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LOVEAFFAIRS Liebesszenarien von Birke J. Bertelsmeier und Dariusz Prybylski, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 20. Juni 2014, Foto: © Thomas Aurin
LOVEAFFAIRS Liebesszenarien von Birke J. Bertelsmeier und Dariusz Prybylski, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 20. Juni 2014, Foto: © Thomas Aurin
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„LoveAffairs“ mit Synchronfilm-Handlungen und Zufallsgenerator – Uraufführungen von vier Kurzopern in der Deutschen Oper Berlin

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Während es beim derzeitigen Festival „Infektion!“ der Staatsoper zwar neue Musik, aber keine szenischen Uraufführungen zu erleben gilt, gab es in der zweiten Spielstätte der schräg gegenüber befindlichen Deutschen Oper Berlin, der Tischlerei, gleich vier höchst unterschiedliche Opernuraufführungen an einem Abend. Immerhin war unter den Liebesszenarien von Birke J. Bertelsmeier und Dariusz Przybylski ein echter Wurf, Bertelsmeiers „Querelle“ nach Jean Genet.

Minimal-Music-Elemente als Präludium zum Einlass im diesmal im Querformat bespielten Raum der Tischlerei, das Publikum beim Kooperationsprojekt der Deutschen Oper mit der Deutsche Bank Stiftung, auf Karton-Kasten und Kissen gelagert, inmitten einer seltsam chaotischen Raumlösung von Lars Unger, dem Einheitsraum für die höchst unterschiedlichen Liebesszenarien, mit diverser Podesterie für die divergierend positionierten Orchesterformationen und für die szenischen Aktionen, inklusive zweier Gaslaternen. Ordnung verheißt am Boden ein Springfeld wie bei Achim Freyer, der auch Gast der Aufführung war, aber dieses wird in keiner der Szenerien genutzt.

Birke J. Bertelsmeier: Die Nachtigall und die Rose

Bertelsmeiers erstes Musiktheater, „Die Nachtigall und die Rose“ erweist sich primär als Oratorium, eine Konzertversion des Kunstmärchens von Oscar Wilde. Unerwartet wird die Titelfigur von einem Bariton dargestellt, der die Geschichte erzählt, die in der Regie von Nina Dudek von ihm selbst auf einer Schaukel und mit einem weißen Tanzpaar räumlich transportiert wird. Spannend ist die räumliche Klanganordnung, mit vier Stimmen hinter dem rechts hinten disponierten Orchester, einer Trompete auf dem höchsten Punkt der Treppe rechts hinten und einem Saxophon links hinten auf einer Giraffe. Später besteigt Gideon Poppe, der Darsteller der Nachtigall, im grauen Wams mit Puffärmeln, eine weitere Giraffe um sich in die Luft zu erheben. Die Tänzer ziehen weiße Stoffbahnen aus seinen Ärmeln und wickeln ihn darin ein. Liebesfrustiert rammt sich in der im englischen Original gesungenen Erzählung die Nachtigall die Dorne einer roten Rose ins Herz. Hier entschwindet das Tanzpaar (Mimi Jeong, Javier Carranza Uribe) mit dem mehr bodenständig, denn wie ein nächtlicher Vogel singenden Bariton in dem rot beleuchteten Gang zum Magazin. Deutlich versteht die Komponistin ihr Handwerk, sie vermag für Stimme sanglich zu schreiben; als Individualität dieser wenig szenischen Komposition bleiben einige Jazzelemente in Erinnerung.

Dariusz Przybylski: Musical Land

Dann jagt kreischend der Kinderchor, untermischt von ebenfalls zwei Tänzern als Ginger und Fred, auf die Szene, bunt und musicalhaft kostümiert von Belén Montoliú. In „Musical Land“ geht es ums Ende der Welt des Musicals. Drei Figuren, Annie, mit leuchtendem „M“ als Signet des Musicallandes, aber ohne Gun (oder stammt sie aus dem „Zauberer von Oz“?), Evita und Maria sind in der Regie von Felix Seiler mit einem großem Reisekoffer voller Dollarnoten auf der Flucht. Während es in der ersten Oper keine Übertitel gab, werden sie hier im vornehmlich gesungenen Englisch projiziert.

Den aggressiven Trommeln im Orchester zum Trotz, wird Dirigent Martin Nagashima Toft verschleppt und verprügelt. An seiner Stelle übernimmt Arnold Schönberg (Jörg Schörner hat allerdings in Figur und Maske keinerlei Ähnlichkeit mit dem Komponisten die musikalische Leitung. Seine Behauptung, „Jedes Kind auf der Straße kann meine 12-Tonmelodien pfeifen“ wird vom Kinderchor (Einstudierung: Christian Lindhorst) sogleich unter Beweis gestellt.

Das ist witzig, aber nicht, wenn es mehrfach wiederholt wird. Wie in Herbert Rosendorfers „Der ewige Wagner“, wo der unsterbliche Bayreuther Meister als Urheber der erfolgreichsten amerikanischen Musicals geoutet wird, ist es hier, im Libretto von Amy Stebbens und Felix Seiler, der Erfinder der Zwölftonmusik. Die Komposition von Dariusz Przybylski mischt kurzweilig die divergierenden Musikstile.

