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Vier Jubiläen rund um Mahler: Die 30. Gustav-Mahler-Musikwochen in Toblach

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In mehrfacher Hinsicht gab es in diesem Jahr auf den Gustav-Mahler-Wochen im Südtiroler Ort Toblach etwas zu feiern: Zum einen natürlich galt es, den 150. Geburtstag des Komponisten zu begehen, dann jährte sich zum hundertsten Mal der letzte Sommer, den Mahler komponierend in Altschluderbach nahe Toblach verbrachte und in dem das Fragment der 10. Symphonie entstand. Das „Toblacher Mahler-Protokoll“, jene von Attila Csampai ins Leben gerufene kritische Bestandsaufnahme des immer noch nicht abreißenden großen Mahler-Booms, wurde dreißig Jahre alt, und der mit dem Protokoll verbundene Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“ feierte seinen zwanzigsten Geburtstag.

Naturgemäß bildete die Symphonie Nr. 10 eine thematische Klammer der Mahler-Wochen: Das einleitende Adagio gelangte im Eröffnungskonzert zur Aufführung, interpretiert vom Bundesjugendorchester unter Gabriel Feltz, und Dietmar Holland gab in seinem Vortrag „Ein work in progress?“ einen instruktiven Überblick über die diversen Aufführungsversionen von Mahlers symphonischem Torso. Holland verschwieg nicht, wie problematisch diese Komplettierungsbemühungen größtenteils sind – ob es sich nun um die bloße Hörbarmachung von Mahlers Skizzen handelt, wie sie Deryck Cooke in seiner mittlerweile recht oft aufgeführten und eingespielten Vervollständigung anstrebte, oder ob sie, wie im Falle Clinton Carpenters, „Musik über Mahlers Musik“ anbieten. „Die Zehnte Symphonie – sie ruhe in Frieden“, schloss Holland nicht ohne Ironie seine Ausführungen.

„Weltschmerz als Kraftspeise“ betitelte Christine Lemke-Matweys ihren faszinierenden Vortrag, der unter anderem der Frage nachging, inwieweit Mahlers Musik uns auch im 21. Jahrhundert noch etwas zu sagen hat. Das hat sie, so Lemke-Matwey, durchaus, vor allem in der Welt nach dem 11. September, die immer undurchschaubarer geworden ist. Der Mensch braucht das „Angefasst-sein“, um Mensch zu bleiben, und genau dies vollbringt Mahlers Musik, indem sie, etwa in der 6. Symphonie, dem uns umgebenden Chaos Gestalt verleiht. Die Autorin wagte auch zu provozieren – etwa, indem sie sich vehement gegen zyklische Aufführungen von Mahlers Symphonien aussprach, weil diese sich dann „selbst an die Gurgel gehen“, sich gegenseitig auslöschen.

Ob dem tatsächlich so ist, darüber konnten sich die Besucher am 11. Juli klar werden, als im Spiegelsaal des Toblacher Grand Hotels alle Mahler'schen Symphonien ohne Pause nacheinander erklangen – in von Attila Csampai ausgewählten Einspielungen, von morgens um zehn bis viertel nach elf Uhr Abends. Ein gewagtes Experiment, gewiss, doch eines, das durchaus positiv angenommen wurde.

Einen Tag vorher fand im selben Saal die Verleihung des „Toblacher Komponierhäuschens“ statt. In der Kategorie „Wiederveröffentlichungen“ wurde, wie schon im letzten Jahr, ein Live-Mitschnitt eines Konzerts unter Stabführung von Klaus Tennstedt ausgezeichnet: die „Auferstehungs-Symphonie“ – eine Aufführung von unerhörter Dramatik und visionärer Größe. Alan Giberts klarsichtige und temperamentgeladene Interpretation der Symphonie Nr. 9 erhielt den Preis als beste Neuveröffentlichung, und der Sonderpreis ging an die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman und ihre phänomenale Lieder-CD mit dem Ensemble Amarcord Wien: Mahler im „Heurigen-Sound“ mit Streichern und Akkordeon, ebenso inidividuell wie respektvoll arrangiert und von Frau Kulman mit wundervoll auratischer Stimme gesungen und ebenso perfekt wie unmanieriert artikuliert.

Elisabeths Kulmans Konzert mit dem selben Ensemble gehörte denn auch zu den musikalischen Höhepunkten der Mahler-Wochen – gemeinsam mit einem Auftritt von Friedrich Kleinhapl (Violoncello) und Andreas Woyke (Klavier) unter dem Motto „Todesverlangen – Lebenssucht“.
 

Internationaler Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“ – die preisgekrönten Aufnahmen
Wiederveröffentlichung:
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 2. Yvonne Kenny (Sopran), Jard van Nes (Mezzosopran), London Philharmonic Orchestra, Leitung: Klaus Tennstedt
LPO 0044 / Vertrieb: Naxos (2 CDs)

Neuproduktion:
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9. Royal Stockhol Philharmonic Orchestra, Leitung: Alan Gibert
BIS-SACD-170 / Vertrieb: Klassik-Center Kassel (Hybrid-SACD)

Spezialpreis:
Gustav Mahler: Lieder (& Adagietto aus der Symphonie Nr. 5)
Ellisabeth Kulman (Mezzosopran), Ensemble Amarcord Wien
Material Records MRE 027-2

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