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Theaterakademie August Everding / Rote Laterne / Daria Kalinina, Stefan Jovanovic und Franziska Weber. Foto: ©Jean-Marc Turmes
Theaterakademie August Everding / Rote Laterne / Daria Kalinina, Stefan Jovanovic und Franziska Weber. Foto: ©Jean-Marc Turmes
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Tödlich-düsteres Patriarchat – Christian Josts Musikdrama „Rote Laterne“ in München

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Ein zu drei Vierteln besetztes Theater, nahezu alle Sparten der Theaterakademie August Everding im Einsatz, dazu das Münchner Rundfunkorchester, der Komponist selbst am Dirigentenpult: zur deutschen Erstaufführung seines 2015 in Zürich uraufgeführten Musikdramas – wieder einmal schien die Musikstadt München über eine dritte Operncompagnie zu verfügen.

Der Schlussbeifall war einhellig, übertönt vom lauten Jubel der im Publikum sitzenden, nicht mitwirkenden Akademie-Studenten. Zu Recht zu feiern war die Ausstattung der als Gast eingeladenen Angelika Höckner. Ihr kühl-grau gemalter Zwischenvorhang zeigte rechteckige, bühnenhohe Architektur, deren Strenge nur durch eine surreal daliegende Kugel konterkariert wurde. Als der Vorhang zu dunklen Perkussionsklängen hochfuhr, gab er den Blick in diese jetzt aus schwarzen Pfeilern und Plattformen geformte, letztlich inhuman wirkende, bühnenweite Hauslandschaft frei; darin befremdlich funktionslose rote Leuchtstäbe, ein Beet mit weißen Chrysanthemen als althergebrachtem Herrschaftssymbol und ein hypermoderner Brunnen mit strömendem Wasser hinter einer Glasfläche, kleinem Planschbecken – und einer raffiniert eingebauten Seitennische, durch die später zwei Frauen „ertrinken“ und verschwinden konnten.

Insgesamt kein „Lebensort“. Doch eine höchst gelungene Szenerie für die aus heutiger Sicht gespenstische Erzählung „Rote Laterne“, die Autor Su Tong in den 1920er Jahren angesiedelt, die Zhang Yimou 1991 mit internationalem Erfolg verfilmt hat: die verarmte, junge Song-Lian rettet sich vermeintlich in die Ehe mit dem reichen Herrn Chen; dort leidet sie aber am traditionell strengen Patriarchat sowie dem intriganten Gespinst dreier Nebenfrauen, einer dubiosen Dienerin und zweier verwöhnter Gören; unterdrückte Gefühle und Unglück steigern sich zur kaum kaschierten Hinrichtung einer Nebenfrau und am Ende auch zum Selbstmord Song-Lians im Brunnen. Das hat Studienleiter und Regisseur Balázs Kovalik klar und treffend „stimmungskalt“ inszeniert, leider wieder mit dem völlig verzichtbaren Einsatz einer Live-Video-Kamera.

Die düstere Handlung hat Christian Jost für klassisches Orchester und einen großen Perkussionsapparat vertont. Über die pausenlosen 100 Minuten dominiert ein dunkler Ton, aus dem sich nur wenige Male Flötentöne erheben; ansonsten pochende Klangflächen mit insistierenden Wiederholungen nahe der minimal music; eruptive Ballungen, die sich entladen; schwingendes Dunkel von mezzaforte bis fortissimo; die Singstimmen erfreulich sangbar geführt – und die durchweg jungen Solisten der Theaterakademie klangen rollentypisch überzeugend schattiert. Dem Dirigenten Jost und der Tonabteilung der Theaterakademie August Everding ist das Kompliment zu machen, dass sie die „Corona-Abstand“-bedingte Auslagerung von elf Instrumentalisten des Rundfunkorchesters ins benachbarte Akademietheater klanglich problemlos zusammenführten. Doch insgesamt wirkte das Jostsche Musikdrama zu monochrom. Als Nachwirkung stellte sich ein: Die Erzählung: lesenswert. Der Film: ansehenswert. Das Musikdrama: naja… Die Aufführung als Ganzes: dicht und gelungen.

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