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Von der Bedeutung der Nuancen: Edith Wiens gibt ihren Schützlingen in der Meistersinger Akademie Neumarkt den letzten Schliff

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„Das Wort ‚verschlossen‘ gehört für uns Sänger nicht zum Vokabular. Weil wir auf der Bühne unsere Verletzlichkeit zeigen, werden wir bezahlt.“ Wenn Edith Wiens mit ihren Schülern arbeitet, geht es ums Ganze. Technische Fragen wie die Öffnung des Mundes, die Stellung des Kiefers, die Vibratofrequenz, das Klingen von Konsonanten oder die Kontrolle des Luftstroms sind – das macht die charismatische Pädagogin immer wieder deutlich – ebenso wie die Haltung, die Öffnung zum Publikum oder der Verzicht auf ablenkende Gesten Teil einer professionellen Einstellung zu einem Beruf, der im künstlerischen Bereich zu den schwersten gehören dürfte.

Die Internationale Meistersinger Akademie, die Edith Wiens in Kooperation mit der Hochschule für Musik Nürnberg und der New Yorker Juilliard School, unterstützt von der Stadt Neumarkt, dem Kulturfonds Bayern und weiteren Sponsoren nun im zweiten Jahr leitet, hat es sich zur Aufgabe gemacht, einerseits herausragende Talente in eine Atmosphäre „ungeheurer Zielstrebigkeit und Passion“, so Wiens, zu versetzen und andererseits Sängerinnen und Sängern, die an der Schwelle zum Karriereeinstieg stehen, den letzten, für das Vorsingen bei Agenturen und an Opernhäusern oft entscheidenden Schliff zu geben. „Wie viel wiegt eine Nuance in dieser dünnen Luft?“, fragt sich Edith Wiens in diesem Zusammenhang.

Die Australierin Rachel Bate, die derzeit im Kölner Opernstudio erste arbeitsintensive Erfahrungen macht, erhofft sich neben technischen und interpretatorischen Anregungen – dem „polishing“, wie sie es nennt – genau dies: „Ich möchte beim Vorsingen wirklich bereit sein, nicht wie eine Studentin wirken.“ Die stimmlichen Voraussetzungen, das zeigt ihre Arbeitseinheit beim öffentlichen Meisterkurs im Neumarkter Reitstadel, bringt sie in überwältigender Weise mit. Und es ist faszinierend zu beobachten, wie einige wenige Hinweise die schon sehr reife Bewältigung der Arie „Ebben? Ne andró lontana“ aus Alfredo Catalanis „La Wally“ auf eine ganz neue Stufe heben.

Edith Wiens bedient sich dabei einer Methode, die sie zu Beginn ihrer Lehrtätigkeit, damals noch an der Düsseldorfer Musikhochschule, entdeckt hat: Dabei werden stimmliche Vorgänge in ein gestisches Bild übersetzt, das der Sänger zunächst mit ausführt, um den Vorgang anschließend zu verinnerlichen. Rachel Bate setzt das, etwa beim „passaggio“, also dem Übergang von der mittleren in die hohe Lage, oder beim Vibrato, bravourös um. Für das dann wiederum notwendige Lösen von diesen Vorstellungen hat Edith Wiens ein schlagendes Beispiel: Fritz Wunderlich, so erzählt sie, sei geradezu besessen von vokaltechnischen Details gewesen, um dann das Singen selbst als natürlichste Sache der Welt wirken lassen zu können.

Die besondere Atmosphäre der intensiven, sechswöchigen Kursphase in Neumarkt – neben der Repertoirearbeit in Oper, Lied und Oratorium und den Konzertauftritten werden Kurse für Yoga und Alexandertechnik, Sprachunterricht sowie Roundtables mit Fachleuten aus dem Opernbetrieb angeboten – umreißt der aus Plauen stammende Bariton Martin Häßler: „Das ist unglaublich erfrischend hier. Das Hochschulstudium ist ein relativ geschlossener Raum, man vergisst sich zu reflektieren. Wenn ich hier nun Kollegen mit ähnlichen Problemen erlebe, ist es, als würde ich mich selbst aus der Entfernung beobachten. Das ist sehr hilfreich und ich merke schon nach einer Woche, wie sich einiges verbessert.“

Eine der Voraussetzungen für das effiziente Arbeiten ist die hochkarätige Auswahl der Dozenten, darunter Ann Murray, Helmut Rilling oder Margo Garrett, die Samuel Barbers Lieder – Teil des diesjährigen Akademie-Repertoires – noch mit dem Komponisten zusammen erarbeitet hat. Nicht zu vergessen: eine Riege hervorragender Korrepetitoren. Die Konzentration und musikalische Finesse, mit der Jonathan Ware bei der Meisterklasse beinahe drei pausenslose Stunden lang die Sänger unterstützt, ist ebenso bewundernswert wie Edith Wiens’ immer herzlicher, dabei aber bestimmter und zielstrebiger Umgang mit ihren Schützlingen.

Zwischendurch blitzt beim Demonstrieren bestimmter Stellen immer auch wieder ihre eigene, nach wie vor wunderbare Stimme durch. „Tempi passati“, winkt die Sängerin ab. Sie habe vor acht Jahren aus freien Stücken ihre internationale Karriere an dem Punkt beendet, als ihr das Üben keinen Spaß mehr machte. „Ich hatte das Gefühl, nur noch den Status quo zu erhalten, das ist doch nicht künstlerisch! Also habe ich mich entschieden, lieber zehn Minuten zu früh als zu spät aufzuhören.“

Diesen Punkt rechtzeitig zu erkennen: Auch das können die Teilnehmer der Meistersinger Akademie von Edith Wiens lernen.

 

Hinweise zu öffentlichen Veranstaltungen und Konzerten unter:
http://meistersingerakademie.com/events

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