Birke J. Bertelsmeier: Etüde über Macht, Sex und Mord

Nach der Pause dann eine rundum gelungene Novität, die sich als „eine Etüde über Macht, Sex und Mord“ (Pressetext der DOB) versteht, „zwischen Krimi, Porno und Video-Installation“. Als Chiasmus zu Jean Genets „Zofen“, die nach dem Willen des Autors, ausschließlich von Männern dargestellt werden sollen, sind in Birke J. Bertelsmeiers Oper alle Rollen weiblich besetzt. Genets im Jahre 1947 erschienener, aufgrund der Schilderung homoerotischer Szenen zeitweise verbotener Roman „Querelle de Brest“ als Spielvorlage zu wählen, bedeutet, die Latte hoch zu legen. Denn jede Dramatisierung wird automatisch gemessen an Rainer Werner Fassbinders Verfilmung. Daher hat das Team um Regisseur Tilman Hecker zwei gigantische Filmleinwände rechts und links in den Raum gestellt. Darauf erfolgen als Rückprojektion in der Gesamtlänge der Oper vorproduzierte Filmszenen, die zuvor mit den Sängerdarstellerinnen im Rangfoyer der Deutschen Oper Berlin gedreht wurden. Die Filmaktionen mit den Gestalten in Lebensgröße laufen – wann immer dies gewünscht ist – in den Bewegungen erstaunlich lippensynchron zur Live-Aktion ab. Die aufgespaltene Wahrheit zeitigt verblüffende Wirkungen, etwa wenn die Kamera einen Schwenk macht und der reale Sessel im Gegenzug an einem Strick zur Seite gezogen wird.

Spannend ist aber ist das Auseinanderklaffen von live gespielter und filmischer Realität, rund um den jungen Querelle (verführerisch im Spiel, verhalten im Gesang: Alexandra Hutton), der im Würfelspiel bewusst verliert um sich dann – als vereinbarten Spielpreis – vom Sieger „ficken“ zu lassen. Die sexuelle Übertragbarkeit der Aktionen zeichnet die Inszenierung durch Bärte und Koteletten der stark dekolletierten Darstellerinnen, die sich auf High Heels betont sexy bewegen und das männliche Geschlecht durch glitzernd aufgesetzte Schamkapseln betonen. Wie bei Genets „Balkon“ spielt die Handlung im Bordell – und nur die Puffmutter Mme. Lysiane (Ronnita Miller) erscheint in ungebrochen üppiger Weiblichkeit. Großartig in ihrem ausgestellten Exhibitionismus die Sängerdarstellerinnen Katarian Bradlić als Seblon, Alexandra Schulz als Nono und Christina Schuld als Vic und als Mario.

Musikalisch wird der Raum gefasst durch die auf der rechten Empore platzierte Orgel, die im Gegensatz zum synchronen, filmisch und live dargebotenen Spiel dramaturgische Diskrepanz durch Auseinanderklaffen signalisiert, die Orgel etwa im höchsten Diskant, das Orchester – Bläser und Streicher – gleichzeitig in der Kontrabassregion. Eine Altistin rezitiert singend Genets originalen Wortlaut, der diesmal nicht übertitelt wird. Stattdessen gibt es Zwischentitel zur Handlung.

Die Tonsprache der Komponistin bietet wenige Seemannsmomente – außer dem in den Gesamtklang des Orchesters integrierten Akkordeon. Hohe Streicher korrespondieren mit der Orgel, zunehmend deutlich wird der rhythmisch stoßende Duktus der Musik, die sich auf diese Weise, mit repetierten Gesangsmomenten zu einer höchst artifiziellen Beischlafmusik kristallisiert. Vorproduzierte Szenen – teilweise auch mit bereits vorproduziertem Gesang in den Film-Szenen, verlangen nach exakter Synchronizität, für die im gegen Ende dichter werdenden Paraffinnebel ein weiterer Dirigent im Zusammenspiel zwischen Orchester und Sängerinnen sorgt.

Dariusz Przybylski: Fall

Während die Requisite das Bühnenblut wegwischt, ergreift Margo Zalite, die Regisseurin der vierten Oper das Wort und lässt die zufällige Reihenfolge für die Zufallsoper von Dariusz Przybylski auslosen. Die zufällige Reihenfolge der komponierten Blöcke für Solisten, Chor und Orchester sei an jedem Aufführungsabend anders, erläutert sie.

Ein „Fall“ (so der Titel dieses Musiktheaters), der mit Zufallsgenerator das Leben als Zufall aufzeigen will. Als expressiv exzessives Dauer-Ostinato erklingt ein Duett von Königin Fortuna (Bini Lee) und Königin Scinentia (Jörg Schörner) in Reifröcken. Zunächst an Strippen aufgehängt, werden diese beiden Protagonisten in Rahmen in den ebenerdigen Bühnenraum gefahren und befreien sich dann ihrer Rahmen Richtung, wo sie links und rechts von der Orgel, die Jens Holzkamp diesmal im Kostüm schlägt, gestenreich weitersingen. Die Kinder des Kinderchors hinter Ganzmasken, führen einen plastischen Esel auf Wagen mit sich, der aber im Spiel keine weitere Funktion hat. Während der Kinderchor sich zum Singen hinter einen Gerüst-Raumteiler drängt, werden die beiden Königinnen von Glück und Weisheit in zwei Mülltonnen gepfercht gehalten, – wo sie dann an die Erdmenschen von Samuel Beckett gemahnen. Diesmal sind ausschließlich die Bläser und das aggressiv zu Werke gehende Schlagwerk auf dem linken Orchesterpodest positioniert. Ob Musik und Aktion in anderer Zufallsanordnung zwingender wirken könnten, sei dahingestellt. Die Lust zum erneuten Hören brachte diese Partitur nicht.

Den an diesem Abend vornehmlich aktiven, elf hier jungen Theaterschaffenden in den Bereichen Komposition, Regie, Dirigieren, Bühnenbild, Kulturmanagement und Dramaturgie, ist gemein, dass sie zwei Jahre lang Stipendiaten der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung waren. Am Ende des Uraufführungsabends gab es viel Zuspruch vom Publikum und den fast komplett versammelten Alumni dieser Organisation.

Weitere Aufführungen: 21., 24., 25., 26., 27. Juni 2014.

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