastienne sich nach seinem virtuosen Massagestab sehnt und frustriert ein paar Runden radelt. Sie ist solide, er das Fashion Victim. Gegensätze ziehen noch immer an wie im fürstbischöflichen Salzburg vor 250 Jahren und ein Gewitter reinigt die Beziehungsluft. Für das streitlustige Paar wurden mit Elena Bechter und Kyoungloul Kim Absolventen der Universität der Künste Berlin und Sebastian Noack für den rhetorisch gewandten Narzissten Colas geholt. Stimmlich sind sie alle drei keine naiven Leichtgewichte und wissen genau, wie sie die liedhaften Melodien mit stilaffinen Zacken versehen. In Brandenburg hört man also keine verzopfte Mozart-Operette vom Ponyhof, sondern vitale Stimmen mit Menschlichkeit.

Trotz Corona war das ausdrücklich keine Sparproduktion. Als die vorgesehene Premiere von „Hänsel und Gretel“ abgesagt wurde, wollte Widmaier das Theater nicht leerstehen lassen. Die ausgewählten kurzen Stücke sollten erst einzeln für alle Altersgruppen und zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht zusammen an einem Abend spielbar sein. Die von dem Bühnenbild-Debütanten Johannes Fried auf die Drehscheibe gesetzte Garten mit Kugellaternen, Kuschelbank und Rosenbogen funktioniert für die hormongesteuerten Affektexplosionen Bastien und Bastiennes genauso wie für das Herumtricksen zwischen dem Hagestolz mit seiner heiratswilligen Angestellten in Philina Kahls „Pimpinone“-Inszenierung.
 
Welches Theater bietet für diese kleinen Stücke schon ca. 22 Musiker auf? „Bastien“ wird sonst meist in die Pocket- oder Kinderopernecke gestellt. Aber mit größerer Besetzung und unter der am Originalklang orientierten musikalischen Leitung von Gerd Amelung klingt Mozarts zweiter Musiktheater-Versuch durch die Brandenburger Symphoniker entschieden erwachsener. Im Theater war das mit energetischer Spannung und klanglicher Konzentration auf die tieferen Instrumentengruppen, aus dem das Cembalo nicht allzu deutlich herausstach, deutlich hörbar.

Auffallend die Wahrnehmungsveränderungen vor dem Endgerät bei der Fernsehpremiere am Samstagabend. In der Aufzeichnung wirkt die Park-Flora weitaus naturalistischer als aus den Zuschauerreihen. Die Kontraste von Tag und Dunkelheit sind größer. Auf dem Monitor verspielen sich die zahlreichen Gesten zu Mitternachtsgymnastik und sexuellen Mangelerscheinungen. Der gerundet-füllige und dabei transparente Klang der Brandenburger Symphoniker tendiert aufgrund des für die Aufnahmen unvorteilhaft tiefen Orchestergrabens zu dunkler Gallertmasse. Die sehr jugendlichen Sänger – Trick der Maske? - rutschen altersmäßig noch mehr Richtung Youngster. Das schärft die Charaktereigenheiten von Bastienne, einer Tochter aus harmonischen Familienverhältnissen, und dem in jedem Revier reüssierenden Absahner Bastien. Dessen mit seinem Gürtel um den Hals angedeuteter Selbstmord gleitet durch den im TV noch seichteren Tümpel von der Komödie Richtung Sketch. Die metaphorische Überhöhung, wenn sich die beiden mit Kostümen aus der Mantel-und-Degen-Epoche in die eindeutigen Geschlechtsmuster von früher zurücksehnen, gerät fürs Digitale etwas hochgestochen.

Als bestens stream-affin erweist sich die Brandenburger „Bastien“-Produktion, indem sie durch die kaum von konzeptionellen Erwägungen geleitete Kameraperspektiven vom Kurpark Bad Balzig an den Berliner Rammelplatz Hasenheide switcht. Dort ist bekanntermaßen vieles möglich – sogar, dass ein Möchtegern-Philosoph bei einer Supertussi ganz fett einsteigt und alle Glocken läuten.


Brandenburger Theater – Mozart: Bastien und Bastienne // Musikalische Leitung: Gerd Amelung - Regie: Frank Martin Widmaier - Bühne: Johannes Fried - Kostüme: Rebecca van de Sand - Elena Bechter (Bastienne), Kyoungloul Kim (Bastien), Sebastian Noack (Colas) - Brandenburger Symphoniker.

Eine Eigenproduktion des Brandenburger Theaters - Zu sehen im SKB Stadtfernsehen Brandenburg an folgenden Tagen: Samstag, 12. Dezember 2020, ab 19.00 Uhr (und dann das ganze 3. Adventswochenende, immer zur ungeraden Stunde), Freitag, 25. Dezember 2020, ab 00.00 Uhr (und dann immer zur geraden Stunde.)

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!