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Überragend als Azucena in Nürnberg: Roswitha Christina Müller. Foto: Ludwig Olah
Überragend als Azucena in Nürnberg: Roswitha Christina Müller. Foto: Ludwig Olah
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Geister aus dem Erinnerungsschrank: Balázs Kovalik verschlampt Verdis „Il Trovatore“ in Nürnberg

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Eine Inszenierung, in der die Beziehung zu einer Schaufensterpuppe die einzige halbwegs herausgearbeitete Personenkonstellation ist, hat ein Problem. In Bálazs Kovaliks Nürnberger „Trovatore“ ist es der Graf Luna, der sich auf diese Weise Ersatz für die unerreichbare Leonora schafft. Schließlich ist Bürgerkrieg, da kann der Gefühlshaushalt schon mal ein bisschen durcheinander geraten.

Einen weiteren Grund für die weithin als konfus wahrgenommene Handlung von Verdis düsterer Oper glaubt Regisseur Kovalik in den Geistern der Vergangenheit gefunden zu haben. So lässt er unter anderem Azucenas Mutter, die einst als Hexe auf dem Scheiterhaufen landete, leibhaftig aus einer Art Erinnerungsschrank heraus auftreten. Dass nie ganz klar wird, wer auf der Bühne diese Visionen eigentlich wahrnimmt und wer nicht, ist eine von vielen Nachlässigkeiten seiner insgesamt dürftigen Neudeutung.

Eine weitere besteht darin, dass die Zigeuner einerseits als eine brutal ausgegrenzte Bevölkerungsgruppe dargestellt werden, dass anderseits aber Manrico, der vermeintliche Zigeunersohn, als Popstar mit Stromgitarre verehrt wird. Auch die anfangs durch einen Geisterauftritt angedeutete These Kovaliks, Azucena sei einst von Lunas Vater geschwängert worden, trägt nichts zur Klärung des Geschehens bei, ebensowenig das Einheitsbühnenbild aus ineinander verschachtelten Ruinenwänden, das eine Verortung der einzelnen szenischen Schlaglichter unmöglich macht.

So etwas wie Musikdramatik stellt sich somit nur dann ein, wenn auf der Bühne einmal ausnahmsweise kein Tumult stattfindet und keine Leichen ins Massengrab gekippt werden. Roswitha Christina Müller, die alles überragende Sängerin des Abends, gelingt es als Azucena, in einer einzelnen Gesangslinie die ganze Tragik dieser Rolle erfahrbar zu machen. Ihre Szene mit Manrico im zweiten Akt bildet somit – auch wenn sich David Yim eher als Stimmbesitzer denn als Stimmgestalter erweist – den Höhepunkt der Aufführung.

Einzig die Final-Ensembles erreichen noch einmal eine ähnliche vokale Intensität dank Hrachuhí Bassénz, die in dieser 2. Premiere eine melancholisch auflodernde Leonora ist, und Mikolaj Zalasinski als Luna, der sein mächtiges Organ nun auch einmal gestaltend an die Zügel nimmt.

Dass vorher zugespitzte vokale Dramatik vielfach nur durch Lautstärke hergestellt wird, hat auch mit der an diesem Abend wenig differenzierten Orchesterarbeit zu tun. Guido Johannes Rumstadt lässt die Nürnberger Philharmoniker auch dort dick auftragen, wo eine gespannte Rhythmik und geschärfte Artikulation mehr bewirken würde. An der nicht immer optimalen Koordination mit der Bühne (vor allem mit dem Chor) ist abzulesen, dass der Großteil der Proben schon vor der Sommerpause stattfand. Jetzt gilt die Aufmerksamkeit wohl schon dem „Tristan“ mit GMD Marcus Bosch am 21. Oktober. Schade um Verdi.

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